etwa sieben Wochen nach dem Fall - 30.07.

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Loslassen. Loslassen war noch schwerer, als sich auf diese Schnitzeljagd einlassen. Ich vermisste ihn und wusste aber nicht mal wirklich, wen genau. Der Nebel in meinen Gedanken wurde nur dichter und ich hatte das Gefühl, dass ich langsam aber sicher in eine Depression abrutschte. Ich war so unsicher. Ich hatte keine Lust, neue Leute kennen zu lernen, denn ich wollte erst wissen, was mir verloren gegangen war. Ich versuchte positiv zu bleiben. Wenigstens meiner Mutter zu Liebe. Namjoon kümmerte sich rührend um mich und Hobi und Yoongi versuchten herauszubekommen, wer Jungkook sein könnte, doch sie kamen nicht weit ohne Familiennamen.

Langsam gab ich es wirklich auf und mich der Leere hin, die er zurück ließ. Ich nahm den Chat vor.

'Heute?'
'Nein.'

Was hatte das nur zu bedeuten? Erschöpft lümmelte ich mich auf das Sofa in unserem Wohnzimmer. Ich schloss meine Augen und lehnte meinen Kopf zurück.

'Ich werde dich zur Not jeden Tag um ein Date fragen', sagte ich und ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. 'Ich werde einfach jeden Tag nein sagen', antwortete er und doch traf er sich jeden Tag mit mir.

Ich riss die Augen auf. WO?! Wo hatte ich mich mit ihm getroffen?! Ich setzte mich wieder ordentlich auf und öffnete die Googleapp und suchte einfach mal nach Café. Siehe da, da waren tatsächlich Ergebnisse und eins davon sagte mir so gar nichts...

Warum wohl? Ich muss dort gewesen sein, aber erinnerte mich nicht. Das schrie nach einem Ort, den ich aufgesucht hatte, weil mich ein gewisser Jemand da hingeschleppt hatte. Mein Herz klopfte so wild, wie seit Wochen nicht mehr. Ich hatte endlich eine neue Spur. Vielleicht musste ich doch noch nicht los lassen.

Ich sprang auf. Das würde ich mir jetzt gleich ansehen. Schnell zog ich meine Jacke über und die Schuhe an, dann rannte ich raus und nahm die nächste Bahn Richtung Stadtzentrum. Ich checkte die App und musste feststellen, dass dieses Cafe ganz in der Nähe der Firma meines Vaters war. Es war nur ein Katzensprung. Ich lächelte. Wenn ich schon mal in der Nähe war, dann würde ich am Coffeeshop halt machen und den Mädels im Sekretariat eine Rune Kaffee spendieren, wie in alten Zeiten, als ich noch als Rookie durch die Firma gerannt bin - von einem Stockwerk ins andere immer auf der Suche nach einem freien Kopierer.

Seit dem letzten Jahr arbeitete ich in den Ferien mit oben bei meinem Dad. Das war eine andere Schiene. Es war fast wie eine andere Firma, denn es war ein ganz anderes Gebäude ein paar Straßen weiter. Man musste sich das so vorstellen, wie ein riesiges Gelände und die Büros waren auf er einen Seite, die Produktion in der Mitte und das Management auf der anderen Seite des Geländes. Ich kam gar nicht mehr in den unteren Teil der Firma und ich war schon viel zu lange nicht mehr dort gewesen.

Ich machte also halt, bestellte den Kaffee so, wie die Mädels - okay, sie waren allesamt Frauen mittleren Alters - ihn tranken und machte mich mit dem ganzen Kram und einer Kiste Donuts auf den Weg in den Bürotrakt, den man über den Westeingang betreten konnte. Ich balancierte alles nach drinnen und stellte es auf den erstbesten Tisch. "Nawww, Hallo Ladies", sagte ich in einem Singsang und sofort standen alle auf, um mich zu herzen und zu drücken wie einen verloren Sohn, der wieder aufgetaucht war.

Ich nahm mir auch einen Donut und unterhielt mich ein bisschen mit den Damen, die mir erst mal erzählten, dass der neue Rookie fast so süß wäre wie ich. Dass es einen neuen Rookie gab, wunderte mich nicht, denn ich war ja jetzt schon fast ein Jahr in einem anderen Gebäude und es gab sowieso immer mehrere. Mein Vater stellte ganz gerne Schüler ein. Diese hatten Nachmittags frei und er sah es als seine Pflicht, die Jugend wenigstens ein wenig an Arbeit zu gewöhnen, damit sie nicht alle vollends verfaulten. Zitat Ende.

Ich fragte also nicht weiter nach dem Neuen, denn hey, schön für die Mädels, wenn sie wieder was zum Knuddeln und rumscheuchen hatte, doch ich hatte wichtigere Dinge zu tun, als mich mit dem neuen Rookie anzufreunden, der im Moment eh nicht da war. Er hatte Pause. Er würde also eh nicht so schnell auftauchen.

Nachdem ich noch eine halbe Stunde gequatscht hatte, verließ ich die Mädels also wieder und machte mich auf den Weg in dieses ominöse Cafe, dass ich nicht kannte, oder nicht mehr kannte, ich hoffte auf Flashbacks. Irgendwas was mir einen Hinweis darauf gab, wo ich ihn finden konnte.

Die Fußgängerampel schaltete auf Grün und ich setzte mich mit einer Traube an Menschen in Bewegung. Ich sah auf und mein Blick glitt eher unbestimmt durch die Masse der Menschen auf der anderen Straßenseite, die sich uns entgegen bewegten.

Da stand er. Warf einen Blick auf die Ampel und kam auf mich zu. Sobald er registriert hatte, dass er gehen konnte, hatte er den Kopf wieder gesenkt und die Hände in den Taschen seiner Jacke... Moment... meiner Jacke versenkt. Ich blieb mitten auf der Straße stehen, wartete, dass er zu mir aufschloss und ging dann einfach mit klopfendem Herzen neben ihm her. Er bemerkte mich zunächst nicht mal, doch nach ein paar Schritten schien er sich beobachtet zu fühlen.

Er sah irritiert auf und als er mich erblickte, weiteten sich seine Augen. Er stolperte einen Schritt zurück und blieb stehen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich wusste nur, dass ich erleichtert war, ihn vor mir stehen zu sehen.

Um uns herum schien die Welt zu gefrieren. Es gab nur ihn und mich und ich sah wie sein Blick von einer Seite auf die Andere ging. "Wag es nicht abzuhauen" sagte ich ruhig und er zuckte zusammen. Wieso hatte ich das Gefühl, dass ich das nicht das erste Mal zu ihm sagte? Doch es half anscheinend nichts. Erst trat er einen Schritt auf mich zu. "Hör zu", sagte er angespannt. "Du solltest froh sein, mich vergessen zu haben. So steh ich dir wenigstens nicht im Weg. Suche einfach nicht weiter nach mir. Ich bringe dir eh nur Stress. Du bist frei, Tae."

Ich war sprachlos. Langsam schüttelte ich den Kopf. Ich begriff nur, dass er ein Idiot war, denn wahrscheinlich hatte ich ihm das schon einmal ausreden müssen. Er biss sich auf die Lippe und sah dann wieder zu mir auf. "Ich denke doch nur an dich, Tae."

'Tae... ich denke doch nur an dich.'

Definitiv. Wir waren schon mal an diesem Punkt gewesen. Ich wusste zwar nicht mehr, wie ich ihn umgestimmt hatte, doch ich würde es wieder tun.

"Machs gut", sagte er und rannte los.

Oh, ich würde es wieder tun, wenn er nicht vor mir wegrannte, als sei er ein Handtaschendieb auf der Flucht vor der Polizei. In meiner Jacke! Leck mich doch!

Ich setzte ihm nach, denn ich wollte ihn nicht gehen lassen, aber der Junge war so! Schnell! Er rannte wie der Blitz und ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich nicht öfter joggen ging. Schon nach ein paar Straßen hatte ich ihn aus den Augen verloren. Ich fluchte frustriert.


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