Heute: 11. September 2001

38 3 0
                                    


Nach der Jahrtausendwende wurde Nana krank, was zur Folge hatte, dass ich sie nicht mehr oft gesehen habe. Sie wurde in ein Seniorenheim gebracht, weil sie nicht mehr für sich selber sorgen konnte, und auch nicht mehr für mich. Aber sie hat uns alle paar Tage mal angerufen. Zu ihrem Geburtstag habe ich die DDR Hymne gelernt und sie für Sie gespielt und gesungen. Sie war so gerührt, dass sie mich gar nicht mehr aus ihrem Arm lies. Dadurch, dass Nana weg war, habe ich eine Nanny bekommen. Louise. Sie kam aus Frankreich in die USA. Sie hat mir die Marseillaise beigebracht, wegen meinem stetig wachsenden Interesse an Fremdsprachen und Nationalhymnen. Wir kamen super miteinander klar. Aber ich hatte es lieber, wenn meine Eltern da waren. Die hatten übrigens etwas zu feiern. Sie sind dreifache Millionäre geworden. Ohja, die beiden waren stinkreich. Vor zwei Jahren haben die beiden mir, einfach so zwischendurch, einen Flügel gekauft. Weil sie's können. Aber sie feierten nicht nur ihre dritte Million, sondern auch ihr 10. Hochzeitstag stand bevor. Sie gingen schon ein paar Monate vorher in Planung. Mein Dad blätterte durch ein Prospekt. „Steph, ich wollte schon immer mal nach London. Wie sieht's aus?" „London? Das ist weit. Meinst du nicht, wir sollten irgendwo in der Nähe bleiben?" antwortete meine Mum besorgt. Sie war immer besorgt, mich länger als sonst allein zu lassen. „Was ist mit New York?", schlug sie vor. Ich hab gar nicht so viele Hände, um zu zählen, wie oft die beiden in New York im Madison Square Garden waren, um sich WWF Events anzuschauen. Sie waren beide große Wrestling Fans. Mum war ein großer Fan von The Undertaker und mein Dad fand Stone Cold Steve Austin immer ganz geil. Aber sie haben sich dann doch geeinigt und wollten ihren Jahrestag in New York verbringen. Mum buchte den Flug, das Hotel und andere Sachen. Sie hat auch noch eine kleine Überraschung geplant, in dem sie, für den Tag vor ihrem Jahrestag, ein Frühstück im "Windows on the World" Restaurant im Nordturm des World Trade Centers buchte. Ich habe von meinem Lieblingslied eine Version auf Kassette aufgenommen und in ihre Tasche geschmuggelt. Ich hab drauf geschrieben, dass sie erst an ihrem Jahrestag öffnen dürfen.

Am Sonntag, den 9. September 2001 sind sie dann los. Sie haben sich so lange von mir verabschiedet, dass es fast schon genervt hat. „Ich liebe dich Amber" – „Ich liebe dich Mum". „Ich liebe dich Amber Marie" – „Ich liebe dich Dad". Ich erinnere mich, dass der erste Abend ganz ruhig zu Ende ging. Louise und ich haben viel Klavier gespielt und zusammen gesungen. „Wenn du älter bist, sollten wir mal zusammen auftreten", sagte Louise zu mir. Am nächsten Tag haben Mum und Dad angerufen. Sie erzählten mir, was sie bisher gemacht hatten und ich erzählte was wir gemacht hatten.

Ich wusste, dass sie mich heute Morgen nicht anrufen würden, weil sie ja im World Trade Center frühstücken. Um ungefähr 9 Uhr klingelte die Schulglocke. Komisch, weil es eigentlich noch nicht Zeit war für Pause. Die Stimme des Direktors ertönte über die Lautsprecher, und er bat darum, dass die gesamte Schüler- und Lehrerschaft sich in der Aula einfinden. Unsere Lehrerin wusste offensichtlich auch von nichts. Als sich alle in der Aula eingefunden hatten, trat der Direktor vor die Menge und fing an zu sprechen. „Sicher fragt ihr euch, warum ich euch hier heute Morgen zusammen gerufen habe." Seine Stimme zitterte so derbe, dass es den Eindruck machte, als würde er gleich anfangen zu weinen. Er sah unglaublich geschockt aus. „Nun, ich habe die Nachricht erhalten, dass vor ein paar Minuten zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers geflogen sind. New York ist unter terroristischem Anschlag." Wie bitte? Das World Trade Center? Sind meine Eltern nicht da? Die frühstücken da doch!? Nein. NEIN! Naja obwohl, es ist viertel nach Neun, da werden sie bestimmt schon raus sein. „Ich möchte euch nun alle bitten, für eine Schweigeminute aufzustehen. Wir werden dann schauen, wie wir heute weiter verfahren."

Amber: Damals. Heute. Für immer.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt