Kapitel 6: Erwachen

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Hiyori Iki•

Hitze. Es beschrieb so ziemlich genau, was Hiyori seit bald einem Tag durchgehend verspürte. Sie hatte Schmerzen. Aber irgendwie, spürte sie den Schmerz nicht. Sollte sie sich Sorgen machen, weil sie sich daran gewohnt hatte oder darüber glücklich sein...? Mal abgesehen davon, dass sie sich absolut nicht gut fühlte, schwankte ihre Welt hin und her. Sie war irgendwo zwischen Realität und Traum. Oder zumindest nahm sie das an. Schon seit geraumer Zeit, befand die Oberschülerin sich in einem fremden Raum. Alles war weiss und irgendwie in den Boden verschmolzen - es wirkte, als würde sie in einer grossen weissen Papierschnitzerei in 3D sitzen. Der runde, glatte Tisch, die runden, gepolsterten Stühle, die an den Seiten abgerundeten Wände und die eingebauten Regale. Aber nichts war irgendwie ausgeschmückt. Nirgends waren Bücher oder Getränke oder Bilder - es waren einfach nur leere Möbel. Und Hiyori verspürte daher nicht einmal das Bedürfnis, sich irgendwie umzusehen.
Ihre Brust schmerzte...um genau zu sein, die Stelle über den Brustblatt. Was sollte sie tun? Immer wenn sie blinzelte, sah sie einen kurzen Moment lang blaue Augen - Yatos Augen. "Ich werde verrückt...da bin ich mir ganz sicher...", murmelte Hiyori zu sich selbst.
Sie hatte selbstverständlich nicht einmal ansatzweise mit einer Antwort gerechnet, weshalb sie wie eine Katze aufsprang und zusammenzuckte, als eine sanfte, feminine Stimme direkt hinter ihr meinte: "Ihr seid nicht verrückt, Herrin."
Hiyori fasste sich vor Schreck an die Brust und starrte die Frau vollkommen geschockt an. Sie war eine pure Schönheit: Das lange, gewellte, purrote Haar war mit kunstvollen Zöpfen und Efeuranken ausgeschmückt; ihre leicht gebräunte Haut und die vielen Sommersprossen in ihrem Gesicht, betonten ihre knallgrünen Augen perfekt; der anmutige, kleine Körper steckte in einem crémefarbenen, mit rosa Seide beschmückten, bodenlangen Kleid. Doch am eindurcksvollsten waren ganz klar die grün schimmernden Flügel auf ihrem Rücken - jede Feder sah aus wie ein Blatt und doch, wirkten sie irgendwie wie gewöhnliche Federn. Das prachtvolle Flügelpaar wippte sanft auf und ab und zog sich schliesslich ganz zusammen, bis es einfach verschwand und stattdessen ein Regenschauer von grünen Blättern zu Boden rieselte. Als hätten sich die Flügel pulverisiert.
Hiyori kam nicht drum rum, die Frau anzustarren. Die Rothaarige lächelte warm, setzte sich an den weissen, runden Tisch und meinte mit ruhiger Stimme: "Keine Angst. Ich beisse nicht und werde auch ansonsten nichts Böses machen...böse ist viel eher, was da in Euch schlummert.
Verwirrt, hob die Oberschülerin eine Augenbraue hoch. "In mir...? Was soll denn bitte in mir sein? Und wer sind Sie?"
Die fremde Frau kicherte mit heller Stimme. "Es ist mir nicht erlaubt, Euch meinen Namen zu nennen. Diese Ehre wird mir niemals zu Teil..."
Ehre?
Hiyori verstand gar nichts mehr. Sie war müde. Ihre Brust schmerzte. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn und das ständige Aufblitzen von Yatos Augen machte sie wahnsinnig. Jetzt kam auch noch eine unbekannte Schönheit in Hiyoris weissen Traumraum und sprach mit ihr, als wäre sie der Kaiser Chinas.
Wieder, kicherte die Frau, als sie den genervten Blick der Schülerin bemerkte. "Wie ich sehe, stresst Euch meine Anwesenheit. Nun denn, es wird sowieso Zeit..."
Die Rothaarige stand galant auf und lächelte freundlich, ehe sie um den Tisch herum zu Hiyori lief. Ihr Blick blieb auf dem Brustblatt der Braunhaarigen liegen, woraufhin sie ihre Hand drauflegte und kurz die Augen schloss. Ein grünes, sanftes Licht umspielte die Handfläche der Frau und Hiyori durchflutete der süsse Duft nach frisch gemähtem Gras und Äpfeln. Die Frau nahm ihre Hand weg und lächelte erneut, dann verbeugte sie sich, liess ihre komischen Blatt-Flügel wieder erscheinen und verschwand spurlos.
Es war alles so schnell gegangen, dass Hiyori im ersten Moment gar nicht wusste, wie ihr geschah.
Die Verwirrung machte jedoch schnell ihrer Missgunst Platz. Diese Frau war keine fünf Minuten hier gewesen! Was hatte sie von ihr gewollt?!
Ein regelmässiges Tropfen, liess Hiyori erschrocken aufschauen. Sie stand auf und stellte dabei zwei Dinge fest: Erstens, sie war barfuss und; zweitens, sie stand gerade in etwas Flüssigem. Vorsichtig, schaute sie nach unten und sah dabei zu, wie Blut von den Wunden ihrer Arme auf den Boden tropfte.
Hiyori war Blut gewohnt, schliesslich ist ihr Vater Arzt gewesen. Aber irgendetwas stimmte nicht. Ihr wurde schwindlig und schlecht, in ihrem Kopf pochte es und ihre Brust schmerzte immer mehr und mehr.
Was sollte sie tun?
Mit einem schmerzlichen Laut, kniete sie sich nieder. Ihr weisses Kleid saugte dabei das Blut vom Boden auf. Aber es war ihr egal. Hiyori hatte Angst. Sie hatte Angst, sie war müde, sie wollte weg hier und keine Schmerzen mehr haben.
Schluchzend, schloss sie ihre Augen und fiel kurz darauf in eine tiefe Finsternis...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 03, 2018 ⏰

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