Tag 2

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Am zweiten Tag funktionierte der Kaffeeautomat nicht mehr.
»Können Sie ihn nicht reparieren, Tony? Mit einem Schwung Ihres kleinen Fingers?«, fragte Banner hoffnungsvoll, als sie sich beide über das Gerät beugten, das bisher jede Order des Morgens mit hartnäckiger Inaktivität beantwortet hatte.
»Och, ein böser Blick von Fury sollte es auch tun«, gab Stark reichlich unbeeindruckt zurück und ließ die Maschine stehen, um sich stattdessen am heißen Wasser und Instanttee direkt daneben zu bedienen. »Pfirsich-Maracujacreme, Himbeer-Hagebuttenpunsch oder Waldmeister-Vanillepudding, was ist Ihr Favorit?«
Banner wollte die aromatisierten Sorten soeben dankend ablehnen, als Steve Rogers den Besprechungsraum betrat.
»Warum sind Sie beide eigentlich immer die ersten?«, fragte dieser, ehe er den arbeitsverweigernden Automaten interesselos passierte.
»Unsere Quartiere sind am wenigsten weit weg«, antwortete Banner. »Und außerdem ...« Er war nicht sicher, ob er den nervenstarken Captain unbedingt darauf hinweisen sollte, dass er sich auf dem Helicarrier des Nachts äußerst unwohl fühlte. Ein kurzer Austausch mit Stark hatte ihn in dem Verdacht bestätigt, dass sein Türnachbar ebenfalls schlecht schlief. »... ist die Umgebung immer noch ungewohnt.«
Rogers nickte unbeteiligt. Umgebungen waren für ihn keine Entschuldigung, er war Soldat. »Haben Sie sich Loki angesehen?«, fragte er stattdessen, um das Thema zu wechseln.
»Noch nicht. Was Spannendes?« Stark nahm seinen Computer zur Hand und zapfte einmal mehr die Überwachungskamera der Arrestebene an. »Na, sieh einer an ... Wenn das nicht beruhigend ist.«
Banner ahnte es, ohne hinzusehen. »Schläft er?«
»Wie ein Kätzchen.«
»Nach mehr als achtundvierzig Stunden auch nicht überraschend, finden Sie nicht?«
»Er hat gut durchgehalten, muss man ihm lassen.«
Banner sah den verächtlichen Blick in Rogers' jugendlichem Gesicht, mühsam hinter der üblichen Starre verborgen. Der Captain saß, genau wie er und Stark, unruhig auf seinem Platz und hatte sichtlich ebenso wenig Lust wie der Physiker, dem Projekt Five Days mehr Aufmerksamkeit zu widmen als unbedingt nötig. Andererseits waren die Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Helicarrier mittlerweile begrenzt; da sie den Tesserakt lokalisiert und längst Kurs auf Manhattan genommen hatten, gab es kaum noch etwas für die Insassen zu tun, und Loki zu beobachten bot sich als geeignete Abwechslung an, der einkehrenden Routine zu entfliehen. Zumindest Stark schien bereits jetzt ein wohl kaum wissenschaftliches Vergnügen daran zu haben, durch die Linse der Kamera auf das hinabzuspähen, was in der Glaszelle geschah.
Was vornehmlich nichts war. Jedenfalls momentan. Loki war zu stolz, um sich bei dem Versuch, dem Bedürfnis nach Ruhe zu trotzen, lächerlich zu machen, also hatte er beschlossen zu schlafen. Ein ebenso unspektakuläres wie nichtssagendes Verhalten. Noch immer gab es keinerlei Anhaltspunkte, ob die hohe Konzentration psychoaktiver Substanzen in seinem Blut irgendeine Veränderung hervorrief.

Dies bestätigte ihnen auch Fury, als sie endlich – wieder knapp verspätet – alle zusammen um den gepflegten Langtisch saßen. Der Projektor summte leise, während er das klare Abbild an die Wand warf.
»Ist das alles, Agent Taps?«, fragte der Direktor mit unangenehmer Betonung. »Völlige Inaktivität?«
»Ich habe Ihnen genau das prophezeit!«, erinnerte ihn der zittrige Agent hitzig. »Und was, wenn ich fragen darf, erwarten Sie eigentlich nach einer so langen Wachphase? Immerhin sehen wir kein Protestverhalten. Er hätte sich auch auf den Boden legen können.«
»Warum sollte er etwas tun, das zu seinem eigenen Nachteil ist?«, fragte Thor leise. Der Ase wirkte deutlich verändert im Vergleich zum Tag ihrer ersten Begegnung, fand Banner. Wenig kämpferisch und noch weniger trotzig saß er über den Tisch gebeugt, das weiße Licht spielte auf den silbernen Schuppen, die seine Schultern in eine Art futuristischen Drachenpanzer hüllten.
Stark hatte eine Antwort darauf. »Einfach, weil er's kann. Er hat die Decke links liegen gelassen, oder nicht?«
Banner sah auf das dunkle Bündel in einer Ecke der Zelle, eine Zudecke aus grauem Fleece, noch immer zusammengefaltet und nicht einmal berührt. »Ich weiß nicht, ob das Protest ist.«
»Sondern?«
»Schalten Sie auf das Wärmebild um, bitte.«
Lautlos wechselte die Projektion. Viele dunkle und wenige helle Flächen nahmen nun die Wand ein.
»Sehen Sie? Er ist wärmer als gestern. Deutlich wärmer.«
Agent Taps' Augen weiteten sich. »Endlich!«, stieß er frohlockend hervor. »Ich hätte nicht gedacht, dass es doch noch rechtzeitig dazu kommen würde. Die Wirkung hat sich gar nicht verzögert! Ein Fieberschub eröffnet typischerweise die kritische Phase der Therapie. Wir müssen bereit sein! Ab jetzt dürfen wir nichts mehr dem Zufall überlassen!«
»Thor.« Nick Furys Auge richtete sich auf den Genannten. »Wir verlassen uns auf dich.«
»Du bist dir also ganz sicher?«, sprach Agent Romanoff ihn sanft an. »Du wirst es wirklich tun?«
»Natürlich tue ich es«, antwortete Thor gepresst. »Ich will meinen Bruder wiederhaben. Den, mit dem ich spielte und kämpfte, den, mit dem ich alles teilen konnte. Wenn es auf diese Weise möglich ist, dann geschehe es.«
Daraufhin schwieg selbst Stark respektvoll. Es war unübersehbar, dass Thor für die Menschheit etwas zu tun bereit war, das seinen Prinzipien ganz und gar zuwider lief.
»Wenn er aufwacht, was müssen wir dann tun?«, wandte Fury sich an Taps.
»Kontakt zwischen Subjekt und Bezugsperson herstellen«, war dessen prompte Antwort. »So frequent und eng wie möglich.«
»Riskant«, warf Stark ein. »Sie wollen Thor zu ihm reinschicken? Wer garantiert dafür, dass Loki ihn nicht angreift? Das Bisschen Fieber wird den nicht lahmlegen. Wenn es Fieber ist. Ist es das?«
»Wenn seine Temperatur die Phase der Wirkung anzeigt, sollten wir darüber Protokoll führen«, schlug Rogers vor.
»Oh, großartige Idee! Wollen Sie reingehen und ihm einen Messfühler ins Ohr stecken? Ich mach's nicht.«
»Ich tue es«, sagte Thor müde. »Ich werde jede Gelegenheit dazu brauchen, ihn zu ... prägen. Besuche ohne Anlass würden ihn nur misstrauisch machen.«
»Ist was dran«, stimmte Stark zu.
Fury lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit mit einer knappen Geste wieder auf das nicht eben fesselnde Projektionsbild. Loki lag auf seiner Pritsche wie hingegossen, seine Brust hob und senkte sich langsam. »Gentlemen, ich rate Ihnen dazu, dass Sie, solange dieser Zustand anhält, gut aufeinander Acht geben. Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, doch ...« Er unterbrach sich. Nicht umsonst hatte Stark ihn kürzlich als den ›Meister der dramatischen Pausen‹ bezeichnet. »... die Instrumente auf diesem Boot scheinen sich allmählich in gleichem Maße unwohl zu fühlen wie wir.«

Five Days-ThorxLokiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt