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„Was meinst du? Habt ihr euch mittlerweile aneinander gewöhnt?", fragte Jennifer das Mädchen nach ihrem Vater.

Hannah saß mit JJ in einem der Vorräume des Großraumbüros, während sich die Agentin emsig auf die bevorstehende Besprechung vorbereitete und alle nötigen Unterlagen zusammen trug.
Das Mädchen mochte JJ. Genau wie Garcia, Derek, Emily und einige restliche FBI Mitglieder war ihr die blonde Frau mächtig ans Herz gewachsen. Fast wie eine gute Freundin, die sie schon seit Jahren kannte.
Das einstige Verbot in die BAU Zentrale zu kommen gehörte indirekt längst der Vergangenheit an.

„Er ist ein bisschen sonderbar. Auf seine spezielle Art und Weise. Aber ich mag ihn. Er war der Erste, der mich so akzeptiert hat, wie ich bin. Ohne mich krampfhaft verändern zu wollen. Er ist wirklich ein interessanter Mensch. Sehr eigen, aber man kann unendlich viel von ihm lernen."
JJ warf ihr eine schiefe Grimasse zu.

„Er kann toll mit Kindern umgehen. Besonders mit jüngeren. Henry liebt ihn. Er ist der beste Pate, den der Kleine kriegen konnte. Trotz seiner kleinen Macken."
Hannah drehte sich verspielt in dem von ihr besetzten Drehstuhl.

„Es ist schade, dass er sich manchmal so distanziert. Ich meine, in Hinsicht auf eine Frau."
Emily, die gerade zur Tür herein kam, machte große Augen.

„Redet ihr von Reid?"
Sie nickten synchron.

„Ich überlege, wie ich ihn verkuppeln kann."
JJ und Emily warfen einander entsetzte Blicke zu.

„Nimms mir nicht übel, Hannah. Aber die Frau muss sicher erst noch geboren werden", murmelte Emily, während sie sich von JJ einige wichtige Zettel geben ließ.

„Meinst du?"
Sie bewegten den Kopf erneut nach vorn.

„Die schwierigste Hürde sehe ich nicht einmal bei der Wahl einer passenden Dame, sondern eher bei seiner Verschlossenheit. Wie du weißt, ist dein Vater sehr distanziert und zurückhaltend und wenn du Spencer jetzt irgendjemanden vor die Nase setzt, die er gar nicht will. Ich denke nicht, dass das so gut wäre."

„Sie müssten sich ja auch zufällig begegnen und dann sympathisch finden."
Emily zog skeptisch die Augenbrauen nach oben, während sich JJ auf die Lippen biss.

„Ach, Sweetie. Wenn das so einfach wäre."
Die Schwarzhaarige klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter, ehe sie wieder in den Nebenraum verschwand.
JJ setzte sich erneut auf ihren Bürostuhl, ehe sie Hannah tief in die Augen sah.

„Kann es sein, dass dir deine Ma stärker fehlt, als du annimmst?"
Das Mädchen legte die Stirn in Falten.

„Warum glauben das alle? Nur weil ich denke, dass mein Dad jemanden verdient, der ihn liebt? Er hat so viel Mist erlebt. Die Umstände wie er aufgewachsen ist, die Sache mit Tobias Henkel, dann diese Frau, die vor seinen Augen erschossen wurde, die ständige Angst, dass er irgendwann schizophren wird, wie seine Mum. Ich habe sogar gelesen, dass sich ein positives soziales Umfeld, gut auf die Resilienz auswirkt."
Mehr als baff blickte JJ die Jüngere an.

„Er ist dir sehr wichtig, mh?"

„Ich hab ihn lieb und manchmal da tut er mir einfach leid. Er hat ja sonst fast niemanden."

JJ strich ihr mitfühlend über die Wange. Eigentlich wollte sie Hannah noch weitere Bestandteile ihrer Ansicht schildern, aber Morgan steckte den Kopf in den Raum hinein.

„Kommt ihr?"

„Soll ich Hannah gleich mitbringen?"
Derek wirkte überfordert, fast ein wenig unschlüssig.

„Ich bin mir nicht sicher. Meine letzte Information war, dass Hotch noch ein paar Dinge klären möchte."

„Gut, dann komme ich gleich mit, nach nebenan."

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Dass sich ihre Entscheidung als Fehler erwies, merkte Hannah nur wenige Minuten später.
Derek war nicht auf dem neusten Stand der Informationen gewesen und hatte Hannah fälschlich mit in die Hauptbesprechung genommen. Da die Agenten aber viel zu sehr mit dem anstehenden Fall beschäftigt waren, nahmen sie kaum Notiz von dem Teenager.

„Wir haben drei weitere Leichen gefunden. Dieses Mal schwer entstellt. Jemand hat ihnen die Kehle durchgeschnitten und an die 30 Mal auf sie eingestochen. Zwei davon hat der Täter anschließend ins Meer geworfen. Gloria Easton war nicht dabei. Aber das interessante an der ganzen Geschichte ist etwas Anderes", übergab Derek an Garcia.

„Ben ist Glorias Cousine."
Hannah lief es eiskalt den Rücken hinunter.

„Und jetzt kommt der Knaller, meine Engel. John Easton, der Vater von Gloria, war Angestellter bei Pipers and Haven, einer Immobilienfirma. Er wurde vor 2 Wochen wegen seiner Alkoholprobleme entlassen. Sein Vorgesetzter ist Jennifer Garner. Michelles Mutter. Erstaunlicherweise gehören die restlichen, erstochenen Kinder allen Kollegen aus dem Unternehmen an. Michael Daven, Jordan Haven, Kelly Organ. Alles Söhne oder Töchter von Kollegen. Ich würde sagen, wir haben unseren Hauptverdächtigen gefunden."

Hannah wurde schwindlig. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen, als sie auf die Bilder der schwer verwundeten Opfer starrte. Panisch lehnte sie sich gegen den Türrahmen.

„Dann war es doch kein Zufall. Ben wusste, dass Gloria und Michelle im Kino sein werden. Um es nach einem Alibi aussehen zu lassen, hat sich Stanford mit deiner Tochter verabredet, Reid. Er hat Michelle gemeinsam mit Gloria in eine Falle gelockt, damit Easton dort auf sie wartet", murmelte Emily.

„Vielleicht hat er seine Tochter und seinen Neffen bedroht oder beiden etwas Spezielles versprochen?", überlegte Rossi.

„Das wäre eine Möglichkeit. Übrigens gab es in Bezug auf Gloria noch einen weiteren, wichtigen Fakt. Sie wurde dem Jugendamt vorgemerkt. Angeblich aufgrund von häuslicher Gewalt der Eltern."

„Aber wo ist das Mädchen jetzt?"
Die letzten Worte erschienen Hannah wie aus weiter Entfernung. Sie taumelte, rang nach Luft und verschwand dann laut würgend in Richtung Flur, wo sie die nächst beste Toilette ansteuerte.

Überrascht beobachteten die Profiler das gesamte Geschehen und sahen einander erschrocken an.

„Wie ist sie hier rein gekommen?", murmelte Rossi, der genau wie der Rest der Anwesenden erst jetzt die komplette Anwesenheit des Mädchens wahrnahm.
Hotch haute sich mit der Hand vor die Stirn.

„Sagt mal, seid ihr noch zu retten? Sie sollte draußen warten. Ihr könnt doch kein 13 jähriges Mädchen zusehen lassen, wenn wir hier mit Bildern vom Tatort hantieren", rief der Schwarzhaarige aufgebracht, während Morgan kleinlaut nach unten sah.

„Es ist meine Schuld, Hotch. Tut mir leid. Ich habe das falsch verstanden."
JJ schloss resignierend die Augen, während Spencer bereits aufgebracht zur Tür schnellte.

„Prentiss, Sie sehen nach ihr. Jetzt sofort", wies der Vorgesetzte seine Kollegen an, was Emily ordnungsgemäß befolgte und in Richtung des Sanitärbereichs verschwand.

„Aber wer ist der zweite Mann? Hannah sprach eindeutig von einem zweiten Täter. Und wir alle wissen, dass Easton nicht allein gemordet haben kann", kam es von Reid.

„Und vor allen Dingen: wohin sind die Kinder danach verschwunden?"

„Haben wir eine Adresse?"
Garcia verschwand kurz im Nebenzimmer, ehe sie mit der nötigen
Information zurückkam.

„Brightononavenue 36."

„Okay, dann nichts wie hin."
Die Agenten wollten sich bereits in Bewegung setzen, als ihnen der eintretende Besucher Einhalt gebot.
Hannah war zurück in den Versammlungsraum gekommen. Gestützt von Emily wischte sie sich noch einmal über den Mund, weil sie sich offenbar übergeben hatte.

„Ich möchte mitkommen."
Prentiss schüttelte heftig mit dem Kopf.

„ Das geht nicht."

„Kommt auf keinen Fall in Frage", bestätigte nun auch Hotch. Aber Hannah ließ sich nicht abschrecken.

„Bitte, Ben und Gloria sind meine Mitschüler. Lassen Sie mich wenigstens im Auto warten, um zu hören wie die Sache ausgeht."

Der Schwarzhaarige sah das Mädchen finster an, stöhnte dann genervt.

„Aber nur unter einer Bedingung. Du versprichst im Wagen zu bleiben. Bei der kleinsten Auffälligkeit hat sich die Sache für dich erledigt. Haben wir uns da verstanden? Das dort ist kein Kinderspielplatz, sondern ein Tatort."

„Kapiert, Sir."

„Gut. Wir rücken ab. Garcia, du sagst Kevin von der 55. Einheit bescheid. Der soll mit Hannah vor dem Haus warten."

heaven and hell (Criminal minds)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt