Nine | Kihyun 🌙

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Ich hasse Essen. Essen ist eklig und macht fett. Ich hasse Fett, jedes Gramm, dass an mir hängt muss runter. Ich habe so panische Angst, mein Ziel, von meinem Traumkörper nicht zu erreichen. Es ist mir egal, wenn mir meine Gelenke schmerzen und mein Bauch vor Hunger krampft. Es ist mir egal, wenn ich ohnmächtig werde. Es ist mir egal, wenn ich nicht genug Nährstoffe zu mir nehme. Jeder Blick in den Spiegel bringt mich fast zu weinen. Überall sehe ich noch Fett, dass unbedingt runter muss. Ich muss nichts essen. Sport und Disziplin werden mir helfen, meine Ziele zu verwirklichen und diese verdammte Essklinik, in die ich gebracht wurde, wird mich auch nicht ändern können. Hyunwoo will doch auch keinen pummeligen Jungen. Ich will der schönste und dünnste Junge sein. 

Gebrochen sehe ich in meine glanzlosen Augen. Ein schwaches, verkrampftes Lächeln ziert meine Lippen. Ich beuge mich über die Toilette und starre gedankenverloren in das klare Wasser. Wie fremdgesteuert schiebe ich mir tief meinen Finger mit Gewalt in meinen Hals. Die Wirkung setzt direkt ein und ich übergebe mich. Ich wiederhole dein Prozess weitere Male, bis nur noch Galle aus mir kommt. Fürchterlich zucke ich zusammen, als sich eine kalte Hand auf meinen nackten Rücken legt. "Sh~, ich verrate dich schon nicht", kichert mir die all zu bekannte Stimme.  "Brauchst du noch lange? Aus mir muss auch noch so einiges", nervt mich der Jüngere weiter.

Erschöpft richte ich mich auf und beginne mir den Mund am Waschbecken auszuspülen. Währenddessen vernehme ich die Würggeräusche, meines Zimmermitbewohners, der ebenso seine Nahrung loswerden muss, bevor diese beginnt anzusetzen. Das ganze war seine Idee und ich könnte ihn Abknutschen für diese geniale Idee. "Wollen wir spazieren gehen?", fragt der Schwarzhaarige aufgeregt. "Natürlich können wir gemeinsam spazieren gehen", meine ich mit einem sanften Lächeln. Er ist der Grund, warum ich noch nicht komplett durchgedreht bin, in diesem Irrenhaus. Sein fröhliches Wesen sorgt bei mir ebenfalls, für eine bessere Stimmung als sonst, dennoch fehlt mir Hyunwoo sehr. 

"Wieso hast du diesen traurigen Blick gerade?", fragt mein Zimmergenosse besorgt. "Wenn ich du wäre, würde ich nur noch strahlen. Du bist so wunderschön schlank, ich liebe deine Figur. Ich wette, jeder würde mit dir ausgehen wollen. "Du... findest mich wunderschön?", murmele ich überrascht. "Ja und wie", meint der Schwarzhaarige mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. "Ich bin noch lange nicht an meinem Ziel. Du bist mein Vorbild. Ich finde deinen Körper so perfekt." Mit seinen knochigen, kalten Fingern streicht er mir über meinen Arm hinauf zu meiner Schulter, über meinen Hals bis zu meiner Wange. 

"Ich will noch schöner sein", lächele ich hypnotisiert von seinen Worten. "Dann machen wir gemeinsam Sport", meint der Jüngere, der schon dabei ist Liegestützen  zu machen. Die hölzerne Tür schwingt auf und Hoseok betritt das Zimmer. Er stürmt auf mich zu und zieht mich in seine Arme. "Bei Gott, Kihyun. Ich hatte so eine Angst um dich", murmelt er mit gebrochener Stimme. "Ich hätte für dich da sein sollen, Kleiner. Ich bereue es, es nie bemerkt zu haben. Wieso hast du mir nie was gesagt? Ich hätte dir helfen können." Fassungslos sehe ich ihn an. Wut steigt in mir auf und ich stoße ihn kraftlos von mir. "Tu nicht so, als könntest du mir helfen! Und ich bin nicht krank oder ist es krank, Ziele zu haben. Es ist mein verdammter Körper und es ist meine Entscheidung, was ich mit meinem Körper mache. Mischt euch nicht in mein Leben ein", schreie ich ihn wütend an, während mir die Tränen über die Wangen strömen. 

"Verschwinde." Überraschung, Wut und Enttäuschung schimmern in seinen Augen. "Dann geh ich, aber ich werde nicht mehr wieder kommen. Dich kann doch sowieso keiner leiden, oder wieso ist dein Hyunwoo noch nicht aufgetaucht? Du bist jedem egal. Du bist ein niemand und dich wird nie wieder jemand lieben", sagt er mit einem fiesen Grinsen auf den Lippen und rauscht aus dem Raum. Bei dem Knall der Tür zucke ich heftig zusammen. Nach und nach realisiere ich seine Worte. Heulend rolle ich mich in meine Bettdecke ein und blende alles um mich herum aus. Wie konnte ich zu naiv sein und mir Hoffnung machen, dass ein Alkoholiker mich lieben könnte. Er hat sich kein einziges Mal gemeldet, oder mich besucht, seitdem ich hier bin. 

"Jungkook, Kihyun, kommt ihr zum Abendessen?", erklingt die freundliche Stimme eines Pflegers, der den Kopf zur Tür reinstreckt. Brav folgen wir ihm in den Speisesaal und setzen uns an einen Tisch. Das ganze Abendessen über rühre ich die Kalorienbombe nicht an. Ich bin mit meinen Gedanken bei Hyunwoo. Ich vermisse ihn so. Der Raum wurde mit der Zeit immer leerer und die Pfleger, die um uns herumwuseln und kontrollieren, dass wir Nahrung zu uns nehmen, werden auf mich aufmerksam. 

"Kihyun, du musst essen", meint der junge Pfleger von vorhin und setzt sich gegenüber von mir. "Bedrückt dich etwas?" Stur richte ich den Blick auf meinen Teller und ignoriere ihn. "Bestimmt ist die Liebe an deiner Stimmung schuld", stellt er mit einem traurigen Lächeln fest. Mir fällt der Ring an seinem Finger auf und erneute Wut steigt in mir auf. "Tu nicht so, als könntest du mich verstehen. Du weißt nichts von mir! In deinem Leben läuft doch alles super. Lass mich einfach in Ruhe", keife ich den jungen Mann an. Nachdenklich fährt er sich durch die Haare. 

"Wie wäre es, wenn wir einen kleinen Ausflug machen?", fragt er dann, nach Minuten der Stille. Überrascht sehe ich ihn an. "Gerne, hauptsache ich komme mal aus diesem Irrenhaus hinaus", stimme ich nach kurzer Überlegung zu. "Sehr schön", freut er sich. "Aber, du musst mindestens die Hälfte deines Tellers leer essen." Trotzig sehe ich ihn an und beginne einen kleinen Bissen, von meinem Essen zu nehmen. Mein Würgereiz setzt ein und ich habe Schwierigkeiten, das Gegessene in mir zu behalten. Jeder Biss ist die reinste Hölle für mich. Am liebsten hätte ich alles auf den Tisch wieder ausgekotzt. Mein Magen schmerzt qualvoll. 

"Ich kann nicht mehr", sage ich zu dem Pfleger, dessen Namen ich immer noch nicht kenne, nach einer halben Ewigkeit. Kritisch begutachtet er mein gerade mal zum viertel aufgegessenes Essen. "Nun ja, es ist schonmal ein Anfang. Dann gehen wir mal, aber du darfst es keinem sagen. Ich will nicht meinen Job verlieren.", meint er und steht auf.

Thin, thin, thin, thin, thin.
Be thin, very thin.
Now stay thin.
Be thinner, thinner.
Always thinner.
You're not thin enough. 
Thin, thin, thin. 
Always thin.

Nostalgia | ShowkiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt