WICKED // 6

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Was Newt gesagt hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Fand er mich wirklich attraktiv? Oder lag es doch nur an den Schmerzmitteln?
Ich schlug ihn mir aus dem Kopf. An sowas konnte ich wirklich nicht denken, es würde mich nur ablenken. Ich musste mich abhärten, so wie Ava Paige es getan hatte, sonst würde ich dieses Experiment nicht überleben. Es musste einen Weg geben, sie zu foltern, ohne dabei Schuld und Reue zu spüren. Und diese Schmetterlinge im Bauch, die ich bekam als ich Newt sah, musste ich wirklich austreiben. Es war nicht richtig. Natürlich waren wir fast gleich alt und er war ja auch attraktiv, aber es war nunmal verboten und es würde mir die ganze Sache nur noch komplizierter machen. Ich beschloss nochmals die Akten durchzugehen, weil wir bald das erste Subjekt ins Labyrinth schicken würden. Alby.
Ich schaute später nochmals bei Newt vorbei, um mich zu vergewissern, dass es ihm gut ging.
"Hey", begrüßte ich ihn.
"Hallo", murmelte er. Seine Haut war blass, Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
Schnell eilte ich zu ihm und legte meine Hand an seine Stirn. "Du glühst ja!"
Er stöhnte auf. "Sie haben mir die Schmerzmittel entzogen."
"Was? Wieso?", fragte ich verwirrt.
"Die Schwester meinte, ich hätte es verdient. Ich bin nicht immun und nur ein Stück Abschaum, das es nicht verdient zu leben", murmelte er und verzog das Gesicht.
Was er sagte, schockte mich. Wie konnte man nur so etwas tun?
"Zum Glück habe ich hier mal beim Sanitätsdienst gearbeitet", sagte ich und holte aus dem Schrank eine Spritze, die ich ihm per Infusion verabreichte. Ich setzte mich zu ihm aufs Bett. "Und nur damit das klar ist: für mich bist du kein Stück Abschaum."
"Danke", murmelte er mit einem schwachen Lächeln. "Warum folterst du uns eigentlich?"
"Es ist mein Job. Ich will das eigentlich nicht", murmelte ich, worauf Newt den Kopf schüttelte.
"Warum tust du es dann? Du könntest doch andere Dinge tun."
"Ich weiß", gab ich zu. "Als ich diesem Job zugestimmt habe, hätte ich nicht gedacht, dass das Foltern dazu gehört. Es steht im Protokoll. Wenn ich das nicht befolge, dann werden sie mich feuern. Die würden alles für ein Heilmittel geben. Ich dürfte gerade nicht hier sein, ehrlich gesagt. Keine persönlichen Beziehungen zu den Subjekten."
"Subjekte", wiederholte Newt und lachte auf. "Also riskierst du hier gerade alles?"
"Sozusagen", erwiderte ich.
"Du solltest vielleicht gehen. Ich will nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst."
"Ja", gab ich zurück. "Vielleicht ist das besser so. Du musst dich ausruhen."
"Das werde ich."
"Und bitte... du darfst sowas nicht nochmals versuchen, okay?"
Er nickte nur. Nicht besonders überzeugend, aber für den Moment gut genug.

Nachdem ich den Krankenflügel verlassen hatte, machte ich mich auf den Weg zu Ava Paige. Newt hatte Recht gehabt. Wieso folterte ich sie? Es musste doch irgendeine andere Möglichkeit geben, ein Heilmittel zu finden. Ich wollte ein zivilisiertes Gespräch mit Dr. Paige führen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie hatte an Respekt verloren, als ich sie wegen Newts Selbstmordversuch angeschrien hatte. Ich wollte es mir nicht mit ihr verscherzen.
Ich klopfte an ihre Türe und nahm einen tiefen Atemzug.
"Herein", tönte es durch die Tür.
Ich drückte die Türklinke nach unten und betrat den Raum.
Ava Paige saß an ihrem gläsernen Schreibtisch und blickte auf ein Dokument in ihren Händen. Manchmal fragte ich mich, was sie den ganzen Tag in ihrem Büro tat. Sie blickte auf und sah mich streng an, bevor sie mit ihrer monotonen Stimme begann zu sprechen. "Alaska."
"Hallo", begrüßte ich sie und schloss die Tür. "Könnte ich mit Ihnen reden?"
Sie nickte und deutete auf den Stuhl auf der anderen Seite ihres Schreibtisches. "Bitte."
Zögernd setzte ich mich auf den Stuhl. "Wieso foltern wir die Subjekte?"
"Du fällst ja sofort mit der Tür ins Haus", lachte Ava Paige und schüttelte kaum merklich den Kopf. "Was sollten wir sonst tun?"
"Sie können ihr Blut untersuchen", schlug ich vor.
"Das haben wir. Jahrelang. Es ergab keinen Sinn."
"Vielleicht haben Sie es nicht lange genug versucht", gab ich zurück und versuchte dabei, nicht wütend zu werden.
"Haben wir. Mit den besten Wissenschaftlern", sagte sie. "Da war ein immuner Junge, wir fanden ihn tot auf. Wir untersuchten sein Blut, entnahmen das Heilmittel. Und wir entnahmen seine Organe. Wir versuchten herauszufinden, was ihn so anders machte. Was alle Immunen, wie auch dich, anders macht. Die Antwort liegt in ihrem Hirn. Nicht körperlich. Irgendetwas im Hirn der Immunen verhindert die Ausbreitung des Virus. Wir wissen nicht, was es ist. Die einzige Möglichkeit war also, ihre Hirnströme zu beobachten. Doch hier, gefangen bei uns, bekamen wir keine Daten, die uns weiterbrachten. So entschieden wir, dass wir sie in eine geschlossene Umgebung bringen mussten. Wir bauten das Labyrinth und begannen mit Gruppe B und bald ist Gruppe A dran."
"Aber-"
"Aber was? Gäbe es deiner Meinung nach eine andere Möglichkeit?"
"Es gäbe da sicher etwas", sagte ich, obwohl mir wirklich nichts einfiel.
"Alaska, wir arbeiten mit den besten der besten. Wir haben alles versucht. Es gefällt uns auch nicht, diese Jugendlichen zu foltern. Aber was ist die Alternative?", sagte Dr. Paige. "Wir haben Milliarden von Erkrankten und diese Immunen sind die Lösung auf all unsere Fragen. Sie könnten die Menschheit retten, ihr eine zweite Chance geben. Ich weiß, es klingt hart. Aber sie müssen nunmal leiden, damit die Welt gerettet werden kann. Die Rettung liegt jetzt auch in deiner Hand. Solltest du kein Interesse daran haben, die Menschheit zu heilen, dann bitte ich dich, deine Stelle an jemanden abzutreten, der zu 100% dahintersteht."
"Ich verstehe", sagte ich. "Ich wollte es nur wissen. Es ist alles so schwer zu verstehen, ich-"
"Ihre Eltern sind am Brand gestorben. Dort draußen sind tausende von Kindern, die ihre Eltern verlieren werden. Aber wir haben die Chance sie zu retten, indem wir die Immunen testen. Gehen wir das Risiko ein?"
"Ja, das werden wir."

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