Prolog 1

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Es war Sommer in Japan. Die Sonne knallte mit 32 Grad auf das kleine Dorf Nishiawakura, das sich in der Okayama Präfektur befand. Es war ein schönes Dorf. Abgelegen, grün und unscheinbar. Hier konnte man in Ruhe leben.
Naja... soweit der Krieg es einem erlaubte. Zur Zeit befand Japan sich nämlich im Krieg mit der sogenannten New United States, kurz NUS. Diese entstanden im Jahre 2028, nachdem der damalige Präsident gestürzt wurde und ein neuer an die Macht kam. Diesem gefiel Japans Militärkraft nicht und rüstete auf. Seitdem befanden sich Japan und die NUS in einer Art Wettrüsten. Dies ging so lange, bis die NUS schließlich den Krieg erklärte.
In Nishiawakura merkte man auch im Jahre 2031 nicht viel davon. Zumindest, was mich anging. Nun, einen 7-jährigen Jungen interessierten andere Dinge, wie Fußball oder das Sammeln von Insekten. Ich liebte es, die Mädchen aus dem Dorf damit zu verschrecken. Es machte mir Spaß. Ihr angeekeltes Geschrei war wie Musik in meinen Ohren. Auch dass sie mich anschließend beleidigten machte mir nichts aus. Diese blöden Ziegen hatten es nicht anders verdient. Und die Jungs? Die waren nicht besser. Keiner von ihnen wollte diesen Spaß mit mir teilen. Sie fanden es gemein den Mädchen gegenüber. Sollten die doch machen was die wollten. Ohne Freunde war ich besser dran. Zum Schluss hätten sie einen ohnehin hintergangen.
Das dachte ich mir auch, während ich vor dem Fernseher im Haus meines Onkels saß.
Meine Eltern waren längst tot. Flugzeugabsturz vor drei Jahren.
Also wurde ich zu meinem einzigen Verwandten geschickt, den ich noch hatte. Dafür musste ich von Nagoya nach Nishiawakura ziehen. Mein Onkel lebte allein in einem kleinen Haus am Rande des Dorfes. Tagsüber arbeitete er im Lager bei der örtlichen Post. Nebenbei bot er noch Reperaturdienste an, die von den Bewohnern im Dorf gern in Anspruch genommen wurden. In der Zeit ging ich zur Grundschule oder streifte durch das Dorf, wie es für ein Kind in meinem Alter üblich war.

Ich lag auf dem Boden vor dem Fernseher und durchforstete die Kanäle in der Hoffnung, ich finde etwas Interessantes. Mein Onkel saß hinter mir auf dem Sofa und las ein Kochmagazin. Obwohl er nicht danach aussah, interessierte ihn das Kochen sehr.
Und er konnte es.
"Möchtest du nicht raus gehen und spielen? ", ertönte seine Stimme hinter dem Magazin.
Ich hörte auf, durch die Fernsehkanäle zu schalten, wobei das aktuelle Programm die Nachrichten zeigte. Die Frau im Fernseher redete von von irgendeiner Preisverleihung, die mich herzlich wenig interessierte.
Auf die Frage meines Onkels rollte ich mich erstmal rum, sodass ich nun mit dem Rücken auf dem Boden lag. Dabei legte ich meine Hände unter meinem Kopf und starrte Die Decke an.
"Es ist zu warm."
Ein rascheln lenkte meine Aufmerksamkeit von der Decke zur Quelle des Geräusches. Mein Blick wanderte zu meinem Onkel, der sein Magazin beiseite legte. Nun konnte man sein schmales Gesicht erkennen, welches von kurzen Bartstoppeln betont wurde.
Seine müden, grauen Augen passten zum grauen Ansatz in seinem braunen Haar. Dieses war ziemlich durcheinander, obwohl ich jeden Morgen beobachtete, wie er es kämmte.
Nachdem er mir kurz zulächelte, stand er auf und ging in Richtung Küche. "Komm her, Kei!"
Ich folgte seinem Ruf und ging in die Küche, wo mein Onkel in seinem Rucksack kramte. Aus diesem holte er seine Brieftasche und öffnete diese. Als er das Geld darin sah, lächelte er verlegen.
"Tut mir leid, mein Junge. Mehr kann ich dir nicht geben, aber es reicht für ein Eis", sagte er dann schließlich und drückte mir 300 Yen in die Hand.
Ich sah ihn skeptisch an. "Sicher, dass du mir dein letztes Geld geben willst?", fragte ich ihn vorwurfsvoll. Er war einfach zu gutherzig. Ich bevorzugte es jedoch, ihn idiotisch zu nennen, denn nur ein Idiot gab sein letztes Geld, damit sein Neffe sich ein Eis kaufen konnte.
"Wenn du nichts hast, solltest du nichts abgeben. Denke, deine Klamotten haben's nötiger."
Mein Onkel fuhr mir durch das Haar und zerzauste es.
"Das Leben ist wie ein Freund. Ihr werdet nicht immer einer Meinung sein. Aber es wird dir auch mal die Hand reichen und dir Helfen, den richtigen Weg zu finden. Dir alles zu geben, was ich habe, wird sich auszeichnen indem du ein anständiger Mann wirst. Dann hat mir mein Leben genug getan. Also mach dir keine Gedanken darum. Geh raus und hab' Spaß! "
Mit diesen Worten schob er mich buchstäblich aus dem Haus.

Ich streifte schließlich durch die Straßen auf dem Weg zum Supermarkt. Ich stoppte vor dem Laden, wo ein Mädchen vor dem Eingang stand. Sie war kleiner als ich. Ihre pfirsischfarbene Wellen reichten bis zu ihren Schultern. Das knielange, rosa Kleid offenbarte eine blasse Hautfarbe. Mir war ihr Rücken zugewandt, sodass ich ihr Gesicht nicht erkennen konnte.
Aber es interessierte mich auch nicht. Ich ging stur auf den Eingang des Supermarktes zu, wobei ich das Mädchen beim Eintreten zur Seite stieß.
"Steh' hier nicht so rum, dumme Kuh", murmelte ich.
Während sich die Türen des Geschäfts hier mir schlossen, könnte ich noch hören, wie sich das Mädchen entschuldigte.
Entschuldigen konnte sich jeder, aber wer meinte es schon wirklich ernst?
Ich ging geradewegs zum Kühlregal, wo das Eis gelagert wurde. Von dort entfernte sich gerade eine kleine Gruppe von drei Kindern. Ich kannte sie. Sie gingen in die selbe Schule wie ich. Sie trugen sämtliche Eissorten bei sich, während sie kichernd davongingen. Als ich ins Regal schaute musste ich feststellen, dass das Fruchteis, das ich so mochte, nicht mehr vorhanden war.
"Diese Idioten..."
Ich entschied mich dann doch noch für ein Vanilleeis.
Ich bezahlte es umgehend und verließ den Supermarkt. Dabei lief ich der Gruppe von Kindern in die Arme. Das Mädchen von vorhin Sand in der Mitte. Nun konnte ich ihr Gesicht erkennen. Sie hatte hellblaue Augen. Jedoch waren diese gefüllt mit Tränen. Und der Grund dafür waren wohl ihre aufgeschürften Knie.
Ich ignorierte das Geschehen und ging an der Gruppe vorbei.
Als ich aber an den anderen vorbei ging, riefen sie mir zu.
"Willst du dich nicht entschuldigen? Du hast Chiaki wehgetan!"
Ich erkannte dieses Mädchen, das mir nachrief. Sie gin in meine Klasse. Ihr Name ist mir jedoch entfallen, immerhin merkte ich mir keine Namen von Leuten, mit denen ich nichts zu tun hatte.
Ich drehte mich kurz zu ihr um und traf direkt ihren bevormundenden Gesichtsausdruck.
"Wieso? Sie stand im Weg. Ist sie also selbst schuld. Und guck' nicht so, als wärst du meine Mutter. Du bist ja kaum älter als ich."
Ich drehte mich wieder um und ging davon. Während mir Beleidigungen zugerufen wurden, öffnete ich die Packung meines Eises, war diese auf dem Boden und genoss mein Eis. Anstatt direkt nach Hause zu gehen, machte ich ein paar Umwege, sodass mein Onkel sich nicht beschweren konnte.
So landete ich auf dem Spielplatz in der Nähe meines Hauses. Ich beanspruchte die Schaukel für mich und versuchte so hoch zu schaukeln, wie es mir möglich war. Die Sicht, die ich erhielt,  ragte über das halbe Dorf hinaus. Ich spürte,  wie der Wind in mein Gesicht blies und mein Haar nach hinten wehte. Ich schloss meine Augen und ließ dieses Gefühl von Ruhe über mich ergehen. Ich fühlte mich gut, wenn ich allein war. Stark. Unbesiegbar. Niemand konnte mir schaden. Nicht wenn ich alleine war...

"Keiji."

Da war sie wieder. Immer wenn ich meine Augen schloss, hörte ich die die Stimme einer Frau.  Es war meine Mutter.  Als sie starb, war ich erst vier.  Deshalb konnte ich mich nicht gut an sie erinnern. Aber eine Erinnerung blieb mir. Ich sah dieses Bild jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss.
Meine Mutter und ich saßen unter einem Kirschblütenbaum. Ich saß bei ihr auf dem Schoß und griff nach den fallenden Blüten. Meine Mutter sah mir dabei zu. Ihr langes braunes Haar wehte im Wind und sie lächelte.
Das war alles.  Ich könnte mich nicht an mehr erinnern. Lediglich dieser Moment und ihre Stimme, die meinen Namen rief, blieben mir. Von meinem Vater blieb mir nichts.
Ich öffnete meine Augen und bemerkte,  dass sich Tränen ihren Weg über meine Wangen bahnten. Ich bremste sofort die Schaukel, um sie mir mit dem Ärmel wegzuwischen.
"Hör' auf zu heulen, du Memme", beschwerte ich mich und ließ ein paar Schluchzer entweichen. Nach einer Weile beruhigte ich mich wieder. Ich sah noch einmal zum hellblauen Himmel auf, wobei ich in der Ferne einige Flugzeuge erkannte...

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