8. Wenn man davon spricht

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Es gab in der letzten Zeit kaum etwas Besonderes zu erzählen. Abgesehen vielleicht von der Tatsache, dass Amon sich langsam zu meinem neuen CCG-Liebhaber oder Liebling, wie man es eben nennen wollte, entwickelte.
Shuu hatte mich heute wieder einmal in das Antik eingeladen. Entweder wollte er also irgendwas mit mir besprechen, oder er hatte nur wieder Unsinn im Kopf.
Bevor ich mich allerdings mit ihm Treffen konnte, hatte ich etwas anderes, etwas viel, viel wichtigeres zu tun.
"Hey N, bist du da?", rief ich durch den kahlen Komplex.
Überall in seinem neuen Unterschlupf gab es leere Wände, sie schon an einigen Stellen zerfielen und Kabel, die irgendwo im Weg rumlagen.
Vorsichtig bahnte ich mir den Weg über den Steinboden, dabei machten die Absätze meiner Stiefel bei jedem Schritt ein kleines klickendes Geräusch.
"N?"
Langsam trat ich an den Tisch heran, an dem er normalerweise arbeitete. Drei schwarz-silberne Monitore mit allerlei blinkenden Lichtern waren darauf aufgebaut. Die schwarze Tastatur lag unbenutzt davor.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Er hatte mich nicht umsonst gebeten zu ihm zu kommen und schon gar nicht so panisch.
N war schon immer ein relativ paranoider Ghoul gewesen. Er litt schon bevor er sich in meine Dienste stellte an Verfolgungswahn und wollte deswegen auch nirgendwo länger als einen Monat bleiben, selbst in den sichersten Verstecken nicht.
Seit dem ich zusätzlich noch Probleme mit Aogiri entwickelt hatte, wurde es bei ihm noch schlimmer. Ständig hatte er das Gefühl verfolgt zu werden.
Ich konnte seine Paranoia ja irgendwie verstehen, aber so ganz nachvollziehbar war es für mich nicht. Vielleicht lag es auch daran, dass ich nicht in seiner Haut steckte.
N hatte mir nie alles über seine Vergangenheit erzählt, nur das er misshandelt worden war. Ich hatte seine Kagune nur einmal gesehen und dieser Anblick hatte mich geschockt.
Eigentlich hatte er eine sogenannte Federkralle, in ihrer Farbe sogar ähnlich wie die von Touka, aber die Form...
Ich hatte damals nichts gesagt und ihn einfach nur umarmt, bis er aufgehört hatte zu weinen.
Seine Kagune war verstümmelt. Man hatte an ihm experimentiert oder sie zu einer Quinke gemacht. Egal was, er hatte nur noch die Ansätze einer Kralle.
Ich stand vor seinem Arbeitsplatz und strich mit der Hand über die Tischplatte, bevor ich mein Handy aus der Tasche meiner Jacke zog.
Das Display zeigte an '5:23'.
Viertel wollten wir uns treffen und N kam nie zu spät.
Gerade als ich ihn auf einem seiner Handys anrufen wollte, merkte ich in einer Ecke eine Bewegung.
"Shay? Bist du das?"
Ich ging zügig zu der Stelle, aus der die leise Stimme kam.
"N!"
Er kauerte in einer Ecke, zwischen einigen Kisten und Kabeln.
"Sag mal, was ist denn passiert?"
"Keine Ahnung. Hier- Hier waren ein paar Ghoule.", erklärte er mir, während ich ihm half aufzustehen.
"Ghoule? Konntest du sie erkennen?"
"Nein. Sie hatten so... schwarze Umhänge an. Ich kann nur sagen, dass es niemand von deinen Leuten war."
Ich half ihm auf den Stuhl. Er zitterte und war total aufgelöst.
"Nicht unsere Leute, N. Haben sie irgendwas gemacht? Vielleicht etwas gesucht?"
Er überlegte nicht lange.
"Außer mir nichts. Ich habe mich versteckt und dir geschrieben... Ich hatte gehofft, du findest mich vor ihnen..."
"Da hattest du ja Glück."
N setzte sich mit zittrigen Händen seine Brille auf. Er war immer noch ganz durch den Wind.
Mit einigen komplizierten Tastendrücken fuhr er seinen Rechner und das ganze System hoch.
"Ich hätte gedacht, du würdest mich eher finden, Shay. Wegen deinem Geruchssinn und so..."
"N, wir sind unter einer Autobahnbrücke, in der Nähe einer Müllhalde für medizinische und sonstige Abfälle... Ich versuche hier gar nicht zu riechen, sonst würde ich mich wohl im Sekundentakt übergeben. Außerdem kannst du froh sein, dass ich dich überhaupt gefunden habe..."
Ein sanftes Lächeln umspielte die Lippen meines Lieblingsinformanten, als ich mich von hinten an ihn drückte, um diese lieben Worte zu sagen und gleichzeitig auch mit auf die Monitore sehen zu können.
N, das Computergenie, tippte so schnell, meine Augen konnten es kaum erfassen. Über den Bildschirm liefen einige Zahlen, Anzeigen und schließlich auch zwei Ladebalken. Er öffnete ein Programm, tippte etwas und schloss es kurz darauf wieder.
Ich verstand noch nie so viel von Technik, aber N... Sein Computerwissen kannte keine Grenzen.
Mit einem rollenden Geräusch, bewegte er sich mitsamt des Stuhls durch den Raum, nur um mir dann einen kleinen grauen USB Stick zu geben, der am anderen Ende des Raumes in einem der anderen Computer gesteckt hatte.
"Hier.", hielt er das Ding hoch und ließ es dann in meine ausgestreckte Hand fallen.
"Das ist ein komplettes Back up von allem. System, Programme, alles! Auch, wie du die Sender machen kannst. Ich vertraue es nur dir an, Shay... Bitte, pass gut darauf auf."
Ich packte den Stick in meine Tasche, in eine meiner leeren Lippenstifthüllen.
"Mach ich, keine Sorge. Und wegen Aogiri... Ich finde eine Lösung. Und wenn ich sie alle selber töten muss."
"Mir würden ein paar Ghoule zum Schutz auch reichen...", antwortete er vorsichtig, um mich in meiner Wutphase nicht noch mehr aufzubringen. Doch ich musste nur lachen.
"Okay, ist ja gut. Das geht auch. Du willst halt nicht den Köder spielen, das verstehe ich. Es verletzt mich zwar, aber ich verstehe es..."
Ich küsste N zum Abschied noch auf die Wange, versprach ihm mich heute bis spätestens morgen noch um eine neue Unterkunft zu kümmern und ging dann wieder meines Weges.
Der widerliche Gestank medizinischer Abfälle heftete mir in der Nase. Ich hasste ihn. Ich hasste viele Dinge, aber verwesendes Fleisch... Das war etwas absolut wiederwertiges, vor allem für einen Ghoul mit Würde.
Punkt um 8 erschien ich im Antik. Die Fahrt durch Japans verstopfte Straßen, machte es einem immer schwer von einem Ort zum anderen zu kommen, aber sie gab einem immer noch Zeit für einige andere Dinge...
"Guten Morgen, Shay. Du siehst wie immer bezaubernd aus.", wurde ich von Enji mit einem breiten Lächeln begrüßt.
"Wird das etwa ein Flirtversuch, Enji? Ich meine, solche Komplimente von meinem liebsten Teufelsaffen, wie komme ich denn zu dieser Ehre?"
Solche Scherze über das Ghoul sein, konnte ich auch nur jetzt machen, wo noch niemand im Laden war. Sobald sich die Menschen hier tummeln würden, wäre es mit der Ruhe vorbei.
"Und? Wie macht sich mein kleiner Ken?"
Langsam nahm ich auf einem der Hocker vor dem Tresen Platz und überkreuzte gelassen die Beine. Eine weitere Modelangewohnheit. Es sah so einfach eleganter aus.
"Sehr gut. Yoshimura nimmt ihn zusätzlich unter seine Fittiche. Er lernt schnell und ist sehr bemüht."
"Na das hört man doch gern."
Er nickte, zu auffällig, als das ich es hätte ignorieren können. Mit einer Zeigefingergeste, zeigte er mir, dass ich näher kommen sollte.
Enji kam dann auch mit seiner Knollnase näher. Sein Mund war direkt an meinem Ohr, als er belustigt flüsterte:
"Und ich glaube, aus ihm und Touka wird nochmal was."
Ich lachte, während Enji mir nur zuzwinkerte.
Weiter hinten war eine Tür zu hören, die ins Schloss fiel. Mit einem Knall betrat natürlich der Chef höchstpersönlich den Raum. Seine alten Züge erhellten sich zugleich zu einem sanften Lächeln.
"Shay, was für eine Freude, dich schon in aller Frühe hier zu sehen."
"Die Freunde ist ganz meinerseits. Ich habe heute leider wieder ein Treffen mit Shuu... Es geht wohl um etwas Wichtiges. Aber gut, wir werden sehen..."
Als ob er sein Stichwort gehört hätte, betrat Shuu genau jetzt das Café. Naja... Er betrat es weniger. Er hatte seinen großen Auftritt... Wie immer eben. Seine Arme waren ausgebreitet, er sprühte mit Charme um sich und das Lächeln in seinem Gesicht, barg eine Art Herausforderung in sich.
"Bonjour, chez Amis. Et Bonjour, mon Amour."
Er drückte mir einen sanften Kuss auf den Handrücken, dann hieß es Küsschen links, Küsschen rechts.
Yoshimura wusste wie es ab jetzt lief. Shuu und ich zogen uns in eine Ecke zurück, bestellten zwei Kaffee und dann erklärte er mir wieder sein Problem oder wahlweise stellte er mir wieder eine Frage, auf die die Antwort sowieso 'Nein' war.
"Also, Darling, mon Amour..."
"Was willst du, Shuu? Du weißt, meine Zeit ist begrenzt...", wies ich ihn genervt auf seine Art hin und nahm einen Schluck des heißen braunen Gebräus zu mir. Der heiße Geschmack der Kaffeebohnen brachte meine Nerven förmlich zum Tanzen, als er in Form der heißen Flüssigkeit auf meine Geschmacksknospen traf.
"Oh, Darling. Es ist furchtbar! Mon Dieu!"
Shuu legte den Handrücken an die Stirn und den Kopf zurück. Er wurde mal wieder oberdramatisch.
Selbst Enji, der Vorn den Tresen abwischte, grinste wegen meines Augenrollens.
"Shuu! Fokus! Was ist denn passiert?"
"Ach, diese Leute. Aogiri oder so ähnlich... Sie haben dir gedroht, meine Princess! Es war fürchterlich!"
Shuu erklärte mir oder versuchte es zumindest, dass bei dem seinem letzten Fest einige Ghoule von Aogiri Tree aufgetaucht sind und das Ganze aufgemischt haben. Einige der Gäste, sowie die Schlachter, wurden umgebracht. Zum Schluss sind dann auch noch die Tauben aufgetaucht...
Shuu war bei seiner Erzählung den Tränen nahe. Immer wieder musste ich ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
"Interessant. Das heißt Aogiri will Krieg."
Ich hatte nie gedacht, dass sie so dumm wären meine Vormachtstellung anzugreifen, aber offenbar hatte ich mich getäuscht.
Erst das mit N und dann noch das mit Shuu... Ab jetzt wurde es persönlich!

Control - Tokyo Ghoul FF [PAUSIERT] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt