Das Dorf von dem Leandra erzählt hatte, wusste nun also bescheid, dass Lilia gefunden wurde. Auch wenn sich Lilia noch immer fragte, was es so schwer gemacht hatte sie zu finden, denn irgendwo da draußen lebten eine unendliche Anzahl von Hexen, Zauberern und anderen magischen Wesen, da konnte es doch wohl nicht eine Zum-Kopf-Zerbrechen-Schwere Aufgabe sein, ein dreizehnjähriges Mädchen in einer winzigen Stadt zu finden.
Als Leandra am nächsten Tag, schon früh am Morgen wieder auftauchte, wie versprochen, hatte sie viel zu berichten. Lilia konnte es kaum erwarten, wann sie endlich kommen würde und war froh, als plötzlich jemand an der Haustür klopfte. Es konnte nur Leandra sein, dachte sie. Und das war sie auch.
»Guten Morgen«, sagte sie ruhig und marschierte an Lilia vorbei. »Morgen.« Leandra sah sie erwartungsvoll an. »Bist du bereit?«, fragte sie. Lilia nickte bloß. Nun hatte die alte Mrs. Devany den Raum betreten und begrüßte Leandra. Man sah ihr an, dass es ihr schwer fiel, ihre Enkelin gehen zu lassen, weit weg, wo sie nicht wusste, was mit ihr dort geschah. Obwohl Lilia ihr versprochen hatte, so oft als möglich hier zu sein, hatte Mrs. Devany Bedenken. Und das zu Recht. Von den Gefahren, hatte Leandra zwar nichts erzählt, doch wo es Magie gab, versteckte sich auch irgendwo ihre dunklen Seiten, das war gewiss.
»Du hättest die Gesichter der Leute gestern sehen sollen. Die hatten nicht erwartet, dass ein junges Mädchen, die verschollene Hexe finden würde.« - »Verschollen?« - »Ja, zumindest nannte man dich immer so. Wir suchen dich ja schon seit dreizehn Jahren.« Lilia stockte der Atem. Sie hatte zwar gewusst, dass sie gesucht wurde, doch, dass sie seit ihrer Geburt, die verschollene Hexe genannt wurde, blieb ihr bisher verborgen. Lilia hatte schon wieder das Gefühl, als würde sie sich selbst nicht einmal richtig kennen. Kam erst jetzt die ganze Wahrheit ans Licht, nach so vielen Jahren?
»Ich habe dir noch so einiges zu erzählen«, meinte Leandra. »Doch wir brechen jetzt besser auf, falls es noch Schwierigkeiten geben sollte. Wir sollten noch vor Mittag im Dorf sein.« Leandra deutete Lilia mit einer Handbewegung, dass sie mitkommen sollte, doch diese sah nur fragend ihre Großmutter an. »Keine Sorge, morgen kommst du ja nochmal wieder, um deine Sachen zu holen, dann könnt ihr euch richtig verabschieden.«
Lilia lief trotzdem noch auf ihre Großmutter zu und umarmte sie. Obwohl sie nur für einen Tag weg sein würde, wusste sie, dass sie ihr fehlen würde, denn Lilia war noch nie weiter von zu Hause weg, als in der Schule. Als Lilia sich von ihrer Großmutter löste, folgte sie Leandra und die beiden verließen schnell das Haus. Leandra hatte es ganz schön eilig. Vor dem Haus blieben sie schließlich wieder stehen. Zögernd sah sich Leandra in der Gegend um und blickte nervös zu Lilia. »Wird schon schief gehen.«
Einen Augenblick sah Lilia zur Seite und im nächsten Moment erblickte sie Leandra, wie sie mit ihren bloßen Händen Kreise in die Luft zeichnete, die sich nach und nach zu einer Art magischen Portal bildeten. Ein großer Bogen entstand, der aussah wie eine Tür, in der sich Wasser spiegelte. Es leuchtete so hell, dass Lilias Augen bei dessen Anblick immer schwächer wurden. Leandra trat einen Schritt nach vor, während sie ihren Arm festhielt. Sie setzte einen Fuß in das Portal und blickte Lilia erwartungsvoll an. Doch sie schüttelte nur den Kopf und versuchte sich loszureißen, was ihr nicht gelang. Leandra war stärker als sie. Als Lilia ihren Blick auf deren Hände schweifen ließ, wusste sie auch warum. Handschellen umschlossen deren beiden Hände. Sie spiegelten das Wasser, exakt so wie das Portal.
Lilia nickte schließlich zustimmend und trat ebenfalls einen Schritt nach vor. Leandra lächelte kurz und wandte sich schließlich wieder dem Portal zu, in das sie einen zweiten Fuß setzte und die beiden förmlich eigesaugt wurden. Plötzlich wurde ihr ganz schwindlig, alles rundherum schien sich zu drehen und nicht mehr aufzuhören, bis ihr auf einmal schwarz vor Augen wurde.
Stunden später
Langsam öffnete sie ihre Augen wieder. Sofort setzte sie sich auf und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Wie kam ich hierher, fragte sie sich. Lilias Kopf fing an zu schmerzen, als sie versuchte, sich zu erinnern. Wo war Leandra? Schließlich stand sie auf, um sie zu suchen.
Mit schleichenden Schritten tapste sie aus dem Zimmer, entlang des Ganges, der sich vor ihr befand. Eine Treppe führte hinab. Sie konnte Stimmen hören, die eindeutig von unten kamen. Vorsichtig setzte sie einen Fuß auf die erste Treppenstufe. Zu ihrem Glück knarrte diese nicht, da sie sich nicht sofort zeigen wollte. Als Lilia unten angelangt war, stellte sie sich ganz dicht an die Wand, neben der Türe in dessen Raum die Stimmen zu hören waren und lauschte dem Gespräch. Vielleicht konnte sie so etwas erfahren, das ihr Leandra bisher verschwiegen hatte.
»Ich habe die Befürchtung, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird«, hörte ich eine Frau sagen, vermutlich war sie Leandras Mutter. »Diese Angst hat jeder im Dorf. Sydenia hat keine Chance. Wenn Khyron erst einmal mit seinen Gefolgsleuten auftaucht, ist alles vorbei«, sagte ein Mann, sichtlich verzweifelt. Leandra meldete sich zu Wort. »Aber warum tut denn niemand etwas dagegen?« - »Niemand stellt sich Khyron freiwillig in den Weg. Die einzigen die stärker warten als er, sind Lyrelle und Jeffron. Außerdem geben die Leute vor, alles sei in Ordnung. Nur aus Angst, Leandra, weil sie zu feige sind.«
»Ich werde jetzt nach Lilia sehen«, seufzte Leandra und stand auf. Panik überfiel Lilia, schließlich sollte niemand erfahren, dass sie gelauscht hatte. Schnell ergriff sie die Flucht und lief wieder nach oben, gerade noch rechtzeitig, bevor Leandra den Raum verließ.
»Vergiss nicht. Lilia soll davon nichts erfahren. Es würde sie zu sehr verschrecken« Als Lilia das hörte, war sie schon fast wieder oben angelangt. Verschrecken würde mich heute nichts mehr, dachte sie, da könnte ich noch von Kobolden überfallen oder von Nixen gekidnappt werden. Wenige Sekunden nachdem Lilia wieder das Zimmer betrat, in dem sie aufgewacht war, erblickte sie auch schon Leandra. »Oh, wie schön, du bist schon wach. Komm gleich mit runter.« Lilia folgte ihr, ohne etwas zu sagen.
»Lilia, das sind meine Eltern«, sagte Leandra, als sie unten im Türrahmen standen. Leandras Mutter stellte sich als Herany Lithgow vor, ihr Vater als Adrion Lithgow.
»Wie sind wir hierher gekommen?«, wollte Lilia wissen. »Als wir durch das Portal gestiegen sind, bist du in Ohnmacht gefallen.«, kicherte Leandra. »Das ist keine Gewohnheit für Lilia. Damit hättest du rechnen müssen.«, entgegnete Adrion. Leandra hörte augenblicklich auf zu lachen.
»Lilia Devany, du bist mir ein unglaubliches Rätsel.«, sagte ihr Vater ernst, während er Lilia genau musterte. »Keine Vorfahren, die magische Kräfte hatten, wie kann das möglich sein? Du musst doch irgendwelche weitentfernten Verwandten haben, die einst Zauberer waren.« »Hat sie nicht. Ich habe Bücher gewälzt. Ebenso habe ich im Buch der Stammbäume nach einer Familie Devany gesucht, doch Nichts. Kein Fünkchen Magie in Lilias Familie«, warf Leandra dazwischen.
Leandras Vater, Adrion, erschien Lilia sehr unheimlich. Er war groß, hatte blasse Haut und im Gegensatz zu Leandra sehr dunkles Haar. Einige Naben zierten sein Gesicht. Er musste bestimmt oft gekämpft haben. Bei seinem Anblick erschauderte Lilia jedes Mal. Herany, hingegen, schien sehr herzlich und freundlich zu sein, da sie die ganze Zeit lächelte. Sie hatte ebenso wie ihre Tochter dichtes, struppiges, blondes Haar.
»Ihr solltet euch auf den Weg machen.« Herany ergriff das Wort. »Sydenia wartet bestimmt schon auf euch.« Leandra nickte bloß und führte Lilia an der Hand aus der Küche. Das ging Lilia alles zu schnell, sodass sie sich nicht mal mehr verabschieden konnte. Schon wieder sammelten sich so viele Fragen in ihrem Kopf, sodass sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte zu fragen. Wer war Sydenia? Warum durfte sie nichts von der angeblich lauernden Gefahr wissen?
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Zauber der Elemente
FantasyLilia Devany war noch ein Kleinkind als ihre Eltern ums Leben kamen, seither lebt sie bei ihren Großeltern in einer kleinen Stadt namens Durham. Ihr Leben war nicht gerade aufregend oder spannend, bis eines Tages in der Schule etwas merkwürdiges ges...