VI

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*Lucy's POV*

Die trockene, stickige und mehr als nur überhitzte Luft der Bibliothek knallte mir bereits entgegen, als ich bloß die große Flügeltür aufschlug. Staubpartikel glitzerten um mich herum und stoben auseinander, als ich krampfhaft anfing zu husten.
Und sofort lagen wieder alle Blicke auf mir. Madame Prince, eine relativ junge, aber sehr strenge Frau, bedachte mich mit ihren schmalen, echsenartigen Augen.
Während der stechende Druck in meinen Lungen nachließ und ich mich aufrichtete, stieg in mir die nur allzu bekannte Angst auf.
Die Angst vor diesen Blicken.
Alle Schüler im Umkreis des Eingangs hatten von ihren Büchern oder Freunden aufgesehen und starrten mich an; das Mädchen, das nach fünf Jahren immernoch kaum einer kannte.
Ich traf auf kalte, blaue Augen; grüne, vor Neid und Schadenfreude schreiende; arrogante, herablassende braune.
Sie alle dachten anders über mich, doch keiner gut.
Ich versuchte meine Unsicherheit zu überspielen und mich an den Grund zu erinnern, wieso ich diesen staubigen Kerker überhaupt betreten hatte, doch mein Hirn war wie leergefegt.
Das war alles viel zu sehr wie damals. An diesem einen Tag.
Weiter ließ ich meinen eigenen, wahrscheinlich ziemlich verstörten Blick über die Schüler schweifen.
Braun, blau, grau, braun, dunkelbraun.
Feindselig, hochnäsig, angewidert.
Und dann kam da auf einmal ein warmes, besorgtes Nussbraun.
James Potter saß - nunja, er lag eher - auf einem von meinem Standpunkt aus halb verdecktem Tisch. Neben ihm sah ich bloß noch ein Paar blasse Hände und die hochgekrämpelten Ärmel eines roten Pullovers.
Dann kam das Bücherregal.
Und ich blieb stehen und starrte auf diese Hände.
Ich wusste wem sie gehörten, und ich wusste auch, was der Anblick von Lupins kompletter Erscheinung mit ihr anstellen würde.
Und ich wollte das nicht. Ich wollte nicht wieder, wie vorhin beim Mittagessen, nicht mehr wissen, was ich sagen sollte und mich so hilflos und ungeschützt fühlen. Als wäre er dabei all meine hart erarbeiteten Masken zu durchbrechen.
Ich musste hier weg.
Und auf einmal schoss mir der Grund, weshalb ich hier war, wieder in den Kopf.
Tagespropheten. Alte Tagespropheten.
Ich bog nach rechts ab, so weit wie möglich von James und Lupin weg, auch wenn ich vermutlich in die falsche Abteilung der Bibliothek lief.
Ich brauchte die Zeitungsartikel von damals. Vor fünf Jahren.
Hoffentlich waren sie nicht entsorgt worden. Ich brauchte ja nur bestimmte Artikel. Berühmte, höllische Artikel. Schreckliche Nachrichten.
Das Regal vor mir war dunkel, es stand im Schatten der Bücher zu meinem Rücken, der Staub glitzerte auch hier wie tausende kleine Kristalle in der Luft.
Der Geruch von Pergament und Tinte lag in der Luft, die alten Bucheinbände unter meinen Fingern fühlten sich weich und vertraut an, während ich meine Hände ziellos suchend über die Schriftzüge gleiten ließ.
Regeln und Gesetze der Magie.
Verbotene Zauber - Band III.
Das Buch der Verbrechen.
Die Verurteilungsmaßnahmen des Ministeriums.
All diese Titel hätten mich vor Jahren noch interessiert, doch jetzt wirkten sie nutzlos für mich. Ich konnte dieses Wissen nicht mehr gebrauchen.
Es brachte mir nichts mehr, ich konnte damit niemanden mehr beschützen.
Ich betrat den nächsten Gang, die Bücher wurden schmaler, die Seiten weniger.
Eine Sache der Erinnerung.
Verbotene Zauber - Band VII.
Die schlimmsten Verbrechen der Vergangenheit.
So falsch, wie ich gedacht hatte, war ich doch nicht. In dem Abteil, in dem ich gelandet war, gab es zumindest einmal genug Informationen zu Verbrechern und ihren Taten, die Titel wollten kein Ende nehmen.
Doch ich fand nicht, was ich suchte.
Das nächste Regal im nächsten Gang war nur noch spärlich mit nützlichen Büchern gefüllt, der Themenbereich ging langsam in Heilzauber über.
Das kann nicht sein. Sie hat gesagt, hier würde etwas über ihn liegen.
Die Worte des Mädchens, mit dem ich mich flüchtig und eher gezwungen unterhalten hatte, hallten immernoch in meinem Kopf wieder.
Früher, ganz ganz früher, war ich einmal mit Bellatrix Lestrange befreundet gewesen. Als ich noch nicht die Blutsverräterin war. Wir hatten zusammen französisch geübt und die Stammbäume der edelsten Familien auswendig gelernt.
Es war eine sehr kühle, vorbestimmte und erzwungene Freundschaft gewesen, von Anfang an. Ich hatte immer viel lieber mit Sirius gelernt, oder Andromeda. Da war es lustiger gewesen, die perfekte Unbeschwertheit, die ein kleines Kind nun einmal brauchte.
Doch mittlerweile hatte Bellatrix mich hassen gelernt. Sie zischte mich an und verbreitete Lügen über mich, so oft es ihr nur möglich war. Der Gedanke, mich zu kennen, schien sie anzuwidern.
Und heute, nach der letzten Unterrichtsstunde, hatte sie mich auf dem Gang beiseite gezogen, ohne mich vorzuwarnen.
Unser Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste war lächelnd und uns einen schönen Herbsttag wünschend, an uns vorbeigegangen und erst dann hatte das Mädchen mit den wilden, unkontrollierbaren Locken angefangen, zu reden.
Erst als alle weg gewesen waren.
Ihr gehässiger Blick durchbohrte mich, während sie alte Wunden in meinem Inneren aufriss; mich schadenfroh an meine Vergangenheit erinnerte.
"Hör mal gut zu, Lucy", sie hatte meinen Namem besonders betont, als wäre er etwas widerliches und anscheuliches. "Es ist mittlerweile Jahre her. Der Tod gewisser Personen nimmt doch nicht mehr in Schutz und mit der Zeit wirkt dein" an dieser Stelle hatte sie gespielt gezögert und ich hätte sie am Liebsten dafür geschlagen. "rebellisches Verhalten eher als Blutsverrat gedeutet. Also pass lieber auf was du mit wem machst. Und finde lieber heraus, wer das damals wirklich war. Das sollte deine Meinung ändern" Und dann hatte sie sich umgedreht und mit dem Kopf bei jedem Schritt mitgeschwungen und geträllert. "Ein Besuch in der Bibliothek sollte reichen~"
Doch nun stand ich hier. Verzweifelt. Und überfordert. Nirgendwo stand auch nur der leiseste Hauch von einem Timothy Greenthorn und ich fand mich langsam mit der Tatsache ab, dass Bellatrix mich an der Nase herumführte. Mir war nach Weinen zumute, ich wollte schreien. Doch es gab zu viele Zeugen.
Ich sah mich um. Zwischen den staubigen Regalen hindurch hatte ich einen guten Blick auf Lupin, diesmal von hinten, und ich beobachtete ihn, wie er, den Kopf auf einen Arm gestützt, gelangweilt durch ein dickes, altes Buch mit dünnen, gelben Seiten blätterte, während mit zwei Tränen kalt über die heiße Wange liefen. Ich schniefte nicht, ich gab auch sonst kein Geräusch von mir, doch meine Beine trugen mich zu dem Tisch, auf dem James Potter schlief und Remus Lupin auch immer mehr dem Wachzustand entglitt.
Leise zog ich einen Stuhl zurück, um mich hinzusetzen, doch Lupin hob sofort den Kopf, als ich auch nur die Lehne mit meinen knochigen Fingern umschloss, und mein geplantes Hinsetzen wurde eher zu einem Hinfallen.
Seine merkwürdigen Augen glitten über mein Gesicht und glänzten besorgt, als er die bereits trocknenden Spuren der zwei Tränen und meine geröteten Augen sah.
"Hey, was ist los?" Er redete ganz leise, um James nicht zu wecken und seine Stimme wurde rau dadurch.
Doch ich schüttelte nur den Kopf. Und obwohl ich versuchte, es aufzuhalten, ich versuchte es von ganzem Herzen, quollen mir immer mehr Tränen aus den Augen hervor.
Remus hob einen seiner langen Arme und legte ihn um meinen Rücken, um mich tröstend zu sich heranzuziehen und dankbar lehnte ich mich an seine Schulter.
Da wo mein Gesicht gegen seinen Körper drückte, durchnässten meine Augen sein Shirt und es tat mit unsagbar leid.
Doch Remus strich mir nur über den Kopf und flüsterte mir beruhigende Worte ins Ohr.
Schon bald beruhigte ich mich und meine Schluchzer verwandelten sich in stille Verzweiflung, die ich mit hartem Gesichtsausdruck wie immer in mich hineinzufressen versuchte.
"Du bist nicht allein, Lucy"
Ich hob den Kopf, mein Gesicht war seinem verdammt nah, doch es interessierte mich nicht.
"Luciana."
Seine Augenbrauen zogen sich verwundert zusammen und ich musste leicht über die feine Linie lachen, die sich dadurch auf seiner blassen Stirn bildete. "Mein richtiger Name. Luciana"
Die Linie verschwand und stattdessen erschien das mir bekannte Lächeln auf seinem Gesicht.
"Das ist ein schöner Name."
"Meine Mutter hat ihn herausgesucht."
"Ein wirklich schöner Name."
Von diesem Moment an sagte keiner von uns beidem mehr etwas.
Irgendwann wachte James auf, wir brachten die Bücher zurück auf ihre Plätze und gingen zurück in unseren Gemeinschaftsraum, wo Sirius mich auf die nächste Party einlud.
Und bevor ich einschlief, war Remus Lupins Lächeln das Letzte woran ich dachte.

Like the moon - Luciana GreenthornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt