6. Ken?

321 14 4
                                    

Die Woche verlief eigentlich schnell. Ich machte viel Jagd auf einige Ghoule, die es auf meine Liste geschafft hatten. Zudem gab es noch einige Fotoshootings, die ich tagsüber wahrnehmen musste. Mit Shuu hatte ich dann zum Glück kein Shooting mehr. Er hatte mir und Yomo seinen Vorschlag unterbreitet, dann hatte Yomo ihn aus dem Laden geschmissen. Wie immer war er sehr beschützend, wenn es um so etwas ging.
Aber alles in allem war diese Woche sehr entspannt. Bis auf eine winzige Kleinigkeit, die mich wirklich wahnsinnig machte...
Dieser verdammte Vielfraß!
Liz hatte es geschafft mit die ganze verdammte Woche nicht ein einiges mal über den Weg zu laufen! Nein... Das stimmt nicht ganz... Einmal haben wir uns gesehen. Ich war gerade bei einem Shooting und konnte nicht weg, da sah ich sie auf der anderen Seite der Straße. Nur für einen kurzen Moment war sie da. Die langen lilanen Haare, das Kleid, die Brille und natürlich ihre liebsten Accessoires: Blut verschmierter Mund und die rot leuchtenden Ghoulaugen.
Ich war mir sicher, dass sie es war.
Sie wollte nur, dass ich sie für einen Moment sah und dann verschwand sie wieder. Es war eine Provokation, nichts weiter. Allerdings hatte ich die Schnauze voll von ihr.
Vor zwei Tagen bekam ich dann den Anruf. Liz wollte auf einer Baustelle ihr neustes Opfer, einen jungen Mann, angreifen, dabei wurde sie allerdings selbst zum Opfer.
Sie war tot, ihr Opfer schwer verletzt, soweit Yomo wusste.
Naja, ich kann nur sagen das ich es nicht war. Aber ich vermute mal Liz hatte sich nicht nur mich zum Feind gemacht...
Ich war gerade in der Maske, wo ich für die zweite Hälfte meines Drehs mit dem CCG zurecht gemacht wurde. Es ging um einen Aufklärungswerbespot für die Bevölkerung. Es war relativ amüsant als Ghoula mit dem CCG zu arbeiten und dann in einem landesweiten Spot auch noch das Opfer eines Ghouls zu spielen. Diese Ironie war einfach nur zu genial.
Ich wurde überall mit Kunstblut angemalt. Die Idee war witzig, kein Ghoul würde ein Opfer so stark bluten lassen oder es gar in diesem Zustand entkommen lassen. Aber gut, das CCG wollte es so.
Den ganzen Mittag hatten wir die Angriffsszene und die Szenen in denen ich wegrannte gedreht. Nun, nach einer Pause, war die Szene dran in der ich mich in eine Telefonzelle retten konnte und das CCG zur Hilfe rief. Pure Ironie! Es war fantastisch!
Schauspielerei war perfekt für mich. Über die Jahre und vor allem auch durch zahlreiche Begegnungen mit Ghoulen, denen gegenüber ich mich freundlich verhalten musste, obwohl ich ihnen lieber an die Kehle gesprungen wäre, hatte ich meine Schauspielkunst sehr stark perfektioniert. Das zusätzlich Gute daran war, dass ich so auch eine Menge Drehangebote bekam.
Jedenfalls liebte ich solche entspannten Drehtage. Meine Anweisungen kamen zwar von der Chefetage des CCG, aber ich fand es einfach nur lustig. Meine Arbeit als Model konnte ich ja in der Tat perfekt ausführen, also gab es keinen Grund irgendetwas zu kritisieren oder gar Verdacht zu schöpfen. Naja, solange Arima jetzt nicht her kam... Er war der einzige Ermittler, bei dem ich mir sicher war, dass er mich ohne weiteres erkennen würde. Mado wäre vielleicht auch noch so dicht dran, aber selbst wenn er es rausfinden würde, hätte er keinen wirklichen Grund mich umzubringen.... Also außer vielleicht wegen meiner Kralle... Okay, eigentlich war das der einzige Grund, den er brauchte.

Die restliche Zeit am Set verging sehr schnell. Für die letzten Szenen brauchten wir nur ein paar Takes, mehr nicht. Das Endergebnis war auch sehr zufriedenstellend, obwohl alle Ghoule die diesen Spot sehen werden höchstwahrscheinlich an extremen Lachkrämpfen sterben werden. Vielleicht war das ja auch das wahre Ziel dieses kleinen Filmchens?
Jedenfalls befreite ich mich vom Kunstblut und ging die Straße runter, am CCG Hauptquartier vorbei, um mir einen Kaffee zu holen.
Da der Dreh so zeitig beendet worden war, hatte ich heute noch ziemlich viel Zeit bevor ich mich mit Yomo treffen würde. Heute stand mir der Sinn irgendwie nach einkaufen. Ein paar neue Klamotten und ein paar Kleinigkeiten, wie Schuhe, Make up, Schmuck und so weiter oder vielleicht auch ein paar nützliche Dinge würden ja nicht schaden.
Wie immer bestellte ich mir meinen schwarzen Kaffee, wie Itori immer sagte 'die Farbe meiner Seele', an einem meiner Lieblingsshops.
Gerade als ich bezahlt hatte und mich umdrehte stieß ich auf Widerstand.
Ein Mann stand plötzlich hinter mir. Irgendwie hatte ich ihn gar nicht gehört.
"Oh Entschuldigung.", sagte ich und blickte nach oben, in das Gesicht des Unbekannten. Für einen Moment blieb mir der Atem weg. Amon! Der neue Partner von Mado. Er trug auch jetzt einen dunkelblauen Anzug. Seine Haare waren ordentlich und er war nicht so verschwitzt oder eher panisch, wie in der Nacht vor einer Woche. Irgendwie wich er meinem Blick aus.
Er stammelte. "Tut mir leid..."
Täuschte ich mich oder wurde er rot im Gesicht? Der Ghoulermittler schien auf einmal nicht mehr so taff wie zuvor bei unserer letzten Begegnung.
"Es war meine Schuld, ich habe nicht aufgepasst. Hoffentlich gab das keinen Fleck."
"Nein, nein. Alles in Ordnung.", erwiderte er und strich sich das Hemd glatt. Jetzt sah er mir das erste Mal direkt ins Gesicht.
Unsere Blicke trafen sich. Irgendwie war nicht nur er verlegen. Ich hatte ja schon bei der ersten Begegnung festgestellt, dass er mir gefiel. Nun hatte ich auch die Gelegenheit ihn kennenzulernen. Es wäre so einfach. Doch etwas in meinem Inneren ließ mich zögern. In meinem Inneren? Nein... wohl eher die Tatsache, dass der silberne Aktenkoffer an seiner Seite so glänzte. Amon hatte den Griff seiner als Koffer getarnten Quinke fest umschlossen.
Vor einer Quinke hatte ich doch keine Angst. Ich machte mir viel mehr Sorgen, weil er Mados Partner war. Mado war gerissen und teilweise auch unberechenbar. Er kannte mich seit meiner frühesten Zeit auf der Straße, seit meiner Jugend...
Ob er mich so, in meiner menschlichen Gestalt, erkennen würde?
Na komm Shay, irgendetwas musst du jetzt sagen! Nutz deine Chance!
"Du hattest doch letztens ein Fotoshooting bei uns in der Nähe...", kam Amon mir zuvor.
Ich lächelte verspielt. "Kommt ganz darauf an, was heißt 'in der Nähe'?"
"Beim CCG Hauptquartier."
"Ja... Ich entsinne mich... Ja doch, das war ich."
Amon zeigte ein sanftes Lächeln, welches ich erwiderte.
Er bestellte sich einen ebenfalls einen Kaffee und trat dann, mit mir zusammen, an einen Tisch an der Seite.
"Du arbeitest also beim CCG?"
"Ja. Ich bin Ermittler."
Als ob ich das nicht schon gewusst hätte... Ich nahm einen Schluck Kaffee.
"Dann verdanke ich dir ja meine Sicherheit hier in Tokyo."
Amon wurde durch mein Zwinkern wieder rot.
"Naja, das ist ja nicht nur allein mein Verdienst. Mein Partner und auch viele andere Ermittler-..."
"Ja, aber mit denen spreche ich ja gerade nicht."
Amon schluckte hart.
"Ähhm... Gern geschehen, schätze ich? Wie ist es denn so als Model?"
Ich musste kichern. Typisch Ermittler... Am Anfang bloß nichts von der Arbeit erzählen und schön vom Thema ablenken.
"Naja, es ist schon ziemlich anstrengend.", fing ich sanft an zu erzählen. "Man muss schon auf die Figur achten, was man ist, wo man isst. Dann ist es ansonsten eigentlich meist eine Frage der Jobs, die man bekommt. Ob Fotoshooting oder Werbespotdreh oder andere Schauspielaufträge... Alles ist möglich. Es kann mal super laufen und mal kann es einfach nur richtig nerven. Hängt eben auch mit der Erfahrung zusammen, die man hat."
"Bekommst du denn viele Aufträge?"
"Es geht... Je nach den momentanen Trends. Eigentlich bin ich aber immer gut gebucht."
Amon räusperte sich verlegen. "Bist du nicht auch in dem neuen Aufklärungsspot für die Bevölkerung?"
Ich lächelte. "Ja, das bin ich. Ich spiele das Opfer in dem Spot. Das war schon ziemlich viel Kunstblut, das bei dem Dreh verwendet wurde."
Amon musste ein wenig lachen. Wir unterhielten uns noch eine ganze Zeit lang. Ich vergaß sie Zeit dabei komplett. Amon war dabei die ganze Zeit sehr charmant.
Plötzlich klingelte mein Handy in der Tasche. Ich sah auf das Display. Yomo.
"Entschuldigung, da muss ich kurz rangehen."
Ich nahm den Anruf an und drehte mich weg.
"Hey, alles okay? Gibt es ein Problem?"
"Shay, du solltest zum Antik kommen."
Wenn Yomo so sprach, wusste ich das es etwas Ernstes war.
"Okay, ich mach mich auf den Weg."
Nachdem Yomo aufgelegt hatte, wandte ich mich wieder zu Amon.
"Es tut mir leid, aber es gibt ein Problem. Ich muss los."
Der Ermittler sah sehr überrascht aus. "Ähm ja, okay. Shay, wollen wir uns dann mal wieder treffen?"
Mit einem sanften, charmanten Lächeln antwortete ich. "Sehr gerne. Gib mir kurz dein Handy."
Ich nahm sein Handy und tippte meine Nummer ein.
"Hier ruf mich an, wenn du Lust hast.", sagte ich mit einem Lächeln auf den Lippen, als ich ihm das Handy wieder gab. Dann ging ich.
Ich hatte ein verschlagenes Lächeln auf den Lippen, als ich mir ein Taxi rief. Shay, du hattest es mal wieder geschafft... Kenta war gerade mal eine Woche tot und schon hatte ich den nächsten Ermittler an der Angel. Obwohl ich mir bei Amon noch nicht wirklich sicher war, ob er ein guter Fang wäre.
Aber momentan sollte mir Yomos Anruf eigentlich mehr Sorgen bereiten. Was auch immer los war, er und Yoshimura wussten nicht so genau was sie tun sollten...
Am Nachmittag stand ich endlich vor dem Café. Drinnen war es dunkel, es gab keine Gäste und das 'Geschlossen'-Schild hing an der Tür. Also klopfte ich. Es dauerte keine 20 Sekunden, da öffnete Touka auch schon die Tür.
"Hey, was ist denn los?", fragte ich beim eintreten.
"Ich habe gestern Nacht einen Ghoul gefunden. Er muss... Er war ein Mensch als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Und irgendwie hat er nur ein Auge..."
Was? Wie bitte? Touka und ich sahen uns nur kurz an, dann führte sie mich mit nach hinten.
Yoshimura und Yomo standen schon vor der Tür des Hinterzimmers.
"Shay, da bist du ja.", Yoshimura freute sich mich zu sehen, gerade in so einer Situation.
"Ja, hat etwas gedauert. Wie geht es ihm? Hat er etwas gegessen?"
"Wir haben ihm etwas gegeben. Aber er kann es noch nicht so wirklich verstehen oder will es noch nicht akzeptieren. Touka hat ihn völlig ausgehungert gefunden. Er muss wohl schon halluziniert haben."
"Hm, okay. Weißt du etwas zu dem Auge, Touka sagte er hätte nur eins?"
"Nein. Wir wissen noch nichts. Es scheint als sei er mit der Situation einfach noch überfordert. Er konnte uns noch nichts genaueres sagen."
"Okay, ich geh erstmal rein und rede mit ihm."
Langsam öffnete ich die Tür. Auf der Couch saß ein junger Mann mit schwarzen Haaren. Er kauerte sich zusammen und war nervlich wohl völlig am Ende.
"Hey. Alles in Ordnung bei dir?", fragte ich besorgt.
"Nicht! Bleib weg!"
"Ganz ruhig. Dir passiert nichts. Bleib ruhig, sonst läufst du noch Amok."
Ich setzte mich langsam vor ihn. Er sah mich aus zugeschwollenen Augen an.
"Wie heißt du?"
"Kaneki. Sag... Sag einfach Ken."
"Ken? Okay. Was ist das Letzte woran du dich erinnerst?"
Er war noch völlig fertig. Ich wusste wie hart es war, sich mit dem Ghoulsein abzufinden.
"Ich... ähm... Ich hatte mich mit ihr getroffen. Oh Gott! Sie war ein Ghoul!"
Ken wurde wieder panisch. Er stützte den Kopf in die Hände und begann zu weinen. Es war elendig. Ich hätte Mitleid mit ihm.
"Ihr? Mit wem hast du dich getroffen, Ken?"
"Liz!"
Mir wurde plötzlich klar mit wem ich es hier zu tun hatte. Ken musste das letzte Opfer von Liz gewesen, bevor sie getötet wurde. So weit ich wusste, wurde Liz von Stahlträgern zerquetscht. Vermutlich hatte man Ken Teile von Liz eingesetzt, um ihn zu retten. Damit wurde er zum Ghoul. So etwas hatte ich zwar noch nie erlebt, aber ich wusste das es wohl möglich sein sollte. Yasu hatte mir mal davon erzählt. Er fand das ziemlich interessant. Ich hingegen... Naja... Meiner Meinung nach war das eher fragwürdig und verwerflich. Ich meine, warum sollte man so etwas tun?
"Verdammter Vielfraß...", murmelte ich zur Seite.

Control - Tokyo Ghoul FF [PAUSIERT] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt