Prolog 2

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Ich blieb auf der Schaukel sitzen und beobachtete,  wie diese Flugzeuge näher kamen. Es waren drei Flugzeuge in Dreieck-Formation. Sie waren groß und sahen aus wie Kampfflugzeuge. Aber die japanischen Flugzeuge sahen anders aus. So viel wusste ich. Als sich die Flugzeuge über dem Dorf befanden, öffnete sich die Ladeluke des vorderen Flugzeugs und etwas fiel hinab. Ich beobachte diesen schwarzen Punkt sinken, bis er hinter einer Häuserreihe verschwand.
Das nächste an das ich mich erinnerte war ein lauter Knall und ein Flammeninferno aufsteigend.
Und dieses Inferno befand sich an einem mir zu vertrauten Ort.

"ONKEL!" Mein Körper bewegte sich von allein. Ich lief dem Gebiet entgegen, das gerade bombardiert wurde. Mittlerweile ließen auch die anderen beiden Flugzeuge den Terror seinen freien Lauf. Während ich nach Hause lief, hörte ich immer wieder Explosionen. Immer mehr Flammen stiegen auf. Immer mehr Menschen liefen auf den Straßen umher und schrien...
Das Laufen fiel mir immer schwerer. Nicht nur, dass ich aufpassen musste wo ich hin lief, nein. Ich hatte Angst. Ich wollte so schnell wie möglich zu meinem Onkel. Ich wollte, dass er mir sagt, alles würde gut werden. 

Nur noch diese Straße-
!!!

Das Haus, bei dem ich abbiegen musste, brach zusammen. Einzelne Trümmer fielen direkt in meine Richtung. Aus Reflex machte ich mich so klein wie möglich, doch ich blieb nicht verschont. Ein Stück der Hauswand erwischte mich. Es traf meinen Kopf nicht, da ich diesen in meinen Schoß gesenkt hatte, aber nun lag ich darunter begraben. Ich spürte einen drückenden Schmerz in meinem Rücken und ich konnte mich kaum bewegen. Mir blieb für einen Moment der Atem weg und ich schloss meine Augen für einen Moment, um mich auf's Luftholen konzentrieren konnte. 
"Onkel..."
Der Gedanke an alles, was mir von meiner Familie blieb trieb mich dazu an, gegen das Gewicht des Trümmerteils anzukämpfen. Jedoch ohne Erfolg. Ich versuchte vorzukriechen, aber auch dies gelang mir nicht. Es verschaffte mir lediglich mehr Schmerzen, die mittlerweile so stark wurden, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Aber es war nicht nur der Schmerz. Auch der Gedanke daran, dass ich hier möglicherweise sterben würde machte mir so Angst, dass ich meine Tränen nicht zurückhalten konnte. Hier lag ich nun, eingeklemmt unter Haustrümmern. Alles was ich jetzt noch tun konnte war zu hören, wie nun immer mehr Flugzeuge herum flogen. Es gab mehr Explosionen, aber die Schreie wurden weniger. Ich dachte schon, das wär's jetzt. Aber anscheinend hatte ich mich da getäuscht. Meine Sicht war zwar durch die Tränen verschwommen, aber vor mir tauchte eine kleine, zarte Figur auf. Ich konnte lediglich die rosa Farbe des Kleides und die blasse Haut der Trägerin erkennen...

"Gib mir eine Hand, ich zieh dich da raus."

Das Mädchen, das ich weniger als eine Stunde zuvor so schlecht behandelte, streckte mir ihre Hand entgegen. Ausgerechnet sie...
Aber um hier rauszukommen blieb mir nichts anderes übrig.

Ich ergriff ihre Hand.

Das Mädchen umschloss meine Hand mit ihren beiden Händen. "Bist du bereit?" Ich nickte. Dann zog sie an meinem Arm so fest sie konnte. Ein unbeschreiblicher Schmerz fuhr mir durch den ganzen Körper. Ich unterdrückte einen Schrei und ließ stattdessen ein Wimmern über meine Lippen fahren. Die Aktion dieses Mädchens zeigte jedoch Wirkung. Langsam und schmerzhaft, aber mit Fortschritt rutschte ich unter dem Trümmerteil hervor. Zur Unterstützung stützte ich mich mit meinen Füßen vom Boden ab, um mehr Kraft zuzugeben, aber mein rechter Fuß spielte nicht ganz mit. Bei jeder Bewegung verspürte ich einen stechenden Schmerz.

"Nicht aufgeben, du bist fast raus!"

Ich verstand zu dem Zeitpunkt noch nicht, warum dieses Mädchen mir half. Ich verstand auch nicht, dass sie mir Mut zusprach. Ich hoffte nur eines: hier rauszukommen, zu meinem Onkel zurückzukehren, zu überleben, zu leben.
Eine letzte Welle des Schmerzes signalisierte mir, dass ich nun frei war. Mein Arm, an dem das Mädchen gezogen hatte fiel schlapp zu Boden. Ich war fertig und das Mädchen sackte ebenfalls zu Boden. Schwer atmend stand sie auf und reichte mir erneut ihre Hand.
"Wieso hilfst du mir?"
Sie antwortete nicht. Stattdessen griff sie mir unter dem Arm und half mir hoch. Von dem unbekanntem Mädchen gestützt, gingen wir ein Stück in die Richtung, in die ich vorhatte zu gehen, doch dann bog sie links ab.

"Wo willst du hin? Ich muss nach rechts!"
"Das geht nicht!"
"Aber ich muss!"
"Sieh doch hin!"

Ich sah nicht hin. Ich wusste es nämlich schon. Die komplette Straße auf der rechten Seite lag in Trümmern und alles stand in Flammen. Es gab keine Möglichkeit, dass jemand aus dieser Straßenseite das alles überlebt haben sollte.
"Aber mein Onkel..."
Ich wollte es nicht akzeptieren. Ich wollte zurück. Das musste ein Traum gewesen sein. Genau. Es war alles nur ein Traum. Ich löste mich von meiner Stütze, schloss meine Augen und drehte mich um. Mein Haus sollte von hier aus in Sichtweite sein. Da alles nur ein Traum war, konnte ich das immer lauter werdende Geräusch von Flugzeugmotoren ignorieren, genauso wie die drängende Stimme einer Traumfigur, die mich dazu auffordern wollte mit ihr zu verschwinden. Bei drei würde ich meine Augen öffnen und ich würde im Bett liegen. Mein Onkel würde mit dem Frühstück auf mich warten und mir sein übliches Lächeln schenken, mit dem er mich immer klein kriegen konnte. Ich würde in Stille mein Frühstück essen, weil es verdammt gut schmecken würde und das hätte ich niemals zugegeben. Ich konnte meinem Onkel keine Erfolgserlebnisse schenken. Jedes Mal, wenn er mich fragte, sagte ich ihm, dass man es essen konnte. Er würde lediglich lachen und mir durch die Haare fahren. Genau das würde mich jetzt erwarten.

"Eins. Zwei. Drei.

Ich öffnete meine Augen und sah direkt auf mein zertrümmertes und brennendes Haus.
"Das ist nicht wahr..." Eine Träne nach der anderen lief mir die Wange runter. Es war also kein Traum. Vor mir verbrannte gerades alles, was ich hatte, alles was ich nie geschätzt habe.
"Nein."
Ich begann mich in diese Richtung zu bewegen. Das Mädchen griff nach meinem Arm und versuchte mich daran zu hindern, aber ich riss ihn von ihr. Trotz allen Schmerzes bewegte ich mich immer schneller, bis ich irgendwann einfach lief. Über mir flogen Flugzeuge hinweg und das Mädchen hinter mir schrie. Aber das war mir egal. Ich musste los. Ich musste zu meiner Familie... Vor meinem Haus, blieb ich einen kurzen Moment stehen. Ich zögerte, denn die Flammen versperrten mir jeglichen Zugang zu den Trümmern meines Hauses. Ich spürte ihre Hitze, ich sah was sie anrichteten. Alles in mir zog sich zusammen. Mein Onkel war noch da drin und ich musste ihn da raus holen. "Hey, du! Hilf mir!" Sie kam tatsächlich angerannt. Ihr Blick verriet mir jedoch, dass sie mir nicht helfen würde. Doch es war nicht verurteilend. Sie hatte Mitleid. "Hör mal..." Ihre Stimme war brüchig. Wahrscheinlich brach sie selbst bald in Tränen aus. Aber es war mir egal. Es interessierte mich nicht. Ich wollte doch nur meinen Onkel. "HALT DIE KLAPPE UND HILF MIR!" Ich humpelte auf den Haupteingang zu, oder das was davon übrig blieb, aber das Mädchen packte mir erneut am Arm und diesmal ließ sie sich nicht abwimmeln.
"Was soll das?! Lass mich los!"
Ich versuchte sie von mir wegzudrücken, aber je stärker ich Druck ausübte, um so stärker klammerte sie sch an mir.
"Du kannst nicht gehen! Du kannst nicht gehen! Du kannst nicht gehen!"
Sie wiederholte die Worte immer wieder. Solange, bis sie mir die Realität vor Augen führte.

"Siehst du es denn nicht? Er ist tot! Genau so wie meine Eltern und mein Bruder und meine Großmutter! Sie sind tot! Sie sind alle tot!"

Das Mädchen weinte unkontrollierbar, nachdem sie diese Worte aussprach. Und in diesem Moment wurde es mir klar. Ich war nicht der einzige, der alles verloren hat. Dieses Mädchen... Obwohl ihre Familie tot war, brachte sie noch genug Kraft auf, um mich zu retten. Sie benutzte ihr letztes bisschen Mut, um mir zur Flucht zu verhelfen. Mir, der sie so ungerecht behandelt hat. An ihrer Stelle wäre ich längst abgehauen. Ich hätte mich einfach sterben lassen. Aber das war der springende Punkt: Ich war nicht so wie sie. Aber nun stand sie hier mit mir, zitternd am ganzen Körper. Ihre Schluchzer vermischten sich mit dem Geräusch der Flugzeuge. Sie war mutig. Sie war sehr mutig und nun war der Moment gekommen, an dem ich mutig sein musste. Die Tränen sind gefallen, der Schmerz wurde gespürt. Ich nahm ihre Hand und bewegte mich langsam vom brennendem Gebäude weg. Dabei zog ich sie sanft mit mir. Wir mussten hier raus. Ich konnte mich nicht mehr genau erinnern an das, was danach geschah. Ich wusste nur noch, dass wir in die nahgelegenen Berge liefen, dort wo das Waldgebiet war. Als wir stehenblieben, brach das Mädchen zusammen.

Das Ganze ist jetzt zehn Jahre her.

Der KirschblütentraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt