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  „Du wirst verstehen, dass ich es vorübergehend nicht für gut heißen würde, wenn du Ben triffst?"
Stumm bewegte Hannah den Kopf nach vorn.

„Du hast Angst um mich, oder?"
Reid verfiel zunächst in pedantisches Schweigen, ehe er mit der Wahrheit herausrückte.

„Meine größte Panik Nachwuchs zu bekommen, war bis vor zwei Jahren der Fakt, dass sich die Schizophrenie deiner Großmutter weitervererben könnte. Mittlerweile habe ich ganz andere Probleme."
Hannah lächelte traurig.

„Soll ich dir was verraten? Als ich noch nicht wusste dass es dich gibt, da habe ich meinen Vater gehasst. Inzwischen, da kann ich mir gar nicht vorstellen im Heim oder anderen Plätzen zu leben. Manchmal da bekomme ich richtig Panik, wenn in den Nachrichten gebracht wird, dass ein Cop oder ein Agent getötet wurde und du nicht zu Hause bist."
Reid schmunzelte verlegen, während Hannah die Lippen aufeinander presste.

„Darf ich dich was fragen?"
Reid steuerte den Dienstwagen selbstsicher über den Highway, nickte dann.

„Hattest du nach meiner Mum nochmal andere Frauen? Denk jetzt nichts Falsches. Nur rein aus Interesse und weil ich dich total interessant finde."

„Hannah, hast du noch irgendwas ausgefressen? Sei ehrlich. Du weißt, dass du bei mir ohnehin keine Chance zum lügen hast."

„Nein, Dr. Reid", begann sie ihn zu necken.

„Versuch die Tatsache, dass ich mir die Hand auf den Magen lege, jetzt nicht falsch zu deuten. Ich habe wirklich nur Hunger und bin leicht runter mit den Nerven."

„Und wenn ich nicht darüber reden möchte?", brummte der junge Doktor.
Gleichbleibend brachte er den Wagen vor dem nächsten Drive Inn zum stehen, fuhr noch nicht in die Warteschlange ein.
Hannah warf ihm eine schiefe Grimasse entgegen.

„Dann habe ich's wenigstens probiert. Obwohl ich es nicht verstehe.
Warum sollte man dich nicht mögen?"
Er schmunzelte ironisch.

„Weil ich ein Genie bin, permanent mit Fachbegriffen um mich haue. Ich meine, sieh mich doch an. Lange Haare, Pullunder oder ein schiefer Schlips. Die haben mich als Kind sogar auf Asperger getestet."

„Ja, und?"

„Es fehlten zwei Punkte zum positiven Befund. Wird schon seine Gründe haben, warum ich damals der unbeliebteste Schüler der ganzen High School war und von allen schikaniert wurde."
Hannah sah ihn ungläubig an.

„Aber nur weil gewisse Dinge damals nicht so optimal gelaufen sind, heißt das doch nicht, dass das jetzt für alle Zeit dein Schicksal ist. Dein Dad hat euch verlassen, du bist permanent von Mitschüler fertig gemacht wurden, deine Mum ist schwer krank. Da möchte ich denjenigen sehen, der daraufhin behauptet, dass er keine Probleme hätte und der perfekte Mensch wäre."
Reid taxierte seinen Schützling mit misstrauischer Mimik.

„Warte, was soll das jetzt hier eigentlich werden? Du hast nicht zufällig in meinen Büchern gelesen und fängst jetzt ganz unauffällig an meine Biographie nach dem Miller Modell zu analysieren?"
Unschuldig blickte Hannah dem Älteren entgegen.

„Nope. Pass auf..."
Sie atmete tief ein und aus, um mit der Wahrheit heraus zu rücken.

„Ich finde einfach, dass du jemanden brauchst, der sich um dich kümmert. Ich meine richtig, wie eine Freundin oder eine Frau. Auch in Hinblick auf mich. Deshalb hab ich mir überlegt, wie es denn wäre wenn wir falls der Fall dann beendet ist, ein kleines Casting machen und jemanden suchen, die außer Garcia ab und an auf mich aufpassen könnte oder sich um den Haushalt kümmert."

„WAS?!"
Hannah brauchte kein Wissen als Verhaltensanalytiker um die Blicke ihres Vaters zu deuten.

„Im Idealfall ist sie dir vielleicht sympathisch."

„Zwei Worte: Vergiss es. Hör mal, ich kann verstehen, wenn du dich nach deiner Mum sehnst, aber wann und wie ich mir jemanden suche, mit dem ich dann auch zusammen bleiben will, das überlässt du besser mal mir, okay? Ich habe weder Zeit, noch Geduld mich auf etwas Ernstes einzulassen."

„Ausreden."
Spencer musterte sie mit nach oben gezogenen Augenbrauen.

„Das sind Ausreden."
Sie verstummten für einen kurzen Moment, ehe es Hannah vollständig aufgab und die Tür öffnete.

„Okay, dann gehe ich zu Fuß zum Drive in und laufe nach Hause."

„Was? Nein!", quietschte Spencer, ehe er genervt den Motor startete und unter angestrengten Versuchen den Wagen zum Wenden brachte.
So sehr sich Hannah eine andere Antwort erhofft hatte. Das Thema Ersatzmutter war erst einmal vom Tisch...

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Nur kurz nachdem sie ihre Bestellung erhalten hatten, begaben sie sich auf den Weg nach Hause.

„Wenn Ben der Mörder war, dann beginne ich, an mir zu zweifeln und wandere ins Nirwana aus."
Seufzend schweifte Spencers Blick zu seiner Tochter, ehe er wieder auf die Straße sah.

„Was weißt du von seinen Eltern?"

„Heißt das jetzt, du denkst auch, dass er dafür verantwortlich ist?"

„Überleg dir nochmal deine Frage. Ben ist 14. Ich glaube nicht, dass er schon Auto fährt. Außerdem hast du von zwei Männern gesprochen."

„Das schließt nicht aus, dass er Gloria umbringt."

„Nein, das tut es nicht. Aber er hätte jemanden gebraucht der Erwachsen ist. Um sie nach draußen zu locken."

„Ich habe seinen Dad und seine Mum noch nie gesehen. Er wollte nie, dass wir zu ihm gehen. Er hat Ausreden erfunden."
Etwas lustlos zog Hannah am Strohhalm ihrer Cola. Reid sah nervös zwischen seiner Tochter und dem Straßenverkehr hin und her.

„Versprichst du mir, dass du auf dich aufpasst? Du lässt niemanden in die Wohnung und du gehst auch nicht nach draußen, okay?"
Hannah verzog das Gesicht zu einer angsterfüllten Mimik.

„Kannst du nicht doch noch da bleiben?"
Reid verneinte.

„Das geht nicht. Du kennst Hotchners Anweisung."
Sie lächelte traurig.

„Aber ich versuche mich zu beeilen. Wenn ich Stanford vernommen habe, komme ich sofort nach Hause, okay?"
Der Wagen hielt vor der zugehörigen Häuserzeile zu Spencers Appartement.
Das Mädchen wollte aussteigen, aber Reid hielt sie auf halbem Weg zurück, damit sie sich noch einmal zu ihm umdrehte

„Noch was. In meinem Nachttisch liegt eine Pistole. Allerdings ungeladen."
Da er wusste, dass Hannah im vergangenen Sommer bei einer Öffentlichkeitsveranstaltung der Polizei erstmals schießen gelernt hatte, traute er ihr den Umgang mit der Waffe unter Einschränkungen zu. Natürlich nur für den Notfall.

„Du solltest dein IPhone immer griffbereit haben. Wenn du hörst, dass jemand kommt, der nicht mit einem schwarzen Chevy vorfährt und in die Wohnung will, dann rufst du mich sofort an und ich sage dir wo die Platzpatronen liegen. Aber nur im Extremfall, hast du das kapiert?"
Sie nickte verständnisvoll.

„Okay, bleib tapfer."
Damit schloss sie die Beifahrertür und wandte sich mulmigem Gefühl dem verdunkelten Reihenhaus zu...

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„Machen Sie das jetzt, weil Sie sauer auf mich sind? Wegen Hannah?"
Ben faltete nervös die Hände ineinander, ehe er dem Älteren unsicher in die Augen sah.
Seit über einer halben Stunde versuchte Spencer eine normale Konversation in die Wege zu leiten.

„Das mit Ihrer Tochter war nicht so gemeint."
Reid sah den jungen Stanford unverständlich an.

„Hier geht's nicht um Hannah oder Mobbing unter Teenagern. Wir ermitteln in einem Mordfall. Du bist vermutlich der Letzte, der Michelle Garner lebend gesehen hat. Und wenn ich mich dir so ansehe, habe ich meine Zweifel, ob ich dir deine Theorien auch glauben soll."

„Aber ich sage die Wahrheit."
Spencer setzte sein typisches Pokerface auf.

„Ich weiß nicht, ob ich dir das so einfach abkaufe. Deine Körpersprache erzählt mir etwas ganz anderes. Du gehst auf Distanz, du bist während unseres Gesprächs immer weiter von mir weggerutscht und du meidest meinen Blickkontakt. Außerdem kratzt du dich unaufhörlich am Kinn. Die typischen Verhaltensweisen, wenn jemand lügt."

„Was soll ich Ihnen denn noch sagen? Ja, okay ich bin mit Hannah ins Kino gegangen und mit der Zeit haben mich Gloria und Michelle immer mehr für sich vereinnahmt. Ich bin dann kurz mit ihnen nach draußen gelaufen, weil uns Gloria einen Cocktail spendiert hat. Nebenan hatte gestern eine neue Bar eröffnet. Die Mädels hatten anschließend keine Lust mehr auf den Film. Ich bin danach aber wieder in den Kinosaal gelaufen."

„Komisch, warum sind dann weder Hannah noch das Kinopersonal der Überzeugung, dass sie dich noch einmal gesehen haben."

„Vielleicht haben wir uns verpasst?"
Spencer sah den Jungen erwartungsvoll an.

„Dann erklär mit doch bitte mal, wie du an drei Mitarbeitern vorbei gekommen bist, ohne visuelle Spuren zu hinterlassen."
Der Junge kam ins stocken.

„Andere Frage? Wo waren deine Eltern gestern? Und wo arbeitet dein Vater?"

„Worauf wollen Sie hinaus?"

„Michelle und Gloria waren nicht zufällig zu dieser Zeit in der angegebenen Gegend. Und eigentlich weißt du das auch. Wo könnte Gloria sein?"

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Ich bin Gloria Easton gestern auch nur zum ersten Mal im privaten Umfeld begegnet."

Spencer, der mittlerweile genug gesehen und gehört hatte, erhob sich von seinem Stuhl. Aus dem Jungen würde momentan ohnehin nichts mehr herauszubekommen sein. Da war er sich für heute Abend sicher.

„Wenn dir noch etwas einfällt, weißt du ja, wo du anrufen kannst."

Mit gedankenverlorener Mimik verharrte Ben auf dem Sofa, ehe Spencer nach draußen, aus dem Haus trat.
Misstrauisch sah er sich noch einmal in der nahe gelegenen Umgebung um, ehe er in den Dienstwagen stieg und sich auf den Weg nach Hause begab...  

heaven and hell (Criminal minds)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt