Ungewollte Rache

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»Du machst das schon. Der Tag ist schneller vorbei, als du denkst. Nun los ,geh, Lilia, sonst kommst du noch zu spät.«

Dies waren die letzten Worte, die die alte Mrs. Devany an Lilia gerichtet hatte, bevor sie sie in die Schule schickte. Lilia konnte es kaum erwarten, wieder den ganzen Tag von Olivia und ihren Freundinnen Taliena und Lissana schikaniert zu werden. Noch mehr freute sie sich auf de Zusammenarbeit mit Olivia. Sie seufzte laut. Wann hat das alles endlich ein Ende, fragte sie sich immer wieder, doch die Antwort darauf konnte ihr niemand geben.

Von ihr zu Hause war es kein weiter Weg in die Schule. Ungefähr zehn Minuten war sie jeden Tag unterwegs. Zum Glück war es ausgeschlossen, dass ihr Olivia auf dem Weg begegnete, da sie jeden Tag von ihrem Vater in die Schule gefahren wurde. Die arme Olivia konnte doch keine paar Minuten zu Fuß gehen, da würde sie noch ihre Schuhe dreckig machen. Mittlerweile bedauerte Lilia die Familie Gallagher, obwohl sie reich waren und einfach alles an materealistischen Dingen hatten, die man sich nur wünschen konnte.

Lilia war nur froh, dass es einen Menschen gab, der die Gallaghers genau so durchschaut hatte, wie sie. Das war ihre Großmutter, die alte Mrs. Devany. Nur die beiden erkannten wie die Familie wirklich war. Die anderen Leute in Durham hielten sich entweder von ihnen fern, da sie nichts mit unfreundlichen Schnösel am Hut haben wollten oder ihre Freundschaft wurde erkauft. Leisten konnten sie es sich ja und mal ehrlich, wer würde sich freiwillig mit Leuten wie den Gallaghers die Zeit vertreiben. Viele Freunde hatten die Gallaghers ja nicht, doch wenn welche an ihrem Haus vorbei kamen, dann waren dies genau solche Leute, die sich einfach für etwas Besseres hielten, weil sie Geld hatten.

Bei den Devanys hingegen war ständig Besuch. Die alte Mrs. Devany hatte viele Freunde aus ihrer Kindheit hier in Durham, die sie oft zu einer Tasse Kaffee und Kuchen einlud. Das Haus war fast immer voll mit Freunden der Familie. Doch nur selten kam es vor, dass auch Kinder das Haus betraten. Lilia war oft alleine. Aufgrund der Verfeindung mit Olivia, wurde sie ständig ausgegrenzt. Seit dem Kindergarten war das so, sie hatte noch nie wirklich einen Menschen, den sie als Freund bezeichnen konnte. Natürlich kam manchmal die kleine Enkelin der Mrs. Bostwick vorbei, doch die war ohnehin  drei Jahre jünger als Lilia. Das Verhältnis zwischen den beiden hatte noch nie gestimmt, dazu waren sie einfach zu unterschiedlich.

Als Lilia ihr Klassenzimmer betrat, spürte sie schon wieder einige merkwürdige Blicke auf ihr ruhen, die sie beunruhigten. Lilia war eigentlich nicht der Typ, der sofort losheulte, wenn ihr ein Haar gekrümmt wurde, doch nach und nach fühlte sie sich immer mehr Fehl am Platz, als gehöre sie nicht in diese Welt, zumindest nicht in diese Klasse mit Olivia und allen anderen, die Lilia wegen ihr nicht ausstehen konnten. Ihre Augen wanderten zu dem freien Platz in der letzten Reihe, auf dem sie schon seit Jahren alleine saß. Ein alter Sessel der jedes Mal knarrte, wenn man umher rutschte, ein lockeres Bankfach, bei dem Lilia jedes Mal die Angst hatte, es könnte abfallen, wenn sie noch ein Buch hineinlegte und einen vollgekritzelten Tisch mit Schimpfwörtern oder Ähnlichem.

Ihr Kopf neigte nach unten, ihr Blick war auf den Boden fixiert als sie schnellen Schrittes quer durch das Klassenzimmer huschte um zu ihrem Platz zu gelangen, ohne noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Doch schon hörte sie ein paar Mädchen tuscheln und kichern und das war bestimmt nicht wegen des schönen Wetters heute oder der Gruppenarbeit, die noch zu erledigen hatten. Lilia setzte sich, stützte mit ihrem Arm am Tisch gelehnt, ihren Kopf ab und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Keine zwei Minuten später betrat auch schon ihre Klassenlehrerin, Mrs. Carmody, den Raum.

»Ihr könnt euch schon mit eurem Partner zusammensetzten. Auch du Olivia, keine Widerrede.« Gemurmel und Ächzen hallten durch die ganze Klasse, während Lilia nur still ihre Sachen packte und sich zu Olivia setzte. Beide würdigten sich keines Blickes. Für Lilia war klar, dass sie einfach nur ihre Arbeit machen würde, während Olivia an ihren Fingernägeln herumkaute. Minuten vergingen, ohne dass die beiden ein Wort wechselten und Olivia einfach nur herumsaß und den anderen beim Arbeiten zusah. Natürlich passte das Mrs. Carmody, die sich die beiden sofort wieder vorknöpfte, gar nicht.

»Ihr sollt zusammen arbeiten«, betonte sie ausdrücklich und sah dabei Olivia an, die nur mit den Schultern zuckte. »Wenn ich zurück bin, will ich deinen Beitrag sehen.« Mit diesen Worten verließ Mrs. Carmody das Klassenzimmer. Wartend betrachtete Lilia sie, doch Olivia gab keinen Mucks von sich. »Hast du nicht gehört? Du sollst mir helfen.« Doch alles was Olivia von sich gab war ein arrogantes Kichern. »Was, Lily? Schaffst du das nicht alleine?« entgegnete sie heiter. »Ich heiße Lilia« »Wie auch immer. Gib mal her«, sagte sie und riss ihr ihren Stift aus der Hand. »War doch klar, dass du nicht im Stande bist, etwas alleine auf die Reihe zu kriegen. Deine Mutter war ja bekanntlich auch nicht die Hellste.«

»Es reicht. Halt den Mund!« brüllte Lilia lautstark und sprang von ihrem Stuhl. Amüsiert stand auch Olivia auf und grinste sie frech an. Wut stieg in Lilia hoch, sowie sie sie noch nie gespürt hatte. Ihre Hände ballte sie zu Fäusten. Olivia, die vor ihr stand, wirkte nun nicht mehr so taff, wie sie immer vorgab. Angst konnte man von ihrem Gesicht ablesen, während Lilia immer wütender wurde. Es schien, als konnte sie sich nicht mehr kontrollieren. Lichter begannen zu flacken, es fühlte sich an, als würde ein Sturm aufziehen und der Boden begann zu wackeln. Die anderen schrien und rannten wie wild umher, doch Olivia und Lilia standen sich noch immer starr gegenüber. Plötzlich erhob Lilia ihre geballten Fäuste und spürte solch einen enormen Druck in ihnen, dem sie nicht mehr lange standhalten konnte, das war gewiss. Doch ihr Zorn auf Olivia ließ kein Bisschen nach. Sie wusste, was auch immer geschehen würde, wenn sie ihre Hände öffnete, es war nichts Gutes. Und das wollte sie an Olivia auslassen. Für ihre Unverschämtheit und all die Jahre, die sie Lilia schikaniert hatte, wollte sie sich rächen. Nun war der Augenblick da. Ohne lange darüber nachzudenken, öffnete Lilia ihre Fäuste zu Olivia, die im Nächsten Moment in der Luft umhergewirbelt und gegen die Wand geschleudert wurde. Sie war bewusstlos.

Erst jetzt erwachte Lilia von ihrer Trance. Ihre Mitschüler begannen zu kreischen und sie fiel zu Boden, da sie ihr Gleichgewicht für einen Moment verloren hatte. Sofort erschrak sie als eine unbekannte Stimme ihren Namen rief.

»Lilia!« Sofort setzte sie sich wieder auf. Sie brauchte ein paar Sekunden um sich wieder zu sammeln und um zu erkennen, wer nach ihr gerufen hatte. Ein Mädchen, mit struppigen, blonden Haaren stand vor ihr und streckte ihr die Hand entgegen. Verwirrt nahm sie ihre Hand und wurde im Nu hochgezogen. Erstaunt über die Kraft des Mädchens, fragte sie sie: »Wer bist du?« »Das sag ich dir später. Komm mit mir, schnell«, antwortete sie und zog sie mit sich aus dem Klassenzimmer. Etwas eigenartiges ging hier vor, doch Lilia war sich nicht sicher, ob dies gerade wirklich geschehen war oder nur ein abartig, realistischer Traum war. 

Zauber der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt