Eine Weihnacht

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Kennst du mich?
Ich bin der Schatten,
die stille Drohung hinter dir,
die schwarze Färbung der Wegplatten,
ein nicht zu zähmendes Raubtier.
Ich sehe dich dann, wenn du ruhst,
und folge dir bei Sonnenschein,
es ist egal, was du auch tust:
die Fußspur, die bleibt immer mein.

Lachst du über mich?
Weil in deinem Haus eine Lampe brennt?
Weil du glaubst, mich vertrieben zu haben?
Weil deine Tochter lachend durchs Zimmer rennt,
erheitert von warmen Gaben?
Narr, werde wach!
In der Dämmerung
Sind Licht und Dunkel beide schwach.
Doch wenn das eine die Köpfe regiert
arbeitet der fast verschluckte
und die Armee maschiert
Schwärze, so wie die gedruckte.
Kraft fordert Kraft!
Sie genau in die Ecken!
Wir sehen, wer als letzter lacht!
Ich brauche mich nicht zu verstecken.

Ich bin der Schatten!
Dummes Kind!
Dreh um und geh nach Haus!
Spürst du nicht den grimmen Wind,
und packt dich nicht der Graus?
Na los schon! Schrei!
Was wartest du?
Dann ist es gleich vorbei!
Oh dieser Blick, Oh diese Ruh -
Mir wird fast flau dabei.
Kind, was bewegt dein Erbsenhirn,
denn immer, seit Äonen
sind unter diesem hell' Gestirn
die Menschen nur geflohen.
Was trittst du näher?
Lauf doch, lauf!
Ich bin der finstre Späher!
Was tust du Mädchen? Hör doch auf!
Ich will dich hier nicht mehr.

Ist denn in dieser Straße niemand,
zu dem das kleine Ding gehört?
Ein Vater, Mutter, Onkel, Schwester,
Jemand, der es beim Spielen stört?
Wie heißt du? Rosa oder Esther?
Gibt es den niemand, der mich hört?
Es scheint wohl so zu sein
Den anders kann ich nicht erklären
Dass die kleine, ganz allein
Und völlig ohne sich zu wehren
In meinen Kreis gelaufen kam
Mit einer Flöte in der Hand,
Das Instrument zum Munde nahm,
und in der Melodie verschwand.
Ein solches Lied, ein solcher Klang
Nichts gleiches hab ich je vernommen
Was für ein merkwürdiger Fang
So dämmert es mir ganz verschwommen:
Sie ist meinetwegen hier
Meinetwegen hier geblieben
Lichter blinken an der Tür
Und für heute schließ' ich Frieden.
Frohe Weihnachten auch dir.

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