Kennenlernen

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Als Sarafina ihren Kopf durch die Tür steckte, war sie zum Zerreißen angespannt. Eine Frage nach der anderen jagte ihr durch den Kopf und verdrängte alle anderen Gedanken.

Wie alt war er?

Sah er gut aus?

War er ein Gentleman?

Konnte er gut mit Frauen umgehen?

War er stark?

War er schlau?

Was, wenn er das alles NICHT war?!

Ihr Herz beruhigte sich jedoch schlagartig, als sie die beiden Herren dort in den volkommen identischen Sesseln sitzen sah und auch ihre Gedanken verschwanden, als wären sie nie dagewesen. Die Schauspielerin in ihr, die Gabe, die sie so viele Jahre trainiert und verfeinert hatte, übernahm die Kontrolle und sprach drauflos.

"Gut, hier bin ich richtig", hörte sie sich sagen. Sie betrat den Raum und noch während sie die Türe hinter sich zuzog sprach sie kurz den Vorfall an, bei dem sie kurz vorher sehr peinlich in ein Gespräch zweier, wohl wichtiger Herren geplatzt war. Vor Scham war sie rot angelaufen und hatte ohne ein Wort die Tür schnell wieder geschlossen. Allein der Gedanke an die Gesichter der Herren, ließ die Röte wieder in ihr aufsteigen.

Doch nun machte sie einen Schritt auf den Gesprächspartner ihres Chefs, Lord L. zu. Sarafinas zukünftiger Partner war ein junger Mann, den sie etwa auf Anfang 20 schätzte, vielleicht etwas älter als sie selbst. Obwohl er saß, war zu erkennen, dass er relativ groß war und dass sich unter seinem Anzug eine vermutlich schlanke, trainierte Figur befand. Er hatte schwarzes, welliges Haar, aus dem eine kleine, verrutschte Strähne gerade so lang war, dass sie in seinem linken Auge hing. Als Sarafina ihn gemustert hatte, war ihr Blick unweigerlich an seinen tiefen, braunen Augen hängengeblieben. Sie wirkten so hypnotisch beruhigend auf sie, dass sie fast vergessen hätte, warum sie eigentlich hier war.

Sie sah, dass er ihr Lächeln erwiderte, stellte sich als seine Partnerin vor und streckte ihm schließlich die Hand hin, die er aber nicht ergriff. Das Lächeln war ihm aus dem Gesicht gerutscht und mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem seltsamen Blick musterte er sie.  Sarafina guckte an sich herunter und bemerkte, dass sie noch immer ihre Hosen trug. Lord L. hatte sie extra für sie schneidern lassen. Ihr war es egal, dass alle sagten, eine Frau könne keine Hosen tragen, sie waren bequem, praktisch bei einem Einsatz und die, die der Schneider ihr gemacht hatte, sahen sogar richtig gut aus.

"Ich bin gerade von einem Einsatz direkt hierher gefahren worden. Bitte entschuldigen Sie",erklärte sie. Diese Art von Reaktion war sie gewöhnt, wenn Männer sie sahen. Von den Frauen allerdings erntete sie meist neidische Blicke oder ein Lächeln, aber leider auch oft nur ein abfälliges Lachen. Ihr war das egal.

"Kleiden Sie sich immer wie ein Mann?",durchbrach die leicht raue Stimme des jungen Mannes die Stille. Sarafina nahm sowohl die Skepsis darin wie auch den tadelnden Blick Lord L.s in Richtung des Mannes wahr. Er wirkte, als hätte er ein kleines Kind vor sich, das gerade etwas sehr unschickliches gesagt hatte und nicht, als säße dort ein erwachsener Mann.

Doch sie lachte nur kurz. "Nicht immer. Aber sagen Sie mir, was ist so falsch daran?"

"Nun", er hob die Hand zum Mund, legte den Kopf leicht schief und grinste amüsiert,"wenn es Ihnen gefällt, auszusehen, wie ein Mann. Vielleicht ist das ja Ihre spezielle Art der Tarnung..."

Sarafina grinste noch immer und erwiderte sofort:

"Erstens: Wenn Sie mich nur bis hier", sie zog mit der Hand eine Linie knapp unterhalb ihres Bauches,"betrachten, sehe ich noch immer eindeutig weiblich aus.

Die Lady, die Hosen trugWo Geschichten leben. Entdecke jetzt