Kapitel 6

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Killian

Seit einer Viertelstunde sitze ich bereits im Unterricht und starre unaufhörlich auf den leeren Platz schräg vor mir. Wo ist sie? Geht's ihr gut? Ist was passiert? Fragen schossen mir durch den Kopf und ich machte mir Sorgen. Ich weiß, dass ist vielleicht ein bisschen übertrieben und es wäre nicht das erste Mal das sie zu spät ist, aber in ihrem psychischen Zustand kann es nunmal schnell bergab gehen und wer weiß.

Kann mir jemand garantieren, dass sie jetzt gerade nicht in irgendeiner Ecke ihres Zimmers sitzt und sich mit einer Klinge immer wieder über den Arm oder über ihr Bein fährt und das Blut faszinierend anschaut, so als ob sie es zum ersten Mal sieht und immer mehr davon will? Nein, das kann mir keiner sagen und genau das macht mir Angst.

Ja, mag sein das sie gleich hier durch die Tür spaziert, dem Lehrer patzig antwortet, sich auf ihren Stuhl setzt und gedankenverloren aus dem Fenster schaut, wie sie es so oft zu machen liebt. Vielleicht kommt sie aber auch gleich komplett zerstört und mit leeren Augen rein und das so auffällig, dass selbst der Lehrer nichts sagt und sie stattdessen mitleidig anschaut.

Auch das passiert ab und zu. In solchen Momenten denk ich immer wieso? Warum gucken sie sie so an als gäbe es keine Hoffnungen mehr. Als wäre sie ein Pflegefall? Immer wenn dies passiert, dann brodelt eine unglaubliche Wut in mir auf. Als ob diese mitleidigen Blicke ihr helfen. Als ob sie dadurch Kraft tanken kann. Als ob sich desshalb die Probleme und Trauer auflösen und alles gut ist.

Ich muss mir grad echt ein spöttisches Lachen unterdrücken. Sie kennen meine Vicki garnicht, also erlaube ich ihnen nicht, sie so anzuschauen. Das dürfen sie nicht. Das ist nicht gestattet. Das macht ihr doch nur noch mehr zu schaffen. Als ob es sie in geringster Weise weiter bringt. Manche Menschen sind so leichtgläubig und naiv.

In Gedanken versunken merke ich erst das jemand soeben den Raum betreten hat, als unser Lehrer mit seine mahnenden Stimme anfing irgendetwas zu brabbeln. Doch hörte ich nicht zu, als ich sah wer da stand. Und vorallem wie. Mein Herz zog sich schmerzvoll zusammen und pochte um einiges schneller.

Einerseits, weil diese Person einfach so eine immense Wirkung auf mich hat. Andererseits, weil ich gerade drohe in Sorge zu ertrinken. Da stand sie. Meine wunderschöne Vicki. Doch sah sie so fertig aus. Unter ihren Augen spiegelten sich dunkle Schatten wider. Ihre Augen waren für außenstehende, die sie nicht kannten emotionslos, doch ich sah genau diese große Trauer und Angst. Angst die letzte Kraft zu verlieren und dann zu fallen, weil man sich ohne Kraft nirgends festhalten kann und somit droht zu fallen. Ich sah ihre Angst genau, doch die Trauer war um einiges größer.

Ihre Schultern hangen und allgemein war nichts von einer Körperhaltung zu erahnen. Ihr ganzer Körper war zusammengesackt und sah so ausgelaugt aus. Meine Kehle wurde ganz trocken und meine Hände fingen an zu zittern. Verdammt was ist passiert? Ich sah sie an, lange. Sehr lange. Sie ließ den Lehrer reden nickte nur kurz und begab sich dann auf ihren Platz.

Sie schmiss ihre Schultasche neben sich. Sie verschränkte die Arme ineinander und bebte ihren Kopf auf ihnen. Ich will ihr helfen. Möchte nicht das sie leidet und doch tut sie es. Ich beschloss nach Schulschluss das Gespräch mit ihr zu suchen. Ich hoffe einfach, dass sie mich an ranlässt, mir vertraut und mir sagt was geschehen ist.

Ich möchte um sie kämpfen, doch zuvor muss sie erst wieder auf die Beine kommen. Und dabei helfe ich ihr mit allem was ich habe. Eins steht fest. So kann das nicht weitergehen und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das auch selber weiß. Ich stehe bei, hinter, vor, und vorallem zu ihr.

Die Pausen vergingen schleppend. Ich verbrachte sie halt bei Jack, Dave und Mason. Doch denken tat ich die ganze Zeit an sie. Die ganze Zeit fragte ich mich was passiert war, wesshalb sie so müde und verheult 15 Minuten zu spät in den Unterricht kam. Sie ist durch und durch eine starke Persönlichkeit oh ja.

Doch nach dem Geschehnis vor 3 Jahren ist sie gebrochen. Ihr wurde alles genommen was ihr lieb war und geblieben ist ein riesen Scherben-haufen mit dem sie nichts anzufangen wusste. Sie war so in Trauer versunken und klar merkten dies auch ihre Freunde, doch Vicki riss sich zusammen und lächelte bei ihnen. Doch ich sah, dass es ein aufgesetztes Lächeln war, denn ihr richtiges Lächeln erstarb vor 3 Jahren. Ich verstehe sie, doch weiß ich einfach nicht wie ich ihr helfen soll. Also schon, nur weiß ich nicht wie ich vorgehen soll, ohne sie zu verletzten oder ähnliches. Denn das ist das letze was ich meiner Prinzessin antun möchte.

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Nun stand ich hier. Vor unserem Schultor in dieser kleinen Abbiegung wo sie immer lang lief um nachhause zu kommen. Ich habe mich exstra beeilt damit ich sie nicht verpasste, was ich wahrscheinlich auch so nicht getan hätte, da sie immer sehr in Gedanken ist und somit auch sehr langsam lief. Ich glaube einfach sie genießt es ein wenig Zeit draußen zu verbringen. Schon alleine der Gedanke an sie ließ mich lächeln. Hach dieses Mädchen. Wie lange kenne ich sie eigendlich schon. Eine kleine Ewigkeit. Um genau zu sein seit 10 Jahren. Wir waren damals Nachbarn. Ich bin neu mit meiner Familie hergezogen.

Doch mittlerweile wohnen wir in einem anderen Haus. Wegen Wasserschaden und allem drum und dran. Ich habe so eine Angst vor der Antwort, wieso es ihr so beschissen geht, doch gleichzeitig möchte ich es auch unbedingt wissen. Also steh ich vor dem Tor in dieser unscheinbaren Abbiegung und warte auf sie, auf gut Glück.

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Könnt mir gerne eure Meinung schreiben. Bis hoffentlich zum nächsten Kapitel ~A♡

My broken GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt