Blüte 3

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Für einen Moment bleibt mein Herz stehen. Hat sie gerade NUS gesagt? Das kann ich nicht glauben. Was will die hier? Mein Herz schlägt wie verrückt. Wut entfacht sich erneut in mir. Wenn so eine Tussi aus den Staaten denkt, sie könnte einfach nach Japan ziehen und wird mit Freuden aufgenommen, hat sie sich deftig geschnitten. Aber anscheinend bin ich derjenige, der sich geschnitten hat. Die anderen scheinen das Mädchen mit Begeisterung aufzunehmen. Der Lehrer musste den Tumult erst einmal zur Ruhe beschwichtigen, bis er der Neuen ihren Platz zuweist.
"Setz' dich auf den freien Platz hinter Akihito. Da am Fenster."
Na super. Jetzt darf ich mich auch noch mit ihr in meinem Rücken vergnügen. Wie der Lehrer ihr angewiesen hat, setzt sie sich auf dem Platz hinter mir. Dann beginnt Tanaka-sensei mit dem Unterricht.
Meine Konzentration ist aber im Eimer. Der Fakt, dass eine von denen hier ist reicht mir schon. Aber dass sie zusätzlich noch so nah bei mir sitzen muss gibt mir echt den Rest. Zumal kann sie nicht mal ihre Klappe halten. Ständig höre ich von hinten ein "Pssst" und ich hoffe bei Gott, dass sie nicht mich meint. Aber das ist leider nicht der Fall. Ein Anstupser von hinten verrät mir, dass ich tatsächlich gemeint bin. Ich seufze tief und drehe meinen  Kopf leicht zu ihr.
"Was?"
"Wie ist dein Name?"
Ich drehe mich wieder weg. Sie soll bloß nicht meinen, dass ich mit ihr reden würde.
"Hey. Was ist?"
"Lass mich!"
Ups. Das war etwas zu laut. Alle drehen sich zu mir um und sehen mich an.
"Akihito? Ist alles in Ordnung?", fragt Tanaka-sensei, der gerade seine Tafelanschrift unterbricht.
"Ich... ähm... also... Tut mir leid, Sensei. Aber ich brauche etwas frische Luft."
Ohne auf eine Erlaubnis zu warten, stehe ich auf und verlasse den Raum. Nachdem ich die Tür hinter mir schließe, schließe ich meine Augen und atmet tief ein. Dann gehe ich mit schnellen Schritten raus zu den Turnhallen, wobei ich mich hinter einer der Hallen nieder lasse. Ich ziehe meine Beine an meinen Körper und lege meinen Kopf auf den Knien.
"Was mache ich hier eigentlich?"
"Das gleiche wollte ich dich grad auch fragen."
Ich schrecke auf und blicke nach oben. Rechts von mir steht Yoshida mit einem besorgten Blick. Er setzt sich zu mir und schaut in den Himmel. Ich Blicke in die gleiche Richtung und beobachte ein paar Vögel, die im Himmel kreisen.
"Tanaka-sensei hat mich geschickt. Akihito, du bist echt ein seltsamer Kerl, weißt du das?"
Ich schaue vom Himmel zurück zu Yoshida.
"Ist das was neues?"
Yoshida lacht. Ich, auf der anderen Seite, kann nicht verstehen, was daran lustig gewesen sein soll.
"Und mich nennst du seltsam?"
"Tut mir leid", sagt Yoshida und wichtige sich Tränen aus seinen Augen. "Es ist nur so, das niemand weiß, was in dir vorgeht. Du redest nie und zeigst keinerlei Emotionen in deinem Gesicht. Aber heute hat's dich tatsächlich zweimal erwischt. Liegt's an der Neuen?"
Yoshidas Unterton klingt eher spielerisch. Natürlich, denn er kann es ja nicht wissen, also gebe ich keine Antwort.
"Hör' mal, Akihito. Ich sage das alles ja nicht, um dich zu ärgern. Ich will dich einfach nur verstehen. Nach dem wir gestern aufeinander getroffen sind, sagte Ban mir, dass irgendetwas an dir eigenartig sei. Er meinte es natürlich nicht im Sinne, dass du nicht mehr ganz richtig im Kopf bist oder so! Er meinte eher, dass du jemand bist, mit dem man befreundet sein will. Deswegen kam er auf die Idee, dass wir dich unter unsere Fittiche nehmen sollten."
"Das war also seine Idee."
Yoshida nickt. Eine Weile sitzen wir noch stillschweigend nebeneinander und nehmen dabei die warme Sonne und die kühle Luft des Frühlings auf.
Dabei denke ich über das nach, was Yoshida gesagt hat. Sie wollen mir also eine Möglichkeit geben, mit ihnen Freundschaft zu schließen. Dieses Angebot anzunehmen würde heißen, ihnen auch von mir zu erzählen, oder? Nicht nur von banalen Dingen, wie Lieblingsessen oder Hobbys. Ich müsste auch meine Vergangenheit früher oder später preisgeben. Aber das kann noch warten. Wenn ich jetzt mit Yoshida rede, wird Chiaki sich freuen. Ich kann ihr Lächeln schon vor mir sehen. Dieser Gedanke bringt auch mir ein Lächeln auf den Lippen.
"Denkst du an deine Freundin?"
"Was? Nein! Sie ist nicht meine Freundin!"
"Du hast echt an ein Mädchen gedacht?!"
Ich spüre eine Welle der Wärme in meinem Gesicht. Bestimmt bin ich jetzt wieder knallrot. Ich drehe mein Gesicht zur Seite und vermeide Yoshidas Blick. Einen Moment herrscht stille, aber ich bin dieses Mal derjenige, der sie durchbricht.
"Ich komme mit der NUS nicht klar. Das ist alles, was ich jetzt sagen kann."
"Ach und nichts zu deiner Freundin?"
"Sie ist nicht-"
Ich werde durch Yoshidas lautes Lachen unterbrochen. Wenigstens hat einer seinen Spaß. Nachdem er sich wieder beruhigt hat, steht er auf und reicht mir eine Hand.
"Lass uns zurück gehen, sonst denkt Tana noch, dass wir schwänzen."
Ich ergreife seine Hand und stehe auf.
"Danke, Yoshida", lächle ich.
"Ach was. Nenn' mich Mika!"
Ich nicke und wir gehen gemeinsam zurück ins Klassenzimmer. Den Rest des Unterrichts ignoriere ich sämtliche Blicke und versuche meine Konzentration auf den Unterricht zu lenken. Nach vier Stunden Unterricht läutet endlich die Glocke zur Pause. Unsere Englischlehrerin weist noch einmal ausdrücklich darauf hin, die Vokabeln zu lernen, bevor sie den Raum verlässt und uns für die  Mittagspause frei gibt. Ich stopfe meine Sachen in die Schultasche bevor ich meine Arme auf meinem Tisch legen und meinen Kopf darauf. Nach all der Anstrengung will ich einfach nur schlafen, aber daraus wird nichts. Hinter mir tummelt sich eine Menschenmenge, die das neue Mädchen mit Fragen durchlöchert und vor mir tauchen Mika und Juba mit ihren Bentoboxen auf.
"Yo, Akihito. Lass' uns essen gehen!"
Ich seufze. Da geht man einen Schritt auf eine Freundschaft zu und man wird sofort kilometerweit durch die Welt gezogen.
Ich nehme meine Bentobox aus der Tasche, stehe auf und gehe Mika und Juba hinterher. Wir verlassen das Klassenzimmer und steigen die Treppen im Flur auf. "Wo genau gehen wir hin?"
"Auf's Dach natürlich", antwortet Juba.
"Auf's Dach. Natürlich", gebe ich murmelnd wieder. Mika lächelt nur. Das scheint wohl einfach seine Persönlichkeit zu sein.
"Moment mal, Juba."
"Ban", wendet Mika ein.
"Ban... Kommen wir überhaupt auf's Dach? Ich dachte, da oben ist abgeschlossen?"
Ban greift in seine Hosentasche und holt einen kleinen silbernen Schlüssel raus. Dann dreht er sich zu mir, lächelt und hält mir den Schlüssel vor.
"Tana hat mir den gegeben. Vorausgesetzt es erfährt natürlich niemand."
"Tanaka-sensei hat ihn dir gegeben", murmel ich wieder und schüttel meinen Kopf. Es erstaunt mich, dass unser Lehrer so etwas tatsächlich tun würde. Oben angekommen, schließt Juba die Tür zum Dach auf. Der dunkle Flur wird nun mit Sonnenstrahlen erhellt. Da es für mich zuerst ungewohnt ist, halte ich mir eine Hand vor die Augen. Juba tritt zuerst auf das Dach. Da ich mich nicht bewege, stößt Mika mich durch die Tür.
"Na los!", lacht er.
Ich stolper beinahe, aber ich kann mich noch halten. Nachdem das geschafft ist, sehe ich mich um. Auf der linken Seite kann man direkt auf die Stadt blicken. Die rechte Seite zeigt den Stadtpark. Als ich meinen Blick nach oben richte kommt der Himmel mir viel näher vor. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Mir ist für einen Moment nicht bewusst, dass ich mich in der Schule befinde.
"Hey, Akihito. Willst du weiter den Himmel begaffen oder mit uns essen? Die Pause dauert nicht ewig."
Mika hat recht. Ich setze mich zu den beiden Jungs und beginne zu essen.
Während wir essen, unterhalten wir uns über so einige Themen, wie Serien, Spiele und Essen. Ich habe noch nie so viel mit anderen Leuten geredet und ich hätte auch nie gedacht, dass ich so viele Gemeinsamkeiten mit jemandem teilen würde.
"Übrigens, Leute. Diesen Samstag ist der Tag der offenen Tür in der Firma. Kommt doch vorbei, dann erteile ich dir eine exklusive Rundführung", erwähnt Mika dann und zwinkert mir zu.
"Firma?", hake ich nach und stopfe mir eins meiner Onigiri in den Mund.
"Du musst wissen", antwortet Ban, "Mika ist der Sohn von Tenri Yoshida."
"Fer Fünder von Foshida Forforafion?!"
"Ja. Genau den", antwortet Mika.

Tenri Yoshida. Ein Mann, der sich im Krieg einen Namen machte. Als der Krieg begann, war Yoshida Corporation lediglich eine kleine Firma, die Fahrzeugteile herstellte. Doch die Regierung stellte kleine Firmen wie diese ein, damit diese Teile für Militärwagen herstellten. Die Regierung zahlte gut und ermöglichte Yoshida Corporation einen Aufstieg zu eine der größten Firmen Japans. Da Yoshida kein seltener Name in Japan ist, bin ich nicht drauf gekommen, dass Mika tatsächlich mit dieser Firma in Verbindung steht.

"Heißt das, du übernimmst die Firma nach der Schule?"
Mika schüttelt den Kopf. "Die Firma ist zwar cool, aber ne. Kein Bock. Ich will lieber Fußball spielen", antwortet Mika und lehnt sich an die Wand.
Das passt irgendwie zu ihm. Mika erscheint wie ein energischer Junge, dem Bewegung eher liegt als ein Bürojob.
"Wie auch immer. Lass uns langsam zurück gehen."
Mika springt auf und auch Ban beendet sein Essen. Ich schließe meine Bentobox und stehe auch auf. Mit Ban und Mika mache ich mich auf dem Weg zu den Treppen. Nachdem Ban dann abgeschlossen hat, gehen wir die Treppen runter zum Flur unserer Jahrgangsstufe, der prall gefüllt mit Schülern ist. Wir strebten den direkten Weg zur Klasse an, aber ein gewisses Mädchen stellt sich uns in den Weg.
"Wo seid ihr gewesen?", fragt Edsword mit einem Lächeln. Irgendwie fühle ich mich durch dieses Lächeln provoziert. Ich könnte ihr eine reinhauen, aber ich habe meine Prinzipien an die ich mich halte.
"Ähm...", entgegnet ihr Mika und sieht mich fragend an.
"Bis grade hatten wir noch Spaß", bemerke ich und gehe an sie vorbei zum Klassenzimmer, ohne dabei auf Mika und Ban zu warten.
"Akihito!" Ich reagiere nicht auf Bans rufe und gehe einfach weiter. Von mir aus können sich Mika und Ban mit dieser Tussi rumschlagen, aber ich lehne ihre Anwesenheit ab.

Das läuten der Schulglocke gibt verständlich, dass die Pause vorüber ist. Im Klassenzimmer angekommen, setze ich mich an meinem Platz und hole meine Sache für Mathe aus der Tasche. Die Klasse füllt sich wieder und auch Tanaka-sensei stößt dazu.
"Die Pause ist vorüber, also setzt euch auf eure Plätze und werdet ruhig."
Damit beginnt der Unterricht.
"Für den heutigen Plan braucht ihr eure Bücher", sagt Tanaka-sensei, während er die Buchseite auf die Tafel schreibt.
"Sensei! Ich hab' aber noch kein Mathebuch!"
"Oh."
Tanaka-sensei dreht sich in meine Richtung, wobei er vermutlich das Mädchen hinter ansieht. Er rückt sich seine Brille zurecht und  hustet in seine Faust, bevor er zu sprechen beginnt.
"Schieb' dein Tisch vor und schau mit Akihito in ein Buch."
"Was?!"
Eigentlich sollte das nicht laut raus, aber meine Emotionen waren wohl schneller als mein Kopf.
"Was ist heute nur los mit dir? Du scheinst heute nicht ganz du selbst zu sein", fragt Tanaka-sensei und seufzt.
"Nein. Es ist alles gut..."
Ich lasse zu, dass sich die Transferschülerin zu mir setzt und schiebe mein Buch in die Mitte. Trotzdem vermeide ich es, sie anzusehen. Ich will nicht noch mehr Aufsehen erregen, aber das heißt noch lange nicht, dass ich eine gefälschte positive Miene für sie aufsetze.
"Hey, Akihito. Kannst du mich nicht leiden?"
"Kannst du jemals aufhören zu reden?"
"Wie gemein."
Zumindest lässt sie mich bis zum Ende des Unterrichts in Ruhe.

Zuhause angekommen, ziehe ich meine Schuhe aus und lasse diese mit meiner Tasche an der Tür stehen. Dann gehe ich schnurstracks ins Wohnzimmer, wo Chiaki bereits auf mich wartet.
"Kei? Ist alles in Ordnung?  Du siehst fertig aus."
Ich lasse mich auf die Couch fallen,wobei ich mein Gesicht in das Kissen vergraben.
"Ich glaube, ich habe Freundschaften geschlossen."
Chiaki springt vor Freude um die Couch. "Das ist großartig, aber wieso bist du so fertig?", fragt sie schließlich.
"Menschen."

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