Cornelius Temple versank in den weichen Polstern des cremefarbenen Sessels, in dem er saß. Seine rechte Hand ruhte auf der breiten Armlehne, seine linke spielte nervös an dem Griff seines Dolches herum. Bestimmt schon zum zehnten Mal in dieser Minute warf er einen Blick hinüber zu der großen Standuhr, in deren dunkelbraunes Holz feine Rosenranken geschnitzt worden waren. Und wie der Blick aus den braunen Augen des jungen Mannes ihn traf, gesellte der große Zeiger sich mit einem 'K-lack' zu dem kleinen auf die vergoldete Zwölf.
"1...2...",zählte Cornelius in Gedanken und schon ertönte das schwere Läuten aus den Tiefen der Uhr.
Punkt Zwölf. Lord L. war nie mehr als genau eine halbe Minute zu spät und keine Sekunde zu früh. Cornelius ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen, das er schon so lange kannte. 21 Jahre um genau zu sein. Er blickte zu dem stets blitzeblank geputzten Fenster, durch das man eine hervorragende Sicht auf die in der Sonne glänzenden Gärten des Hauses hatte. Doch die Gärten interessierten ihn nicht. Er hätte im Schlaf alle Blumen mit dem Jahr in dem sie angeschafft wurden der Reihe nach benennen können. Er kannte sie in- und auswendig. Sein Blick galt einer winzig kleinen Kerbe im weiß bestrichenen Holz des Fensterrahmens. Dieser Rahmen war nicht immer weiß gewesen. Cornelius erinnerte sich, dass der Rahmen dunkelrot gewesen war als er hergebracht wurde. Doch die Farbe war schnell abgeblättert und war durch ein kühles dunkelblau ersetzt worden. Vor genau 3 Jahren und 5 Monaten war der Rahmen weiß gestrichen worden. Cornelius erinnerte sich noch gut daran, wie er wieder einmal in dieses Zimmer einberufen worden war und der Rahmen plötzlich weiß war. Also war die Farbe schon älter, aber diese Kerbe war neu. Von seinem viel zu weichen Platz im Sessel betrachtete er sie eingehend. Sie war lang, dünn, aber in der Mitte ein wenig dicker als an den beiden Enden.
"Wie ein Streifstoß mit einem Messer",dachte er.
In diesem Moment quietschte es leise aus Richtung der Tür. Der goldfarbene Knauf drehte sich, Cornelius hob seinen Oberkörper, wandte sich in Richtung des Geräuschs und schließlich trat ein großer Mann in einem bodenlangen, schwarzen Umhang ein. Die Absätze der schwarzen Lackschuhe klackten leise auf dem Parkettboden und der Umhang rauschte um die schlanken Beine in der dunkelgrauen Hose. Cornelius' Blick traf die eisblauen Augen des Mannes, in die eine Strähne des fast weißen Haars fiel.
"Cornelius" Für die beeindruckende Erscheinung von Macht und einer gewissen Kälte war die Stimme des Mannes außergewöhnlich warm und herzlich.
"Sir...",erwiderte Cornelius und stemmte sich vorsichtig aus dem Kissen. Mit einer Handbewegung bedeutete der Mann ihm, sich wieder zu setzen. Er selbst hing seinen langen Umhang über einen ebenfalls cremefarbenen Sessel, der identisch zu dem sein zu schien,in dem Cornelius sich niedergelassen hatte.
Cornelius wusste aber, dass den Stuhl ihm gegenüber hinten ein kleiner Schlammfleck zierte, der bei einer sehr alten Mission dort hingelangt war und dass der Stoff der rechten Armlehne in der Mitte dünn und abgenutzt war.
Bedächtig ließ der Mann sich in den Sessel fallen und begann zu sprechen:
"Cornelius..."
"Ja, Sir?"
"Du hast deine letzte Mission sehr gut abgeschlossen"
"Vielen Dank,Sir",antwortete Cornelius, doch er wusste, dass dies keine Lobesrede werden würde. Er hatte Fehler gemacht. Fehler mit verheerenden Folgen und er hoffte nun, dass Lord Ls Konsequenzen nicht allzu hart ausfielen.
Lord. Er musste in sich hineingrinsen. Mit großer Sicherheit war der Mann, den hier alle als den berüchtigten Lord L. kannten, gar kein Lord. Als Jugendlicher hatte Cornelius angefangen, das in Erwägung zu ziehen. Vor allem, als er bemerkte, dass der Mann von den meisten erfahrenen, älteren Agenten häufig nur "L." genannt wurde. Wofür dieses L aber nun stand, wusste nur Einer und den konnte man schlecht danach fragen.
"Leider hast du schon wieder einen meiner Befehle missachtet und versucht, etwas auf eigene Faust zu regeln, über das du rein gar keine Informationen gehabt hast.", sprach L.
"Naja, ein paar Informationen hatte ich schon..." Cornelius brach seinen Versuch, sich herauszureden, ab. Bei diesem Mann hatte er sowieso keine Chance.
"Du hättest uns alle in Gefahr bringen können und das muss jetzt ein Ende finden."
Cornelius schluckte und nickte dann. Er fürchtete, der Lord würde ihn von seinen Diensten vorerst suspendieren. Dies bedeutete für ihn neue Arbeit und noch schlimmer: Langeweile. Cornelius fürchtete die Langeweile. Seltsame Dinge entstanden, wenn den Menschen langweilig war, ihr Geist spornte dann die Fantasie zu Höchstleistungen an und er selbst hasste das Gefühl der bohrenden Leere in sich.
Doch der Lord hatte eine ganz andere Maßnahme ergriffen.
"Deshalb habe ich beschlossen, dir jemanden an deine Seite zu stellen."
Überrascht beugte Cornelius sich vor. "Sie wollen mir einen Partner geben?!"
"Ganz richtig. Jemanden, der dich vielleicht endlich dazu motiviert, meinen Anweisungen Folge zu leisten."
Was sollte er denn bitteschön mit einem Partner?! Ls Worten nach, schien das ein furchtbar gehorsamer Agent zu sein. "Marke Schleimspur",dachte sich Cornelius und sagte dann laut:
"Aber ich komme gut alleine zu Recht! Ich brauche wirklich keinen Partner!"
"PartnerIN, um genau zu sein" lächelte sein Gegenüber.
"Eine Frau?!" Ihm war klar, wie abwertend und skeptisch er klang, aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie das klappen sollte.
Würde sie sofort schreiend wegrennen, sobald es gefährlich würde? Würde sie immer nur belehrend im Weg stehen? Würde sie furchtbar eitel sein und sich um nichts in der Welt die Hände schnutzig machen wollen?
"Nun sei nicht so voreingenommen",brummte die ruhige Stimme des Lords aus dem Sessel,"sie kann jeden Moment hier sein. Ich habe sie direkt von ihrem Einsatz hierher geschickt."
Grandios.
Wie aufs Wort ertönten nun laute Schritte vor der Tür und kurz darauf streckte sich ein braun-blonder Schopf durch die Tür. Pfiffige, grüne Augen blitzten auf, als das Mädchen mit einem strahlenden Lächeln ihr Gesicht erhellte. Es war das strahlendste Lächeln, das Cornelius je gesehen hatte. Und es zeigte seine Wirkung, er lächelte zurück.
Er schätzte die Frau auf 20 Jahre, ihre blonden Haare, mit dem leichten rot-braunen Stich fielen in weichen Wellen über ihre Schultern und rund um ihre Stupsnase waren leichte Sommersprossen zu sehen, die sie versucht hatte, mit Schminke zu überdecken. Doch ihre leichte Schminke war an den meisten Stellen verwischt und auf ihrer linken Wange war ein schwach blutender Kratzer zu sehen.
"Gut, hier bin ich richtig",meinte sie erleichtert im Plauderton und trat vollständig ein, während sie weitersprach.
"Ich war zuerst im Nebenzimmer, da haben sich auch zwei Gentlemen unterhalten, ich hoffe ich habe sie nicht allzu gestört.
Guten Tag, Sir, ich bin ihre neue Partnerin, Sarafina. Sarafina Labelle." Sie hatte ihm die Hand hingestreckt, an der noch ein bisschen Staub klebte, doch Cornelius war unfähig sie zu schütteln. Er starrte sie einfach nur an. Miss Labelle sah an sich herunter und erklärte entschuldigend: "Ich bin gerade von einem Einsatz direkt hierher gefahren worden, bitte verzeihen Sie."
Sie stand da, mitten in dem vornehm in Deckfarben eingerichteten Zimmer in einer schwarzen, langärmligen Bluse, die ihren Körper hervorragend umspielte und ihre weiblichen Züge noch betonte und...einer schwarzen Hose! Es war keine normale Männerhose, weder die eleganten aus feinem Stoff, noch die dicken Arbeiterhosen. Ihre war viel enger, auf eine gewisse Art weiblicher geschnitten und aus einem glänzenden, lederähnlichen Material. Sie lag eng an ihren langen Beinen, die in den schwarzen, kleinen Schuhen steckten. Diese Frau schien erstaunlich kleine Füße zu haben.
"Kleiden Sie sich immer wie ein Mann?!"
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Die Lady, die Hosen trug
AventuraEine starke Kämpferin, mit einem (zu der Zeit) inakzeptablen Kleidungsstil und ein Topagent mit einem außergewöhnlichen Gedächtnis. Zwei junge Menschen mitten in einer Welt voller Verschwörungen und Lügen, auf der Suche nach der Wahrheit. Dieses Buc...