Ten | Shownu 💫

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Sanft streiche ich mit meiner Fingerkuppe über das filigrane Muster. Das Glas fühlt sich angenehm kühl an. Ich mustere die vielen Menschen, die hektisch an mir vorbei rauschen und mir ab und zu mitleidige oder angeekelte Blicke schenken. Mein Becher blieb für heute leer, aber das ist nicht schlimm. Ich muss mir einfach meinen Alkohol gut einteilen. 

Mein Blick schweift zu der fast leeren Flasche. Bis morgen wird mir das nicht reichen. Nicht mal für die nächste Stunde. Aber ich muss damit klar kommen. Der kleine Moment von Luxus wird mir nur kurz verwehrt, dass war mir zwar von Anfang an klar, doch trotzdem fehlt mir das warme Bett bei Kihyun, genug zu essen und Geld, dass ich für Alkohol verwenden kann. Auch fehlt mir, aus mir unerklärlichen Gründen der junge Mann, der mich einfach kurzer Hand bei sich aufgenommen hat und mich für eine kurze Zeit, Teil seines Lebens werden ließ.

Oft frage ich mich, wie es ihm gerade geht. Nachdem er einigermaßen stabil war, wurde er direkt in eine Klinik verwiesen. Ich habe mich nie getraut, ihm ein weiteres mal unter die Augen zu treten. Ich wollte, dass er aus meinen Gedanken stirbt. Ihn in dieser Teufelsflüssigkeit ertänken. Er soll verschwinden, wie alles andere, was mir einst wichtig war. Nur für den Alkohol ist Platz in meinem Leben und Herzen und doch erscheint sein feines, hübsches Gesicht jedes Mal, wenn ich die Lider schließe vor meinem inneren Auge. Aber ohne mich, ist er besser dran.

Ich lasse meinen Blick weiter über das Farbenmeer vor mir abspielt schweifen. Die vielen Menschen in ihren bunten Jacken, Mützen und Hosen. Die selben Marken, der selbe Style, die selben Muster, die selben Taschen. Niemand traut sich gegen den Strom zu schwimmen und wenn man es sich wagt, wird man ausgestoßen. Oft habe ich mich gefragt, wieso diese Welt so ist. Wir leben nicht mehr, wir müssen nur funktionieren und das tun, was man uns vorgibt. Arbeit, Style, Musik. Einfach alles. Im Grunde, bestimmen wir nichts mehr. Wir denken, die Kontrolle zu haben, doch in Wirklichkeit, kontrollieren wir nichts.

Glückshormone durchströmen mich, als das kühle Glas meine Lippen berührt. Mit einem Lächeln nippe ich an der Flüssigkeit. Es brennt unangenehm im Rachen, doch die Wirkung setzt bald ein. Ich will nichts mehr fühlen, ich will nicht mehr denken, ich will nicht mehr leben. Ich schließe für einen Moment die Augen und genieße das Gefühl, doch dann spüre ich etwas feuchtes an meiner Wange. Erschrocken öffne ich die Augen und sehe in die Augen, eines mir altbekannten Gesichts.

Verächtlich sieht er auf mich herab. Angeekelt und geschockt wische ich den Speichel von meiner Wange. Er hatte mir einfach ins Gesicht gespuckt! "Hyunwoo, wo ist mein Geld?", erklingt die tiefe Stimme des Mannes, dass mir Schauer über den Rücken laufen lässt. Verzweifelt versuche ich mich zu beruhigen, hier sind viele Menschen, mir wird nichts passieren. Aber wer wird schon einem Obdachlosen helfen? Für deren Augen bin ich der letzte Abschaum.

"Ich habe kein Geld", wispere ich leise, doch er hatte es gehört, denn kurz danach wurde ich am Kragen hochgezogen. "Du widerst mich an, Kleiner." Er war mit seinem Gesicht so nahe an meinem, dass ich den intensiven Geruch von kalter Asche und Alkohol deutlich wahrnehmen kann und es mir den Magen umdreht. "Ich will mein verdammtes Geld", schreit er mich wütend an. "Du Nichtsnutz hast Schulden im dreistelligen Bereich!" Rasend vor Wut schnappt er mir die Flasche aus der Hand und schlägt sie neben mir gegen die Wand, dass sie klirrend zerschellt. Die scharfen Enden der Flasche drückt er mir gegen den Hals.

"Dann geh für mich anschaffen", flüstert er mir bedrohlich ins Ohr. Ein erneuter Schauer fließt mir über den Rücken. Die Leute beachten uns nicht, unglaublich. Sie rauschen weiter an uns vorbei, wäre ich kein Abschaum, wäre es unterlassene Hilfeleistung. Aber mir wird niemand zur Hilfe eilen. Nicht einmal mehr Kihyun, den ich sowieso enttäuscht hatte. Den ich nicht einmal besucht hatte, seit er in dieser Klink ist, weil ich ein verdammter Feigling bin. Und genau jetzt, wünsche ich mir nichts mehr, als ihn. Doch ich werde vermutlich gleich abkratzen, auch wenn es für alle und vor allem für mich eine große Befreiung wäre, will ich es nicht. Ich muss zu Kihyun.

Grob zog der Mann mittleren Alters mich hinter sich her. "Merk dir eins, bei mir werden immer die Schulden zurückbezahlt", grollt er. Hilfesuchend sehe ich mich um, doch keiner hilft mir. Ich versuche verzweifelt Blickkontakt mit einigen Passanten aufzunehmen, doch wenn sich unsere Blicke treffen, wenden sie alle den Blick ab und ignorieren mich. Verdammt.

Bei jedem Meter, den wir laufen, erhöht sich mein Herzschlag. Meine Atmung wird hektischer und ich beginne unkontrolliert zu zittern. Meine Angst vermischt sich mit Wut und bitterem Hass auf mich selbst. Wieso kann ich meiner Sucht nicht entkommen? Sie hatte ihre Ketten und zwar Kettenglied um Kettenglied an mir befestigt und mich gefangen. Ich bin ihr Gefangener und komme nicht mehr von ihr los. Mir fehlt der Wille, zu fliehen. Ich habe keine Kraft mehr zum kämpfen. Ich hatte schon vor Jahren aufgegeben, aber jetzt, wo mir das erste mal seit einer kleinen Ewigkeit jemand wichtig geworden ist, will ich kämpfen doch kann es nicht. Welch Ironie des Schicksals.

Kurz spiele ich mit dem Gedanken, meinem Vater um Hilfe zu bitten, aber für ihn bin ich sowieso die reinste Enttäuschung und es ist zu spät. Ein Stoß, der mich nach vorne stürzen lässt, reißt mich aus meinen Gedanken. Brennender Schmerz breitet sich in meinen Handflächen, mit den ich mich abgefangen hatte, aus. Die Scham in den Dreck gestürzt zu sein, war unerträglich und mein Gesicht verfärbt sich rot. Mist!

Das Gelächter schallt in meinen Ohren, von den ganzen Leuten die das beobachtet hatten. "Steh auf, wir müssen weiter", meint er bedrohlich. Und ich folgte dem Befehl. Ich weiß genau, dass er nur ein Vorbote meines Untergangs ist.

Sucht: Der Herr ist dem Sklave hörig.

Nostalgia | ShowkiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt