Bleib hier!

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*Rose*

Es war schon weit nach Mitternacht, als ich seinen gleichmäßigen Atem vernahm. Spürte seinen Brustkorb, der sich ruhig hob und senkte. Noch immer hielt er mich fest an sich gedrückt. Sehr fest sogar. Fast schmerzlich fest. Doch es war mir nur Recht. Mein schlechtes Gewissen fraß mich innerlich auf. Mein schlechtes Gewissen Jonah gegenüber, weil ich ihn vergessen hatte. Ich konnte mich die letzten Tage einfach nicht an ihn erinnern. Wie ausgelöscht. Dabei liebte ich ihn doch über alles. Ich hatte ihn einfach im Stich gelassen. Und mein schlechtes Gewissen Carl gegenüber. Doch es half alles nichts. Es musste sein. Vorsichtig löste ich mich aus seinen Armen. Nahm meinen Rucksack und packte ihn leise. Holte aus der Küche zwei Wasserflaschen und packte auch diese ein. Mein Messer und meine Waffe legte ich oben drauf und mopste mir das gebrauchte Shirt von Carl und steckte es mit hinein. 

Anschließend setzte ich mich so auf das breite Fensterbrett, dass ich Carl beobachten konnte. Friedlich schlief er. Er machte mich so unsagbar glücklich. Fühlte mich bei ihm sicher und geborgen. Angekommen. Doch es fehlte etwas sehr Wichtiges.

„Rose...?" murmelte er verschlafen und tastete das Bett nach mir ab.

„Ich bin hier" erwiderte ich leise, verließ meinen Platz und kuschelte mich zu ihm ins Bett. Sofort zog er mich besitzergreifend in seine Arme. Rollte sich dabei halb auf mich drauf. Lächelnd legte ich meine Arme um ihn und drückte ihn an mich. Hielt ihn fest und atmete tief seinen Geruch ein. Seinen unwiderstehlichen männlichen, herben Duft, der mir schier die Sinne raubte. Bis auch mir die Augen zufallen.

Am nächsten Morgen machte ich mich ganz in Ruhe fertig. Mein Herz, es war schwer wie Blei. Immer wieder sammelten sich einzelne Tränen in meinen Augen, die ich mir verstohlen abwischte. Als ich fertig war, setzte ich mich auf das Bett und strich Carl sanft durch seine Haare. Verschlafen blinzelte er und lächelte mich dann an. Doch statt zurückzulächeln, liefen mir schon die ersten Tränen.

„Hey. Was ist los?" fragte er mich und deutlich konnte ich die Sorge in seiner Stimme heraushören. Er setzte sich auf, dabei fiel sein Blick auf meinen gepackten Rucksack und entsetzt riss er seine Augen auf. Schaute mich panisch an.

„Nein...Bitte nicht! Du darfst nicht gehen! Nicht schon wieder. Das kannst du mir nicht antun!" flüsterte er verzweifelt und auch ihm liefen die Tränen. Sanft legte ich meine Hand auf seine Wange, versuchte sie ihm wegzuwischen, doch es kamen immer wieder neue hinzu.

„Ich muss gehen. Es gibt etwas sehr Wichtiges, dass ich erledigen muss. Für mich! Für dich! Für uns!" versuchte ich ihm zu erklären.

„Es geht um einen anderen Mann, oder? Du hast gestern die ganze Zeit nach einem Jonah gerufen" schrie er mich nun verletzt an und mir rutschte mein Herz in die Hose.

„Oh Gott nein! Carl, bitte! Du musst mir vertrauen! Du musst mir glauben! Ich liebe nur dich! Es gab keinen anderen Mann für mich! Es wird für mich immer nur dich geben! Mein Herz gehört nur dir! Für immer!" erklärte ich ihm und hoffte so sehr, er würde es mir glauben. Verzweifelt schaute er mich an.

„Dann bleibe hier!" verlangte er.

„Das kann ich nicht. So gerne ich es auch würde" erwiderte ich leise.

„Ich überlebe keine weitere Trennung von dir. Nicht solch eine Trennung. Du darfst mich nicht verlassen! Nicht schon wieder! Ich habe dich doch gerade erst wieder! Ich brauche dich doch so sehr!" rief er verzweifelt und sein Blick brach mein Herz entzwei.

„In deinem Herzen" ich legte meine Hand auf sein Herz, „werde ich immer bei dir sein. Doch jetzt in diesem Augenblick gibt es jemanden, der mich dringender braucht. Und vergiss nicht, ich habe dich schon einmal wiedergefunden und ich werden dich wiederfinden. Immer und immer wieder, wenn es sein muss. Und dann werde ich dir alles erklären. Wirklich alles. Versprochen. Und vielleicht wirst du es dann verstehen. Vielleicht wirst du es dann nachvollziehen können. Ich liebe dich, mein starker Cowboy. Mehr, als mich selber. Für immer! Vergiss das bitte niemals" sanft legte ich meine Lippen ein letztes Mal auf seine. Schmeckte unsere salzigen Tränen, die sich miteinander vermischten. Verzweifelt presste er mich an sich, klammerte sich regelrecht fest. Dann löste er sich abrupt von mir und sprang auf.

„Wenn du jetzt durch diese Tür gehst. Wenn du gleich durch das Tor draußen gehst, dann brauchst du nicht wiederkommen. Hörst du? Nie wieder!" schrie er mich an und entsetzt riss ich meine Augen auf. Stand wie in Zeitlupe auf, während mein Herz aufhörte zu schlagen.

„Es tut mir leid" flüsterte ich fast tonlos und schulterte meinen Rucksack. Hörbar vernahm ich, wie er scharf die Luft einzog. Ich steckte meine Waffe und das Messer ein und ging zur Tür. Noch einmal drehte ich mich zu ihm um.

„Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben Carl" flüsterte ich ihm zu, drehte mich um und ging. Ging die Treppe herunter. Raus auf die Straße, auf das Tor zu. Meine Tränen liefen unaufhörlich. Nur verschwommen, wie durch einen Schleier, erkannte ich meine Umgebung. Maggie öffnete nach mehrmaligem bitten zögerlich das Tor. Noch einmal drehte ich mich um. Sah die Straße hinauf. Doch von Carl war nichts zu sehen. Verständlich. Ich hatte ihm das Herz gebrochen. Zum wiederholten Male.

Ich nickte Maggie zu und passierte das Tor. Lief die Straße entlang und wischte mir immer wieder meine Tränen ab. Sie wollten einfach kein Ende finden. Es fühlte sich schrecklich an. Ich fühlte mich so schlecht. So unglaublich schlecht. Doch es war der einzige Weg. Es war der richtige Weg. Der einzige, um beider Leben zu retten. Carls Leben und Jonahs Leben. Das ließ mich weitergehen. Schritt für Schritt. Schritt für Schritt weiter von Carl weg. Schritt für Schritt näher zu Jonah.

Ich war etwa 30 Minuten unterwegs. Noch immer liefen mir die Tränen. Meine Augen brannten. Doch es war ja meine eigene Schuld. Ich hatte dem Mann, den ich über alles liebe, wehgetan. Ihn unsagbar verletzt. Zum zweiten Mal. Plötzlich vernahm ich Schritte hinter mir. Schnell drehte ich mich um, weil ich einen Beißer vermutete. Doch was ich dann sah, ließ meinen Atem stocken. Mit allem hätte ich gerechnet, jedoch nicht damit.

„Carl..." flüsterte ich leise. Er kam auf mich zu gerannt, blieb direkt vor mir stehen. Außer Atem umfasste er mein Gesicht und presste seine Lippen hart auf meine. Verzweifelt erwiderte ich den Kuss, vergrub meine Hand in seine Haare, wobei sein Hut herunterfiel. Meine andere Hand legte ich auf seine Brust.

„Versprich mir, dass du wiederkommst! Versprich mir, dass ich dich wiedersehen werde! Versprich mir, dass wir dann endlich zusammen sein können! Versprich mir, dass du mich dann nie wieder verlassen wirst! Versprich es mir! Versprich es Rose!" sprach er bittend auf mich ein und ließ mich unmerklich schlucken. Konnte ich ihm das Versprechen? In der heutigen Zeit war alles ungewiss. Alles war gefährlich. Was, wenn ich mein Versprechen, wiederzukommen, nicht halten konnte? In seinem Blick lag so viel Angst. Ich konnte nicht anders. Ich musste es einfach und ich würde alles daransetzen, um diese Versprechen zu halten. Tief schaute ich ihm in die Augen.

„Ich verspreche es dir Carl! Ich werde wiederkommen und dich dann nie wieder alleine lassen! Dir nie wieder wehtun! Dich nie wieder verletzen! Dann gibt es nur noch uns!" erwidere ich leise. Nickend zog er mich in seine Arme. Klammerte sich an mir fest, so wie ich mich an ihm.

„Ich werde auf dich warten. So lange es auch dauern mag. Es tut mir lei..." flüsterte er leise, doch es gab keinen Grund, dass er sich für irgendetwas entschuldigen müsste. Ich unterbrach ihn leicht Kopfschüttelnd. Legte meine Lippen auf seine. Wollte ihn ein letztes Mal schmecken. Wollte ihn ein letztes Mal spüren. Wollte ihn ein letztes Mal fühlen. Sämtliche Gefühle legten wir in diesen Kuss. In unseren Abschiedskuss auf unbestimmte Zeit. Nach schier endloser Zeit lösten wir uns voneinander. Wischten uns gegenseitig die Tränen weg.

„Ich liebe dich!" sprachen wir beide gleichzeitig aus, schenkten uns darüber ein kleines Lächeln. Ich hob seinen Hut auf und setzte ihm den auf seinen Kopf.

„Bis bald, mein starker Cowboy" hauchte ich gegen seine Lippen, stahl mir noch einen Kuss und machte mich nun wieder auf den Weg. Auf den Weg in eine ungewisse Zukunft.

Ende

Bleib hier! (Carl Grimes, The walking dead FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt