WICKED // 7

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Vielleicht hatte Ava Paige recht. Die ganze Folter, das taten wir nur, um ein Heilmittel zu finden.
Ich konnte mich noch zu gut daran erinnern, wie der Brand auch meine Eltern befiel. Wie sie langsam aber sicher verrückt wurden. Wie ich sie wegsperren musste, damit sie mich nicht angriffen. Die Zahl der Brand-Opfer weltweit hatte noch zugenommen. So sehr ich es hasste, es war wohl die einzige Möglichkeit. Sie zu foltern war nicht moralisch und ich wusste, dass ich mich dafür hassen würde. Dass ich mich auf irgendeine Weise mit Newt angefreundet hatte, machte das alles nicht besser. Im Gegenteil, alles wurde dadurch nur schlimmer. Man folterte seine Freunde nicht. Ich hatte also zwei Möglichkeiten. Ich könnte aufhören sie zu foltern, aber so kamen wir dem Heilmittel niemals näher. Und es war doch auch meine Pflicht, es zu finden. Ich wollte nicht, dass andere Kinder auch ihre Eltern verloren, wie ich es getan hatte. Die zweite Möglichkeit war, den Kontakt abzubrechen. Nicht mit den Subjekten zu sprechen. Anweisungen geben und so tun, als würde es mir nichts ausmachen, sie derart zu foltern. Das hieß auch kein Kontakt zu Newt. Ich mochte ihn wirklich sehr, irgendetwas an ihm, hatte mich angezogen, schon von Anfang an. Es war jedoch besser, ihn nicht wiederzusehen. Ich konnte Arbeit nicht mit Vergnügen vermischen, so sehr ich es auch wollte.

Mit schnellen Schritten lief ich in den Laborflügel. Hier führten wir Experimente durch. Wir waren kurz davor, den ersten Jungen ins Labyrinth zu schicken. Ich besuchte Brenda, die schon morgen die Operation bei Alby durchführen würde.
Sie starrte durch eine Glasscheibe, hinter der ein weißer Raum lag. In der Mitte stand ein Tisch, an dem Alby saß.
"Hey, wie geht's dir?", fragte Brenda nach und legte ihre Hand an meine Schulter.
"Schon in Ordnung. Ich hatte nur viel zu tun. Ein Junge aus der Gruppe wollte sich das Leben nehmen und ich-"
"Davon habe ich schon gehört", sagte Brenda einfühlsam.
"Ich mag ihn gerne. Er ist freundlich, obwohl ich ihm all diese Dinge antue", sagte ich.
"Alaska, hast du dich etwa in ihn verguckt?", fragte Brenda erstaunt.
"In Newt? Nein. Also... ich denke nicht", murmelte ich.
"Alaska!", rief Brenda. "Hör mal zu, es gibt hier Regeln. Ich will dir dein Glück nicht verweigern, aber das ist falsch. Keine persönlichen Beziehungen."
"Ich weiß doch", erwiderte ich. "Ich werde ihn nicht mehr wiedersehen. Das war's! Ich wollte mich nur erkundigen, ob es ihm besser geht. Kannst du es glauben, dass man ihm auf der Krankenstation die Schmerzmittel entzogen hat?"
"Ich weiß. Die Leute hier können echte Monster sein", gab Brenda zurück und schüttelte den Kopf. "Hast du dir Alberts Akte angesehen?"
"Ja... Ist es schon Zeit für die Einführung?", fragte ich.
Brenda nickte. "Du kannst es ihm jetzt sagen, er ist schon ganz nervös. Man braucht dich übrigens später noch im Labyrinth."
"Ist gut", erwiderte ich und betrat mit seiner Akte in der Hand, das weiße, grelle Zimmer. Irgendwie roch es darin nach Zitronen, ein stechendes Aroma in der Nase.
"Hallo, Alby." Er zuckte zusammen, als er mich sah.
"Wieso tun Sie mir das an?", fragte er.
Ich setzte mich und räusperte mich. "Alby. Das alles ist für eine größere Sache."
"Das ganze hatte ich mir nicht so vorgestellt", zischte er. "Das ist Folter. Wie wollt ihr damit ein Heilmittel finden?"
"Das Heilmittel liegt in eurem Gehirn", erwiderte ich.
"Wieso entnehmen sie mir dann ständig Blut und filtern diese blaue Flüssigkeit?"
"Eine exzellente Frage", antwortete ich. Auch ich selbst ließ mir immer wieder Blut abnehmen. "Alle Immunen tragen ein Heilmittel in ihrem Blut-"
"Warum werden wir dann noch gefoltert?", unterbrach er mich, worauf ich meine rechte Hand anhob, um ihn zum Schweigen zu bringen.
"Ich war noch nicht fertig", sagte ich. "Das Heilmittel in eurem Blut ist temporär. Es heilt nicht, es verzögert nur. Es macht das Leben als Crank für ein paar Tage oder sogar Wochen erträglicher, aber es kann den Brand nicht aufhalten. Wenn man erstmal eine Dosis bekommt und der Brand sich ausbreitet, braucht man immer mehr. Und wir haben nicht genug immune Personen, um alle zu heilen. Wir haben bereits versucht, das Mittel zu synthetisieren, was uns nicht gelungen ist."
Alby nickte nur. "Weshalb bin ich hier?"
"Du siehst einer großen Aufgabe entgegen. Du wirst der erste sein, derjenige, der die Labyrinth-Expeeimente eröffnet", erklärte ich.
Er sah mich nur fragend an.
"Um deine Hirnströme und Reaktionen zu testen, um dann mit den Daten ein Heilmittel zu entwickeln, müssen wir dich in eine kontrollierte Umgebung bringen. Keine äußerlichen Einflüsse, sondern nur du."
"Ich war schon in der Isolationskammer, falls Sie das meinen", sagte er. Dass er mich siezte, zeigte mir, dass er seit unserem letzten Zusammentreffen allen Respekt vor mir verloren hatte. Es war ja auch verständlich.
"Nein, das meine ich nicht", erwiderte ich. "Wir werden dich auf eine Lichtung schicken. Dort wirst du alles haben, was du zum Überleben brauchst. Vorräte, Tiere, Holz. Die Lichtung wird von einem Labyrinth umgeben, das sich jede Nacht verändert. Der Weg aus dem Labyrinth führt auch von der Lichtung. Das klingt jetzt vielleicht alles ganz nett, doch es wird auch einige Gefahren geben, die dein Überleben verhindern wollen. Du musst kämpfen. Denn nur die Schlausten schaffen es, dem Labyrinth zu entkommen."
"Was soll das bedeuten?"
"Das ist egal", winkte ich ab. "Jeden Monat wird ein neuer Junge zu dir auf die Lichtung kommen, der Plan ist, dass ihr dort eine Art Gemeinschaft aufbaut. Ihr werdet natürlich nicht wissen, weshalb ihr dort seid oder wer euch dorthin geschickt hat."
"Aber Sie sagen es mir doch gerade?"
"Alby, wir werden dir morgen deine Erinnerungen nehmen, bevor wir dich ins Labyrinth schicken", erklärte ich.
"Das können Sie nicht machen!", protestierte er.
"Es geht um die Rettung der Menschheit und durch den Vertrag, den du unterzeichnet hast, hast du uns die vollständige Handlungsfreiheit gegeben. Wir können alles tun, ohne Grenzen", erwiderte ich. Jetzt, da es aus meinem Mund kam, merkte ich, dass ich ein Teil von WICKED war. Nur jemand von WICKED würde über so eine Sache auf diese Art sprechen.
In Albys Augen bildeten sich Tränen.
"Alby, hast du noch Fragen?", hakte ich nach. "Irgendwas, das du loswerden willst?"
"Verrotten Sie in der Hölle", sagte er mit tiefer Stimme, sodass mir ein kalter Schauer den Rücken hinablief.

Verrotten Sie in der Hölle, diese Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Vorallem nicht, als ich ins Labyrinth ging. Ich fuhr mit der Box nach oben, mit der auch die Subjekte nach oben befördert werden würden.
Ich stieg aus der Box und sah mich um. Die Lichtung sah viel größer aus als auf den Bildschirmen. Ein großer Teil war mit Wald bedeckt. Ein paar Tiere grasten auf der Weide. Die letzten Gerüste wurden von den hohen, steinigen Labyrinthmauern entfernt.
"Hallo", wurde ich begrüßt. Ein Junge in meinem Alter stand vor mir, als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht. "Ich bin Thomas."
"Alaska", stellte ich mich vor.
"Die Leiterin", stellte er fest, worauf ich nickte.
"Und du bist dann wohl einer der klugen Köpfe, die das Labyrinth gebaut haben", erwiderte ich, worauf er nickte.
"Willst du es dir mal ansehen?", fragte er, worauf ich eifrig nickte.
Wir liefen über die Wiese bis zu den hohen Toren des Labyrinths.
"Wow", staunte ich. "Wie lange hat es gedauert, das zu bauen?"
"Ein paar Monate", erwiderte Thomas.
"Und es bewegt sich?", fragte ich.
"Ja, es verändert sich jede Nacht", erwiderte er.
"Das ist erstaunlich."
"Genau wie die Tatsache, dass du in deinem Alter das ganze Experiment unter deiner Führung hast. Paige muss dir ja blind vertrauen."
"Anscheinend tut sie das", antwortete ich und zuckte mit den Achseln. "Was tust du sonst, wenn du nicht am Labyrinth arbeitest?"
"Private Überwachung", erwiderte er. Ich war damals im großen Überwachungsraum gewesen, er betrieb private Überwachung. Er musste also sehr gut sein.
Ich nickte, als mein Telefon in meiner Tasche vibrierte. Auf dem Bildschirm war eine Nachricht für ein Meeting zu sehen, worauf ich seufzte. "Ich muss gehen, tut mir Leid. Das Labyrinth sieht toll aus."
Thomas bedankte sich. "Du bist ziemlich beschäftigt, oder?"
"Könnte man so sagen", entgegnete ich. "Vielleicht sieht man sich ja die Tage, Thomas."

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