8. Kapitel

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„Lily! Ich habe mir wegen dir in die Hosen gemacht!"

Ich springe auf, drehe mich um, doch da ist niemand. Verwirrung breitet sich in mir aus. Habe ich mir das nur eingebildet? Wo ist sie?

„Ja, das hast du."

Die Stimme kommt direkt neben mir, aber ich sehe niemanden. Ist das ein Scherz? Oder bilde ich mir das nur ein? Hören meine Ohren jetzt auch noch Dinge, die nicht da sind?

„Melia, ich bin nicht einfach eine Stimme. Ich habe mich doch schon vorgestellt. Ich bin Engelskind."

„Ach du meine Fresse, ich bin durchgeknallt."

Plötzlich taucht ein Kind vor mir auf. Mein Herz bleibt für einen Moment stehen. Was ist das? Es sieht aus, als wäre es direkt aus einem Märchen entsprungen. Es hat wunderschöne blonde Locken, große, blaue Augen und ein Gesicht, das beinahe zu perfekt wirkt, als wäre es von Gott höchstpersönlich geschaffen, um mich zu retten.

Aber dann sehe ich das Tattoo auf seiner Wange. Ein kleines, aber sehr auffälliges Bild des Teufels, das in einem rötlichen Farbton auf seiner Haut prangt. Trotz seiner Unschuld, wirkt es irgendwie falsch.

Mit meinen Adleraugen entgeht mir nichts – das war schon immer so. Doch das, was ich jetzt sehe, lässt mir die Kehle zuschnüren. Was ist das? Was soll dieser Teufel?

„Sag mal, bist du real?"

„Nein, du Dummerchen. Ich bin nur eine Vorstellung von dir. Hahaha! Ihr Menschen seid alle so dumm. Immer denkt ihr, wir wären nur eine Warnvorstellung oder eine Fantasiefigur."

Ich bin völlig verwirrt. Was ist hier los? Wie kann ich mit so einem Wesen sprechen, einem so schönen, aber zugleich gruselig aussehenden Wesen?

„Melia, wie ich bemerkt habe, hast du mein Tattoo auf meiner Wange gesehen. Schlaues Mädchen. Aber der Teufel hat mich nicht geschickt. Nein, es war Mama. Sie ist ganz, ganz böööse." Das Kind lacht wieder, ein höhnisches, widerliches Lachen.

„Wer ist Mama?"

„Nun öffne die Kiste. Das wird alle deine Fragen beantworten."

In seinen Händen erscheint plötzlich die Kiste, die ich in meinem Schrank gesehen habe. Doch jetzt ist sie anders. Sie strahlt eine dunkle, unheilvolle Aura aus, die mich zurückschrecken lässt.

„Öffne sie!" Das Engelskind blickt mich jetzt mit einer ernsten, fast bedrohlichen Miene an.

Ich will nicht. Ich traue mich nicht. Ich kann diese Kiste nicht öffnen. Sie macht mir Angst.

„ÖFFNE SIE!"

Der Befehl trifft mich wie ein Schlag. Die Stimme ist so durchdringend, dass sie sich wie eine körperliche Präsenz anfühlt. Zitternd nehme ich ihm die Kiste ab und öffne sie.

„Na, siehst du? War doch nicht so schwer, oder?" Das Monster – das in diesem Moment alles andere als ein Engel ist – lacht höhnisch.

„Nein, das darf nicht wahr sein!" Mein Atem stockt, und ich kann kaum sprechen.

„Na, gefällt dir mein Geschenk? Ich dachte, da du heute Geburtstag hast, mache ich dir eine Freude und bringe dich dann um. Ist das nicht schön zu wissen?"

Ich habe Geburtstag? Ich habe sonst nie meinen Geburtstag vergessen. Mit einem Blick auf den Kalender an der Wand sehe ich, dass das Engelskind recht hat. Es ist mein Geburtstag. Aber wie weiß es das? Wie kann es mir dieses „Geschenk" machen?

„Lieber Gott, lass dies nur ein blöder Traum sein. Wenn ich wieder aufwache, ist Lily hier und dieser ganze Albtraum war nichts als eine Lüge."

Das Engelskind beginnt wieder zu lachen. Dieses Lachen hallt durch den Raum, zieht sich wie ein düsterer Nebel in mein Bewusstsein. Es geht mir auf die Nerven. Es ist so unangenehm, dass ich nicht mehr an mich halten kann.

Verzweifelt beginne ich, mir selbst Schmerzen zuzufügen. Ich zwicke, schlage, kratze an meiner Haut, in der Hoffnung, dass der Schmerz mich aufwecken lässt. Doch ich spüre alles. Jeden einzelnen Schmerz, den ich mir zufüge. Ich spüre die Verzweiflung, die mit einer bitteren Mischung aus Panik und Angst in mir kocht. Sie sinkt mich zu Boden, lässt mich kraftlos und erschöpft zurück.

Es hat keinen Sinn mehr. Ich will nur noch aufstehen und schlafen gehen, doch ich bin zu erschöpft. So sehr, dass ich einfach auf dem Küchenboden zusammenbreche und in einen unruhigen Schlaf falle.

Am nächsten Morgen wache ich mit starken Kopf- und Rückenschmerzen auf. Ich liege auf dem harten Küchenboden. Was ist gestern passiert? War das ein Traum? War ich betrunken, und das war alles nur eine Halluzination?

„Lily! Lily!"

Ich schrie durch die Wohnung, doch es gibt keine Antwort. Ich sehe mich in jedem Raum um. Aber irgendetwas stimmt nicht. Warum ist die Wohnung so leer? Wo sind all unsere Sachen? Was ist hier nur los? Wenn Lily alles weggeräumt hat, wann hat sie das gemacht? Warum erinnere ich mich an nichts davon?

Vielleicht ist sie Brot kaufen gegangen oder hat bei jemand anderem übernachtet. Aber warum weiß ich nichts darüber? Wo ist sie? Warum erinnert sich mein Kopf an nichts?

Das RitualWo Geschichten leben. Entdecke jetzt