etwa neun Wochen nach dem Fall - 08.08 - nach einem sinnfreien Sprung

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Ja. Ne.

Das war dann wohl nichts gewesen. Kein Flashback, keine Erinnerung, nur Wasser.

In der Nähe war die Firma meines Vaters, also beschloss ich dahin zu gehen und mich umzuziehen. Ich hatte bestimmt noch was im Schrank der Rookies liegen lassen. Genervt fuhr ich mir durch die nassen Haare und ignorierte die Blicke der Passanten, die mich irritiert im Vorbeigehen musterten. Ich nickte ihnen freundlich zu.

Ein kleines Seufzen kam über meine Lippen. Dann dachte ich drüber nach, ob die Damen den Anblick von mir in Boxershorts und T-Shirt wohl ertragen konnten. Das wäre ja nicht mal das erste Mal, dass ich irgendwie komisch da rum lief, die vermissten das sicher schmerzlich. Der neue Rookie machte sowas sicherlich ni...

Der neue Rookie.

Der neue...

Ich hatte Jungkook den Job versaut. Ich hatte dafür gesorgt, dass er nicht mehr in dem Casino arbeiten konnte. Das hätte ich nicht getan, ohne ihm eine Alternative zu bieten. Niemals. Ich war so! Blöd! Natürlich war er der Neue! Ich konnte nur hoffen, dass er es immer noch war, denn er wollte mich ja aus irgendeinem Grund, den er Schicksal genannt hatte, hinter sich lassen.

Doch hey, vor anderthalb Wochen war er auf jeden Fall noch da gewesen, obwohl er wusste, dass ich theoretisch alle paar Wochen vorbei kam. Vielleicht fühlte er sich sicher, weil ich ja nicht oft die Zeit hatte. Vielleicht brauchte er den Job aber einfach nur sehr, sehr dringend. Er verdiente hier gutes Geld und er war schlimmere Arbeit gewöhnt.

Ich vermutete fast, dass er das Geld dringend brauchte und das nicht nur für sich selbst. Sonst würde er wohl kaum so ein Risiko eingehen.

Ein kleiner Teil von mir hoffte, dass er außerdem doch noch gefunden werden wollte. Dass er mir diese Chance dann doch noch ließ. Ich wusste nicht viel über ihn. Ich konnte mir viele Sachen einfach nur zusammenreimen. Doch ich wusste nur eins: Wahrscheinlich hatte ich ihn gefunden.

Ich tropfte die den Gang des Großraumbüros nass und schon nach drei Schritten waren vier von sechs Mädels um mich herum und alle schnatterten durcheinander, fragten mich, was passiert ist und ich hob nur beschwichtigend die Hände. "Ich bin nur von einer Brücke gesprungen."

Noch mehr Geschnatter. In allen Varianten - von aufgebracht bis zornig. Ich hörte gar nicht hin, sondern zog mir nur schon Mal den Pulli über den Kopf.

"Willst du denn umkommen, Taehyung?! Wie kannst du nur?!" Blablabla. Ich hatte jemanden zu finden. "Ist Jungkook da?", fragte ich einfach ganz nebenbei und eine der Ladies besaß die Freundlichkeit mir zu antworten. "Du kennst Jungkook?", meinte sie verdutzt. Wow, er hatte also den Job angenommen, aber ihn sich selbst geangelt, was? Mir schien er war ein Typ, der zu stolz war, sich helfen zu lassen und sonst auch nicht wollte, dass er jemandem etwas schuldete. "Ich hab ihn vergessen, doch das hält mich nicht auf. Wo ist er?"

"Kaffee holen", antwortete eine Andere und ich nickte zufrieden. "Kann ihn jemand anrufen, ihm sagen, dass er einen mehr mitbringen soll?", fragte ich nur locker. "Wird gemacht." Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Ich ging mich umziehen - zum Glück hatte ich mal Sportsachen hier gelassen, das war besser als gar nichts. Dann ging ich zurück und setzte mich einfach an einen der Schreibtische, der gerade nicht besetzt war und wartete. 

Dieses Mal würde er mir nicht entwischen.

Schon nach einer Weile, ging die Tür auf und ich konnte einen schwarzen Haarschopf ausmachen. Er verteilte den Kaffee und drehte sich dann um. "Für wen ist der Letzte?", fragte er laut. "Für mich", machte ich auf mich aufmerksam und er wirbelte herum. Er sah mich mit einem kaum deutbaren Blick an und biss sich auf die Unterlippe, dann erwachte er aus seiner Starre und bewegte sich auf meinen Tisch zu. Er stellte mir den Kaffee hin, doch der interessierte mich Recht wenig. Ich nutze die Gelegenheit und schnappte sein Handgelenk.

Ohne weitere Umschweife, zog ich ihn unter Protesten hinter mir her, schleifte ihn ins Klo, öffnete eine der Kabinen, schubste ihn hinein und folgte. Er wollte die Tür von innen gleich wieder auf machen, doch ich drückte sie mit meinem Gewicht wieder zu, was den netten Nebeneffekt hatte, dass er zwischen meinen Armen eingesperrt war. Er drehte sich zu mir um und funkelte mich an.

Tief holte er Luft, um was zu sagen, doch ich lies ihn gar nicht erst anfangen. "Schluss jetzt", bestimmte ich und küsste ihn. Mir war danach. Ich wollte es. Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich richtig an. Er war im ersten Moment total überfordert, doch schon nach einigen Augenblicken konnte ich spüren, wie er den Kuss erwiderte.

Es beflügelte mich und gab mir den Mut einen Schritt weiter zu gehen und den Kuss zu vertiefen. Er schlang die Arme um meinen Nacken und zog mich näher an sich ran. Zärtlich fuhr er durch die feinen Härchen in meinem Nacken.

Er stöhnte und wandte sich unter mir. Sein Griff um meinen Nacken verkrampfte sich etwas und er kratze leicht über meine Schultern.

Holy. Ich sollte mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Sonst bekamen ich und mein bestes Stück Probleme, um die wir uns jetzt nicht kümmern konnten. Plus, Jungkook war gerade wichtiger. Ich löste mich von ihm und seine Hände glitten von meinem Nacken an meine Wangen.

"Erinnerst du dich?", fragte er und konnte die Tränen, die sich in seinen Augen sammelten nicht mehr zurück halten. Ich schüttelte den Kopf. Er wollte mich los lassen, doch ich schlang die Arme um ihn. "Ich weiß genug...", murmelte ich an seinem Ohr. Mein Herz schlug wie wild und ein Kribbeln hatte meinen Körper erfasst. Mich noch mal in ihn zu verlieben, sollte nicht schwer werden, er musste es nur zulassen. Ich fuhr ihm durch die Haare. Ich liebte das Gefühl seiner seidenweichen, schwarzen Strähnen zwischen meinen Fingerspitzen schon jetzt viel zu sehr. "Ich hatte gehofft, dass ich meine Erinnerungen alle zurück bekomme, wenn ich dich nur küsse, aber das ist dann wohl doch nicht drin", scherzte ich und kassierte einen frustrierten Schlag seinerseits in meine Seite. Dann sah er mich wie ein getretener Hund an. 

"Aber dein Vater... Ich kann doch nicht... Du... Ich will nicht, dass du wegen mir...", begann er durcheinander zu stammeln. Ich legte ihm klischeemäßig einen Finger auf den Mund und strich ihm über den Rücken. "Er liebt mich, das wird er immer", sagte ich nur und zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich war er den Ärger wert. Ich konnte nur feststellen, dass dieser Kloß, den ich wochenlang im Hals gehabt hatte, endlich weg war. Mir ging es so gut wie schon lange nicht mehr, zumindest fühlte es sich an.

Er versuchte die Tränen zurück zu halten. "Ich bin Schuld an allem...", wisperte er. Ich schüttelte den Kopf. "Erzähl mir erst mal was passiert ist, dann kann ich immer noch entscheiden, ob du Schuld warst, oder nicht." "Du bist so du." "Ich weiß."

Ich wischte seine Tränen weg. Wir mussten reden. Viel und lange. Außerdem schuldete er mir eine Erklärung, warum er versuchte mich los zu werden. Er war der Einzige, der mir erzählen konnte, was ich vergessen hatte und er würde nicht drumrum kommen, mir zu erläutern, was in seinem Kopf vorging. Doch eine Toilette war dafür nicht der richtige Ort. 

"Versprich mir nicht mehr wegzugehen", forderte ich und stieß mich von der Kabinenwand ab. Er sah wieder zu mir auf und nickte zögerlich. Ich lächelte ein wenig und öffnete die Tür.

"Heute?"
"Ja."







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