Jacob knurrte und entblößte seine spitzen, weissen Zähne, während er um die verängstigten Jungen schlich. Er bemerkte jedes kleinste Detail. Fast jeder der Jungen hatte Angst, nur einer hatte Todesangst, er konnte sich gut vorstellen, das dieser Junge Andy war. In der Menge sah er auch ein kleines Mädchen. Warscheinlich hatte Andy sie einfach mit in den Wald gezogen. Sowas würde er seinem Feind zutrauen, da er neue im Waisenheim immer schnell auf seine Seite zieht.
Ganz plötzlich kochte die Wut wieder in ihm auf, aber dieses Mal übernahm sie seinen Körper in Windeseile. Er stürzte sich mitten in die Gruppe, und dem ersten, den er zu packen bekam, verpasste er Eine mit seinen messerscharfen Krallen. Die Gruppe sprang auseinander, doch Jacob war schneller. Er sprang schon auf den Nächsten zu und hörte beim Aufprall ein gewaltiges knachsen, dann schrie der Junge, den er erwischt hatte, laut auf. So bekämpfte er jeden, der in der Gruppe stand. Besonders bei Andy, genoss er das Gefühl, endlich mal Überhand zu haben. Aber dieses Genussgefühl machte ihm auch Angst. Immerhin war es nicht normal, Genuss dabei zu empfinden, anderen zu schaden, ganz zu schweigen davon, sich in einen Wolf zu verwandeln.
Mittlerweile lagen alle Jungen reglos auf dem Boden, ein paar hatten sich schon wieder aufgerappelt und waren weggerannt, und das tat der Rest ihnen jetzt gleich. Jacob knurrte sie noch einmal an, sodass auch die letzten jetzt flüchteten. Nur noch einer stand. Das Mädchen. Die Wut trieb ihn zum Mädchen und befahl ihm, auch ihr zu schaden. Sie hat nichts getan! Schrie er seine innere Wut verzweifelt an, als könnte sie ihm antworten. Das Mädchen, Alice, glaubte er, drückte sich ängstlich gegen einen Baum hinter ihr. Jacob wehrte sich mit Leibeskräften, verankerte die Krallen ihm Boden und versuchte, wegzurennen. Schließlich schaffte er es, vor dem Mädchen stehen zu bleiben. Die Wut quälte ihn weiterhin, bis er wieder in der Defensive stand, und sein Körper wieder der Wut gehörte. Jacobs Zähne waren gefährlich nah an der Kehle von Alice. Jacob konnte nicht mehr zusehen und riss mit aller Kraft seinen Körper wieder an sich und rief dem Mädchen „Lauf!", zu, bevor er selber rannte. Er wusste nicht wohin, aber seine Pfoten trugen ihn immer weiter in den Wald, bis zu Teilen, die er noch nie gesehen hatte. Äste peitschten gegen seine Schnauze, und desto weiter er von Andy, seiner Crew und Alice wegkam, desto schwächer wurde die Wut, bis sie irgendwann ganz verschwand. Jacob lief trotzdem einfach weiter.
Irgendwann tauchte vor ihm ein alter Holzschlitten auf, warscheinlich eine Pferdekutsche oder so. Sie war alt und roch nach Moder. Jacob knurrte angewidert. Er schlich um die Kutsche herum, und entdeckte den von herabgefallenen Ästen bedeckten Eingang, und quetschte sich in das Fahrgestell. Dank seiner Wolfsaugen sah er trotz des spärlichen Lichts alles genau. Einige, von Motten zerfressene Decken lagen überall auf dem Boden verteilt. Der Eigentümer hatte die Kutsche wohl schnell verlassen, war vielleicht sogar geflüchtet. In einer Ecke stand eine Holzkiste. Jacob gab sich Mühe, seine Menschliche Form wiederzuerlangen, und nachdem ein Ziehen durch seinen Körper gefahren war, stand er auch schon wieder auf zwei Beinen. Zu seiner Überraschung war seinen Klamotten nichts passiert, doch das beschäftigte ihn nur kurz. Er öffnete die alte Kiste, die erst nach ein wenig ruckeln quietschend nachgab und einige Verstaubte Bücher freigab. In der ecke der Kiste war ein zerknülltes Stofftuch. Jacob nahm es in die Hand, und es fühlte sich schwer an. Da musste etwas drin sein! Der Junge wicklte den Stoff ab und zum vorschein kam ein Dolch mit Schriftzeichen darauf. Jacob beschloss, ihn mitzunehmen, und später zurückzukommen, um sich genauer umzusehen. Erst jetzt bekam er in den Sinn, was grade passiert war. Er hatte sich in einen überdimensionalen Wolf verwandelt. Und das vor Andy und anderen Waisen. Tausende Fragen, die nach einer Antwort schrien machten sich in seinem Kopf breit. Wieso jetzt? Warum konnte er sich nicht kontrollieren? Was war diese unglaubliche Wut gewesen? Und, die Frage, die ihn am meisten bedrückte: Hatte er geredet? Als ein Tier? So viele Fragen, und keine einzige Antwort. Jacob seufzte. Er musste zurück zum Waisenhaus. Nachdem, was er Andy angetan hatte, konnte er sich auf was ziemlich hartes einstellen. Er kroch aus dem Wagen und lief in eine bestimmte Richtung. Er hatte keine Ahnung, ob das richtig war, aber er konnte noch ganz schwach den Geruch von Andy und den Anderen wahrnehmen, seine Sinne schienen nun auch in Menschlicher Form gestärkt zu sein. Also rannte er in diese Richtung. Und tatsächlich, nur wenig später kam ihm die Umgebung immer bekannter vor und schon bald stand er auf der Lichtung, wo er Andy attackiert hatte.
Er schlich leise durch die Eingangstür vom Waisenhaus. Mrs. Smith schien zu schlafen. Beruhigt ließ er die Tür ins Schloss fallen. Doch schon stand Andy vor ihm. Einer seiner Freunde trug einen Verband um den Arm, andere hatten riesige Pflaster über die Kratzwunden geklebt. "Ey, Jacob.", sagte Andy noch hasserfüllter als sonst. "Keine ahnung, wie du das gemacht hast, vielleicht habe ich auch nur halluziniert. Aber ich habe gesehen, was ich gesehen habe. Und wenn ich dein kleines Geheimnis aufdecken kann, landest du in irgendeiner Zwangsjacke.", grinste Andy schadenfroh. "Andy, keiner ausser dir hat gesehen wie sich der Spinner angeblich in einen Wolf verwandelt hat, der Wolf hat dich warscheinlich einfach nur hart erwischt.", bemerkte der Junge mit dem gebrochenen Arm. "So, also du glaubst mir nicht?", fragte Andy genervt und packte den Jungen hart am verletzten Arm. "Nun gut, ich werde es allen beweisen!", sagte er mit zusammengekniffenen Augen, bevor er auf sein Zimmer ging und die Gruppe sich schnell auflöste. Jacob schlich die Treppe hoch in sein Zimmer. Er zog sich schnell saubere Klamotten an und setzte sich aufs Bett, dann holte er den Dolch raus und betrachtete ihn näher. Er hatte einen Wolfskopf auf der Klinge eingraviert. Wie passend, dachte er. Ob der Wagen wohl was damit zu tun hat? Er würde morgen warscheinlich den ganzen Tag dort verbringen, da morgen ja Samstag war. Vielleicht sollte er Kessy erzählen, dass er den Wagen zufällig gefunden hatte, dann war er nicht ganz allein. Jacob wickelte den Dolch in das Tuch und legte das Paket unter sein Bett, bevor er schlafen ging.

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Instinkt - Das Heulen der Wölfe
FantasyJacob ist ein ganz normaler Junge - Dachte er zumindest. Denn vor kurzem stellte sich heraus, dass er ein Werwolf ist. Doch seine neue Gabe bringt auch Schwierigkeiten mit sich. Jacob erfährt, dass nicht nur eine Welt existiert... Ein Fantasy-Roman...