*Kapitel 2*

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Es kam Jacob wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich wieder im Bus nach Hause saß. Er hatte in einem Test eine Fünf Minus geschrieben und konnte sich einfach nur den hochroten Kopf von Mrs. Smith vorstellen, während sie ihm zum gefühlt millionensten Mal eine Standpauke hielt. Das trieb seine Laune sofort in den Keller. Warscheinlich würde er in den Wald neben dem Waisenhaus gehen, sich auf seine Lieblingslichtung legen und erst gegen Acht nach Hause kommen. Dann war Mrs. Smith müde und es würde weniger Ärger geben. Vor Kessys Haus verabschiedete er sich von seiner Freundin und überhörte das Lachen von Andys Freunden. Als der Bus dann endlich vor dem Waisenhaus hielt, stieg er als Letzter aus und wartete, bis Andy und seine Freunde im Haus waren. Dann schlich er sich in den Wald. Mrs. Smith hasste es, wenn er im Wald war. Aber das war immer noch weniger Ärger als eine schlechte Note mit nach Hause zu bringen. Er legte sich auf das weiche Moos und genoss den Geruch von frischen Gras. Dann schloss er die Augen und nickte ein.

Er stand auf einem Feld, dass zu groß war, um es vollständig zu überblicken. Auf der gegenüberliegenden seite standen viele Menschen mit Langschwertern und Rüstungen. Jacob gab ein Kommando und die Wölfe stürzten auf die Menschen zu. Es war ein wildes Gefecht, und als dann auch Jacob einen Gegner vor sich stehen hatte, der ihn mit einer spitzen Lanze bedrohte, biss er ihn in den Arm und zerkratzte ihm sein Gesicht mit einem einzigen hieb seiner Klaue... er hatte Klauen? Er schaute an sich herunter. Er war ein weisser Wolf. Doch ehe er sich selber fertig bewundern konnte, stürzte schon der nächste Feind auf ihn, er winselte überrascht, als er von hinten gepackt wurde. Jacob versuchte, mit Zähnen und Klauen den Angreifer zu erwischen, doch nichts half. Er spürte einen zerreißenden Schmerz in seinem Unterleib. Er sah an sich hinab. Jacobs Fell wurde von Blut rot verfärbt, und er hörte sich ein letztes Mal kläglich aufheulen, dann wurde alles schwarz.

Jacob erwachte keuchend und fand sich auf der Lichtung wieder. Er sah immernoch seinen Angreifer vor sich, wie er ein Schwert durch seinen Wolfskörper stach. Allerdings wunderte er sich auch. Er hatte noch nie so einen realistischen Traum gehabt. Jacob schauderte, bevor ihm wieder einfiel, warum er aufgewacht war. Da war ein knacksen in den Büschen. Er kniff die Augen zusammen und starrte zwischen die Bäume. Da war es schon wieder, dieses Knacksen, und dann hörte er Stimmen, Gelächter. Jacob wusste genau, wem das Lachen gehörte.

Andy.

Und tatsächlich trat nur wenig später sein Erzfeind mit seiner gesamten Crew von Anhängern hinter zwei Bäumen hervor. Einer von ihnen steuerte schnurstracks auf seine Schultasche zu. Doch ehe Jacob was sagen konnte, schnappte der Junge sich die Tasche und überreichte sie triumphierend weiter an Andy, welcher sofort begann, Hefte zu zerreißen und Stifte zu zerbrechen. Dabei hatte er sein fieses Lächeln aufgesetzt. Mit jedem zerrissenen Blatt und jedem abgebrochenen Stiftteil wuchs Jacobs Wut, die wie aus dem nichts im inneren seiner Brust entstanden war. Sie hatte sich über die Jahre immer wieder angesammelt, doch er hatte sie meistens schnell verdrängt. Doch heute war das anders. Die Wut brodelte in ihm wie heisse Lava, die seinen Körper von innen zerfraß. Andy war inzwischen damit fertig, seine Hefte zu zerstören und starrte ihn grinsend an. „Ups, tut mir leid! Ich wusste ja nicht, dass das deins war!", höhnte Andy nun. Seine Freunde lachten, mal wieder, über diesen Witz. Die unstoppbare Wut hatte inzwischen alle Glieder von Jacobs Körpers erobert, und damit gab sie sich noch nicht zufrieden. Jeder seiner Gedanken wurde eingenommen und es kam ihm vor, als bestände sein Körper vollkommen aus dieser Wut. Seine Gedanken kristallisierten sich plötzlich zu einem einzigen Wort:

Rache.
Und dann explodierte die Wut.

Jacob stieß einen wütenden Schrei aus, und in Andys Augen blitzte plötzlich etwas auf, was er noch nie bei ihm gesehen hatte. Angst. Jacob fühlte, wie sein Körper sich verformte. Ihm wuchsen spitze Zähne, Klauen und ein Schwanz. Er keuchte, als ihm klar wurde was grade passiert war.
Er hatte sich in einen Wolf verwandelt.
Und plötzlich kam ihm sein Traum klarer vor.

Instinkt -  Das Heulen der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt