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Sobald die Figur ins Licht der Scheinwerfer trat, war die Angst, dass es sich um einen Schwerverbrecher handeln könnte in Luft aufgelöst.
Logan Marson, Footballspieler und Schulliebling; von allen Mädchen vergöttert und Idol der vorpubertären sechstklässler stand mit blutverschmierter Nase vor dem Fenster ihrer Mutter und klopfte mit der flachen Hand daran. Es war ein müdes Klopfen, viel zu leise und unaufregend für einen Typen wie ihn; oder jedenfalls für den Typen, der jeder in ihm sah.
Sie bedeutete ihrer Mutter mit einem Blick, dass sie ruhig aufmachen könne und richtete ihre Augen dann wieder auf ihn. Seine Locken standen wild in alle Richtungen ab; das war für gewöhnlich so, aber heute Nacht wirkte es nicht auf diese ganz unbeschwerte Weise cool. Zusammen mit den ausdruckslosen Augen und dem aschfahlen Gesicht hatte es etwas verzweifelt trauriges.
Savannah kannte diesen Gesichtsausdruck gut, besser sogar als ihr lieb war. Ihre Mutter hatte immer so geschaut, nachdem sie und Savannahs Vater sich getrennt hatten und auch nachdem sie das Versteck von Henris Stoff in seinem Zimmer gefunden und nicht gewusst hatte, was zu tun war. Sie war es gewohnt, dass Menschen verzweifelt traurig waren, aber nie, nie hätte sie erwartet diesen Ausdruck jemals auf einem Gesicht wie Logan Marson's zu sehen.

„Hallo", sagte er und seine Stimme klang gebrochen.
„Hallo", sagte Savannahs Mutter und musterte ihn skeptisch. „Hatten Sie einen Unfall mit dem Auto?" Er nickte nur stumm und kratzte sich mit der Hand am Hinterkopf.
„Wären Sie wohl so freundlich und würden mich mitnehmen?"
Savannah beobachtete, wie sich der Gesichtsausdruck ihrer Mutter langsam von Skepsis zu mütterlicher Fürsorge wandelte.
Sie würde ihn mitnehmen, das war ganz klar. So oft sie auch von ihrer Angst Fremde mitzunehmen sprach und ihrer Tochter einschärfte, sie solle dies auf gar keinen Fall tun, so konnte sie dennoch ihrer Hilfsbereitschaft und ihrem Sanftmut keinen Einhalt gebieten.

Seufzend stieg Savannah aus, um ihren Sitz nach vorne zu klappen und auf die Rückbank zu klettern. Ihre Mutter warf ihr einen überraschten Blick zu, sagte aber kein einziges Wort.
„Danke", sagte Logan schüchtern und kratzte sich nochmals am Kopf. „Das ist echt furchtbar nett von Ihnen." Er nahm Platz und sah durch den Außenspiegel Savannah an.
Für den Bruchteil einer Sekunde hielten sie Blickkontakt, dann sah Logan wieder weg und lächelte verhalten.

„Was machen Sie beruflich?", fragte ihre Mutter nach einiger Zeit interessiert und die Stille war gebrochen.
„Oh", begann Logan und Savannah hätte schwören können, dass er wieder zu ihr gesehen hatte. „Ich bin noch Schüler. Nächstes Jahr werde ich meinen Abschluss machen." Ihre Mutter hob die Augenbrauen. Savannah hatte fast das Gefühl, dass ihre Mutter es fertig brachte sie durch irgendeine nicht existierende Reflexion in der Windschutzscheibe oder nur durch mütterliches Können mahnend zu mustern, als sie erklärte: „Savannah hofft ihren Abschluss dieses Jahr endlich machen zu können, nicht wahr Savannah?"
Aber sie konnte sie nicht sehen, es gab keine Möglichkeit wie sie es hätte tun können. „Ja Mom", erwiderte sie trotzdem nur ruhig, um ihr keinen Anlass zur Ärgernis zu geben und verkniff sich genervt die Augen zu rollen.
„Sie mag nicht, wenn ich darüber spreche warum sie das Jahr wiederholen musste und ihren Abschluss noch nicht hat", erklärte sie weiter und der Ton in dem sie sprach war jetzt keineswegs mehr redselig, wie es Savannah am Anfang des Gesprächs vorgekommen war. Er war durchschneidend und sie glaubte, dass nicht nur sie und ihre Mutter wussten, dass dies so war, sondern dass auch Logan mittlerweile bemerkt hatte, wie angespannt die Stimmung zwischen Mutter und Tochter war, denn er saß nur stumm auf seinem Sitz.
Auf den ersten Blick wirkte er ruhig, seine Beine waren ausgestreckt und locker am Knöchel verschränkt und sein Arm ruhte ruhig auf der Armlehne der Autotür. Aber seine Muskeln im Arm waren angespannt; die rauen Finger umspielten die Türklinke fast so, als würde er sie jeden Moment herunterdrücken und die Scharniere der Tür aufschwingen lassen.
Durch den Seitenspiegel konnte sie in das beinahe makellose Gesicht sehen. Ihr Blick glitt von den ausdruckslosen, blauen Augen zu dem angespannten Kiefer wo er einen Moment länger als nötig verweilte.
Er hatte entspannt gewirkt, als er eingestiegen war, fast erlöst und jetzt, keine fünf Minuten später hatte Savannah das Gefühl, dass es ein völlig anderer Mensch war, der da auf dem Sitz vor ihr saß. Dass es nicht der Selbe Mensch sein konnte, denn wer konnte so schnell zwischen zwei so Gegenteiligen Emotionen wechseln? Du selbst, dachte sie, du kannst das. Und du machst es ständig. Sie verschränkte die Finger miteinander und starrte schuldbewusst auf die kleinen Nagellacksplitter, die auf ihren Nägeln noch übrig waren. Stän- ,wiederholte sie das Wort und betonte jeden einzelnen Buchstaben, als wolle sie seinen Klang auf ihrer Zunge spüren. -dig.
„Das ist doch nicht schlimm", sagte Logan plötzlich und riss Savannah aus ihren Gedanken. Einen Moment lang wusste sie nicht mehr, wovon das Gespräch gehandelt hatte, bis es ihr wieder einfiel.
Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Gaumen aus.
Sie reden über mich, als wäre ich nicht da. Als wäre ich ein Forschungsprojekt. Sie sind genau wie Greenslee; meine eigene Mutter ist genau wie er.
Aber Logans Blick wanderte wieder zu ihrem und sie trafen sich in dem Seitenspiegel des Autos. „Das ist doch nicht schlimm", wiederholte er diesmal etwas leiser, aber es reichte damit Savannah es verstand. Sie hätte ihn auch so verstanden, die Worte konnte sie einfach von seinen Lippen lesen aber es dauerte mehrere Sekunden bis ihr klar war, was er gesagt hatte; wie er es gesagt hatte.
Seine Worte galten ihr; er sprach nicht über sie, hatte es wohlmöglich nie getan.
Er sprach mit ihr.

A/N:
Vielen Dank für die über 100 reads!
Wie findet ihr die Richtung in die sich das Buch entwickelt? Habt ihr Änderungsvorschläge oder Kritik? Lasst beides gerne da, ich lese Kritik immer gerne.

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