Ich nehme einen weiteren tiefen Zug von meiner Zigarette. Der eisige Wind zerzaust meine braunen Haare und lässt mich zittern. "Ich wusste gar nicht, dass du rauchst", bemerkt Hyunwoo, der sich am Geländer abstützt und mich mustert. "Aber jetzt wundert mich der Rauchgeruch, der an deinen Klamotten haftet nicht mehr." Ich verdrehe die Augen und trete die Kippe aus. "Ich habe noch nie jemanden so ästhetisch rauchen sehen", lacht er leise und richtet den Blick in die Ferne. "Du zitterst. Geh rein." Stur schüttele ich den Kopf. "Ich habe aber hunger, also sei so gut und mach etwas zum Essen", brummt der Ältere und geht mit mir im Schlepptau zurück in mein Zimmer. "Lass mich los", jammere ich, da sein Griff ziemlich kräftig ist. "Du tust mir weh!" Sofort lässt er mich los und geht zielstrebig weiter auf die Gemeinschaftsküche zu. Je näher wir der Küche kommen, desto langsamer werde ich. Hyunwoo packt mich wieder genervt am Arm und zieht mich unsanft hinter sich her.
Da ist sie. Die Tür zur Küche. Dahinter befinden sich die ganzen Kalorien, die ich nicht zu mir nehmen will und kann. Ich hasse diesen Ort. Eine kleine Melodie summend holt sich Hyunwoo zufrieden ein Bier aus dem Kühlschrank und öffnet den Deckel mit seinen Zähnen. Autsch. "Kihyun!", begrüßt mich Jooheon. Der hat mir gerade noch gefehlt. "Oh, dich kenn ich ja noch gar nicht", wendet er sich Hyunwoo zu. "Ich bin Jooheon und wer bist du? Bist du neu? Was studierst du?" Hyunwoo sieht ihn perplex an, da er so wie es aussieht, überfordert mit den Fragen ist. "Wüsste nicht, was dich das angeht", brummt er und durchwühlt den Kühlschrank. "Kannst du kochen?", fragt er mich neugierig. "K-Kannst du nicht selber kochen?", murmele ich unsicher, doch er schüttelt grinsend den Kopf. "Ich will nicht!", rufe ich, als er mir ein Topf in die Hand drückt und ernte einen überraschten Blick von Jooheon. "Nerv nicht", brummt Hyunwoo. "Können wir dir helfen?", fragt er nun Jooheon, der gleich zu stimmt und ihm ein Schneidebrett und Gemüse in die Hand drückt.
Sanft schiebt er mich zur Küchenanrichte und legt das Schneidebrett mit dem Gemüse hin. Dann macht er sich auf die Suche nach Messern und Schälern. Ängstlich starre ich das Gemüse an und gehe sämtliche Nährwerttabellen im Kopf durch. Erschrocken zucke ich zusammen, als er mich von hinten umarmt. Er stützt seinen Kopf auf meiner Schulter ab und beginnt konzentriert das Gemüse zu schälen. Durch die plötzliche Nähe ist mein Kopf wie leergefegt und es gelingt mir sogar, zwar etwas unbeholfen, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen und es macht mir Spaß. In diesem Moment bin ich nur auf ihn fixiert. Ich vergesse völlig, mir Gedanken über das essen zu machen und es fühlt sich verdammt gut an, auch wenn es immer noch seltsam ist, dass er so sehr körperliche Nähe sucht und ich eigentlich nicht wirklich begeistert sein müsste, wenn er meinen Körper antatscht. Bei Hoseok habe ich mich schließlich immer furchtbar geziert.
"Guten Appetit!", wünscht uns Jooheon und die anderen fangen an, unser Essen zu essen. "Willst du nicht mal probieren?", raunt mir Hyunwoo ins Ohr und es wirkt fast so, als wäre er gekränkt. Mit zitternden Händen, nehme ich mir eine kleine Portion. Iss nicht! Iss es nicht! Du nimmst schon zu, wenn du es nur anguckst! Nur wenn du dünn bist, bist du schön! Meine Gedanken schreien mich an. Ich will nichts essen, ich kann es nicht."Wir gehen dann mal", verabschiedet sich Jooheon und geht mit dem Blonden. Wie lange starre ich schon das Essen an? "Kihyun", haucht Hyunwoo und zieht mich an sich. "Iss", befiehlt er sanft. "Ich kann nicht", schluchze ich. Vorsichtig streicht er mir über die Wange.
"Du bist krank, Kihyun. Du bist so wunderschön und trotzdem hast du in dir das Verlangen, immer mehr abzunehmen, immer dünner zu werden. Du bringst dich um, du kannst es nicht vor mir verstecken. Du bist schön."
Diese Worte lösen irgendetwas in mir aus. Tränen laufen mir über die Wangen. Ich weiß, dass mein Essverhalten nicht normal ist, aber es von jemandem bestätigt zu bekommen ist noch mal eine andere Nummer. "Ich will nicht, dass du stirbst", sagt er mit gebrochener Stimme. "Ich bitte dich, iss." Wie fremdgesteuert, schlinge ich das Essen runter. Ich habe fast vergessen, wie gut Essen schmecken kann, aber egal wie gut Essen schmeckt, nichts fühlt sich besser an, als die Kontrolle über meinen Körper zu haben. Ich will in diesem Punkt Perfektion haben, nur in diesem Punkt. Mechanisch hole ich mir Nachschlag, auch wenn mein Magen schon randvoll ist.
Du bist nicht gut! Spuck das wieder aus!
"Du machst das toll", flüstert mir der Ältere zu. Auf seinen Lippen liegt ein sanftes Lächeln, doch in seinen Augen schimmert tiefe Traurigkeit und Verzweiflung. Er spült das Geschirr, während ich gegen die aufkommende Panik ankämpfe. Ich fühle mich schlecht, richtig schlecht. Das Verlangen mir gewaltsam den Finger in den Hals zu stecken steigt von Sekunde zu Sekunde ins Unendliche. "Kihyun, behalte die Kontrolle", meint Hyunwoo sanft und führt mich in mein Zimmer. "Zieh dir etwas an. Wir machen einen kleinen Ausflug." "I-Ich will mich übergeben", gestehe ich ihm. Wie schwach ich doch bin. Kalt lache ich auf. "Ich würde dir gerne jemanden vorstellen", meint Hyunwoo und zieht sich seine Schuhe an. Geschlagen ziehe ich mich ebenfalls an und stehe wenige Minuten später am U-Bahn-Bahnhof. "Wo gehen wir hin?", frage ich neugierig. "Wir besuchen einen alten Freund", erklärt er und nimmt meine Hand. Ich nicke nachdenklich und folge ihm in die U-Bahn. Neugierig beobachte ich die Menschen, was wohl ihre Geschichte ist?
Mein Blick fällt auf ein junges Mädchen. Ihre Augen wirken tot, was ihr wohl widerfahren ist? Vielleicht wurde sie Missbraucht. Mein Blick schweift weiter und bleibt an einer Frau mit zwei kleinen Kindern hängen. In ihren Augen kann ich Verzweiflung sehen, vielleicht ist ihr Mann im Krieg? Interessiert bleibt mein Blick nun an zwei Jungen und einem Mädchen hängen. Das Mädchen sitzt dem einen Jungen kichernd auf dem Schoss, während der andere Junge seinem Kumpel traurige, eifersüchtige Blicke zu wirft. Einseitige Liebe. Dann mustere ich Hyunwoo, der aus dem Fenster sieht. Auch seine Augen wirken leer und traurig. In ihnen liegt kein Glanz. "Was ist wohl deine Geschichte?"
Wenn ich Sätze wie 'zu dünn ist doch gar nicht schön' zu hören bekomme, merke ich, dass die Leute nicht verstanden haben, dass mehr hinter der Krankheit steckt als nur der Wunsch einer schlanken Figur
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Nostalgia | Showki
FanfictionHinter jeder Sucht steckt eine Sehnsucht. "Jeder Schluck macht mich glücklicher, verdammt." Der junge Student Kihyun, der in einem Café jobbt, stößt eines Tages auf den obdachlosen Hyunwoo, der dem Jüngeren direkt den Kopf verdrehte. Trotz der abwei...