VIII

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*Lucy's POV*

Die Tür zum Raum für den Zaubertränkeunterricht knallte mittags laut hinter mir zu.
Alle Blicke richteten sich auf mich und ich zitterte in der Kälte des Kerkers.

Ich musste einen fürchterlichen Anblick liefern.
Ich war irgendwann in dem Gang eingeschlafen, in dem ich gelegen hatte und sah dem Spiegel auf dem Mädchenklo nach zu urteilen auch genauso aus. Meine gestern aufgeplatzte Lippe nässte und war geschwollen, feine violette Adern zeichneten sich unter der dünnen Haut neben meinem linken Auge ab.
Von meinen Haaren wollte ich garnicht erst anfangen.

Verwunderte und besorgte Augenpaare starrten mich an und es war beinahe unerträglich.

"Miss Greenthorn", begrüßte mich Mr. Talehouse, unser Lehrer für Zaubertränke. Er war ein großer, schlaksiger Mann, mit ebenso großen, braunen Augen und einem strahlenden Lächeln.
Normalerweise redete er viel und wenn er lachte, bewegte sich sein ganzer Körper und sein schwerer Umhang schwang mit.

Doch jetzt war seine Begrüßung knapp, seine Augen strahlten nicht vor Freude, sondern vor Mitleid.

In der ersten Reihe hörte ich das glucksende Lachen von Maxwell Crabbe.

Wortlos, mit gesenktem Kopf, lief ich, ohne meine Beine wirklich vom steinernen Boden zu heben, an meinen Platz zwischen Sirius und James.

Mr. Talehouse hatte mich vor einem Jahr, kurz nachdem er angefangen hatte, uns zu unterrichten, zwischen die beiden Rumtreiber gesetzt, in der Hoffnung, es würde Ruhe in die Klasse bringen.

Die Holzbank knarrte und vibrierte, als ich mich mit meiner Tasche auf meinen Platz qeutschte und aus dem Augenwinkel sah ich, dass James den Mund öffnete, als wöllte er etwas sagen, nur um ihn kurz darauf wieder zu schließen.

"Nun denn...", Mr. Talehouse schien aus der Verfassung gebracht und es tat mir aufrichtig leid, ihn in diesen Zustand versetzt zu haben. "Setzen wir unseren Unterricht fort. Mr. Malfoy, Sie wollten mir soeben die Funktion dieses Trankes nennen."

"Ja, Sir."

Ich hörte nicht mehr zu.
Die Nähe zu Sirius und James machte mich mehr als nur nervös, ich zog den Kopf so weit wie möglich zwischen die Schultern und wimmerte, als mein bester Freund mir in einem Akt der Gutmütigkeit die Hand auf den Oberarm legte.

"Luce, was ist passiert? Wo warst du gestern?"
Er redete leise und vorsichtig und versuchte, nicht zu viele Fragen auf einmal zu stellen, doch ich hörte immernoch Crabbes Stimme in meinem Kopf. Sein hämisches Lachen. Seine Drohungen.
Das alles erinnerte mich viel zu sehr an ihn.

Ich wollte schreien, weinen, etwas kaputt schlagen, am besten alles auf einmal.
Und gleichzeitig wollte ich den Rücken straffen, das Kinn heben und meine nur allzu bekannte, arrogante Reinblut-maske aufsetzen, etwas zu viel Makeup auftragen und etwas zu viel Alkohol trinken, so wie ich es immer tat.

Niemandem zeigen, dass es mir etwas zu schlecht ging.

Sirius starrte mich immernoch an, ich hatte seinen Fragen keinerlei Beachtung geschenkt. Sanft und als könnte ich dabei zerbrechen, legte er seinen Arm nun komplett um meine Schultern. Anscheinend deutete er mein Zittern als Zeichen der Kälte.
Doch es machte alles nur noch schlimmer.

Ich fühlte mich dreckig, widerlich, ich wollte nicht, dass irgendjemand mich anfasste, nie wieder sollte das jemand tun.

Die Enge stieg mir zu Kopf und ich zog nun auch noch die Knie zur Brust, in der Hoffnung, ich könnte etwas Platz gewinnen.
Doch es half nichts.

Am Ende half doch alles nichts.

Meine Versuche, mich zu wehren hatten auch nichts geholfen.
Immer gab ich mich als die starke, unnahbare und talentiertr Hexe, doch nun wurde selbst mir bewusst, dass, egal wie sehr ich mich anstrengte, es zu verdrängen, das Leben immer weiter auf mich einschlug.

Genau wie damals, vor sechs Jahren.

Ich fühlte mich hilflos, schwach und dumm.
Wieso hatte ich nicht einfach nachgeben können? Wieso hatte ich es provozieren müssen?

Wieso konnte ich nicht einfach einsehen, dass ich zu schwach war?

"Miss Greenthorn. Miss Greenthorn!"
Nur langsam drang die besorgte Stimme meines Lehrers zu mir durch.
Mehrmals hatte er mich angesprochen, doch ich war unfähig gewesen, mich zu bewegen.
Ich zitterte wie die Peitschende Weide, wenn sie im Herbst ihre Blätter verlor und warme Tränen rollten meine kalten, geröteten Wangen hinunter.
Die Position in der ich saß war unglaublich unbequem, doch es interessierte mich einfach nicht.

"Alles klar bei dir Greenie?"
Maxwell Crabbe lachte dreckig aus den vorderen Reihen zu mir nach hinten und als hätte mich jemand verzaubert, hörte ich auf zu zittern. Meine Muskeln entspannten sich, mein Griff wurde lockerer.
Auf einmal war ich entspannt. Ruhig. Gleichgültig gegenüber... allem.

Er hatte es verdient, das stand schonmal fest.
Egal was ich ihm antuen würde, er hätte es verdient und ich würde es genießen.

"Halt die Schnauze, du gehirntoter Bergtroll."

Ich hob den Kopf. Lupin hatte sich halb zu seinen Freunden und mir herumgedreht, tauschte verwirrte und besorgte Blicke mit Sirius und starrte dann wieder wütend zu Maxwell Crabbe durch das Klassenzimmer.

"Mr. Lupin, achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise, das nächste Mal muss ich Ihnen Punkte abziehen."

"Sehen Sie denn nicht, dass es ihr schlecht geht? Wieso, bei Merlin, hat er das Recht, sich über Luciana lustig zu machen?"

Auch Sirius und James fingen an, herumzuschreien. Sie brüllten Mr. Talehouse an, danach Crabbe und am Ende sich gegenseitig.

Und mir wurde das alles viel zu laut.
Die alltäglichen Kopfschmerzen bahnten sich ihren Weg und verschleierten meine Sicht und mein Blick wurde kalt.
Lautlos richtete ich mich auf, ich stand kerzengerade und fest.
Als Sirius und James bemerkten, dass ich mich bewegt hatte, verstummten sie und der Rest tat es ihnen nach.

"Luce...?"

Ich sah keinem von ihnen in die Augen. Stattdessen ließ ich meinen Blick drohend über die anderen Schüler schweifen, bis ich Mr. Talehouse fand.
Es war das erste Mal an diesem Tag, dass ich redete und Bellatrix verschluckte sich fast an ihrem Gelächter, als sie meine Stimme immer wieder brechen hörte.

"Mr. Talehouse, ich bitte darum, aus dem heutigen Unterricht freigestellt zu werden."
"Nun gut, meinetwegen sollen Sie sich ja von... was auch immer schnell erholen, nur liegt diese Entscheidung nicht in meiner Macht." Entschuldigend sah er mich an und verzog den Mund. "Sie werden diese Angelegenheit mit Professor Dumbledore klären müssen."

Ich atmete tief ein und aus, jetzt bloß nicht die Fassung verlieren.
"Das werde ich. Vielen Dank."

Die Blicke der anderen folgten mir, ich spürte sie stechend in meinem Rücken; Ich hörte Sirius, der mir hinterherrief und Lupin, der wieder Crabbe beleidigte.
Und James, der anbot, den heute erlernten Stoff bis zur nächsten Unterrichtsstunde mit mir zu üben.
Bellatrix lachte immernoch und Crabbe auch.
Doch es interessierte mich nicht.

Nichts von all dem.

Alles was ich sah, war die Steinmauer, dann die Holztür, wieder Steine.
Meine Schritte hallten leise durch die Gemäuer und ich genoss die Stille, obwohl sie mir eigentlich den Verstand rauben sollte.

So wie jetzt war es doch immer gewesen.
Ich war unnahbar und arrogant, andere Leute stritten wegen mir, ich ging alleine durch Hogwarts' Hallen und keine Menschenseele sprach mich an.

Doch aus irgendeinem Grund war mir diese Normalität fremd geworden. Es war ungewohnt, als hätte ich verlernt, allein zu sein.
Die Gedanken, die sonst durch meinen Kopf rasten und mich mir selbst die tiefgründigsten Fragen stellen lassen hatten, schliefen nun.
Die klappernden Geräusche meiner Schritte provozierten mich, statt mich zu beruhigen.
Die Türe zu Dumbledores Büro ließ mich keine Ehrfurcht spüren, wie sonst. Eher ein Gefühl der Vertrautheit, der Zuflucht.

Was war passiert, dass diese alltägliche Situation nun so anders geworden war?

Like the moon - Luciana GreenthornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt