Traum 1

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Genau wie Gin-san es sagte, habe ich verschlafen. Ich liege noch im Bett und starre seit gefühlten fünf Minuten auf mein Handy Display, das mir mittlerweile 08:15 Uhr anzeigt. Um 08:36 Uhr käme der Zug, weswegen ich mich um 08:30 Uhr mit Ban am Bahnhof verabredet habe.
"Verdammt!"
Ich stürme aus dem Bett und ziehe mich in Rekordzeit um. Zum Duschen ist ja nun wirklich keine Zeit mehr. Dafür unterziehe ich mich einer Katzenwäsche. "Warum hast du mich nicht geweckt?", rufe ich Chiaki zu, als ich vom Bad in die Küche stürme. Als ich keine Antwort erhalte fällt mir auf, dass es ungewöhnlich ruhig ist. Also nahm ich mir einen Moment, um im Wohnzimmer nach Chiaki zu sehen, aber sie ist nicht da. Besorgt gehe ich zu ihr Zimmer, aber ich bleibe vor der Tür stehen. Ich klopfe zweimal und frage nach ihr, aber ich bekomme keine Antwort. Am liebsten hätte ich nach ihr gesehen, aber es wäre unhöflich einfach Chiakis Zimmer zu betreten, wenn sie möglicherweise noch schläft. Also widme ich mich wieder meinem Zeitproblem und packe meine Bentobox in die Tasche, bevor ich mir diese anziehe und im Flur schließlich in meine Schuhe schlüpfe. Chiaki sollte Bescheid wissen, wo ich bin. Deswegen brauche ich keine Notiz zu hinterlassen.
Ich stürme aus der Wohnung und überprüfe nochmal die Uhrzeit.

08:30 Uhr.

Ob sprinten was bringt? Ich weiß es nicht. Aber ich muss es versuchen. Wie von der Tarantel gestochen, sprinte ich los. Währenddessen schreibe ich Juba eine Nachricht, um ihn über meine Situation aufzuklären. Seine Antwort ist lediglich ein Emoji, das einen Daumen nach oben zeigt. Ich weiß nicht ob er damit ausdrücken will, dass er das zu Kenntnis genommen hat, oder ob er sich über mich lustig macht. Es gibt bekanntlich zwei Arten von Menschen.
Ich gehe nicht viel raus. Ich habe nicht viele Freunde. Und vor allem mache ich keinen Sport. All das merke ich in diesem Moment. Mir geht die Luft weg und ich bin noch nicht da. Ich bin zwar exht lahm, aber wenn ich diese Geschwindigkeit halte, kann ich es noch schaffen. Das einzige Problem ist, dass ich diese Geschwindigkeit bereits unter größten mühen halte. Nun stellt sich die Frage: Körper oder Wille?
Der Körper gewinnt.
An der nächsten roten Ampel breche ich beinahe vor Anstrengung zusammen. Eine Frau und ihre kleine Tochter starren mich an, als wäre ich von einem anderen Planeten. Dabei bin ich bloß unsportlich. Sowas ist völlig normal. Denke ich...
Jedenfalls gehe ich die letzten Meter zum Bahnhof. Gegen 08:44 Uhr treffe ich am Eingang auf Ban, der mich lächelnd zu ihm winkt.
"Morgen, Akihito. Du siehst ja echt wild aus", lachte Ban.
"Wegen mir haben wir den Zug verpasst...", murmel ich und gehe voraus in den Bahnhof.
"Ich hab' Mika schon Bescheid gesagt. Er hält's zwar nicht mehr lange mit seinem Vater aus, aber natürlich ist er nicht sauer", gibt mein Freund wieder.
"Tut mir leid- ah!"
Ban patscht mit seiner flachen Hand auf meinem Kopf und zerzaust mein Haar noch mehr als es ohnehin schon ist. "Mach dir nichts draus! Sowas passiert und es ist völlig in Ordnung. Du hast doch den Emoji gesehen, oder? Er bedeutet: Mach dir keine Sorgen."
Ich korrigiere: Es gibt drei Arten von Menschen.
Wir gehen zu unserem Gleis und setzen uns auf eine der Bänke dort. Der nächste Zug käme um 09:06 Uhr, also mussten wir noch etwas weniger als zwanzig Minuten hier ausharren.
"Sag mal Ban..."
"Ja?"
"Was meintest du eben als du sagtest, Mika hält's nicht lange mit seinem Vater aus?"
"Oh... Das..."
Ban lehnt sich in die Lehne der Bank zurück und verschränkt die Arme, während er eine nachdenkende Miene mit geschlossenen Augen aufzieht. "Wie soll ich sagen...?" Für einen Moment ist der Junge still, bis er dann nach oben durch das Glasdach des Bahnhofes schaut.
"Das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater kann man nicht besonders als familiär bezeichnen. Aber vielleicht fragst du ihn nachher am besten selbst", antwortet er dann.
"Verstehe." Ich sehe zu Ban. Er lächelt mich freundlich an, was mir irgendwie ein seltsames Gefühl gibt. Ich verstehe es zwar nicht, aber Ban ist echt gut darin, mir dieses Gefühl zu vermitteln. Eines Tages würde ich ihn vielleicht danach fragen. Aber für heute gebe ich mich damit zufrieden, dass ich überhaupt hier mit ihm sein kann.
Mit wenigen Minuten Verspätung kommt unser Zug dann schließlich an.  Es ist eine Fahrt von etwa zwanzig Minuten, bis zum Ende der Stadt. Kurz bevor wir an der Station ankommen, kann man den riesigen Wolkenkratzer der Yoshida Corporation sehen. Dort werden die ganzen Büro-Angelegenheiten geregelt. Aber nicht nur das. In einem weiteren Komplex des Gebäudes, das direkt daran anschließt, sitzen die besten Ingenieure des Landes. Dort werden nicht nur Fahrzeugteile, sondern auch komplette Automodelle geplant, modelliert und schließlich zur Herstellung in Auftrag gegeben. Jedoch sind Yoshida Autos eine ziemlich kostspielige Sache. Man würde auch nichts weniger von einem Luxusschlitten erwarten.
"Wenn Mika den Laden übernehmen würde, könnten wir locker ein Wagen umsonst kriegen. Was meinst du, Akihito?" Ich lächel Juba an, der mich mit einem verschmitztem Blick ansieht.  "Klar. Er wird sich bestimmt freuen wenn er hört, dass seine Freunde ihm zum Chef der Firma seines geliebten Vaters machen wollen, nur für ein Auto."
Beide von uns schauen sich einen Moment an, bevor wir in lautes Gelächter ausbrechen. Als die Leute uns ansehen, unterdrücke ich den Rest und schaue aus dem Fenster, wobei ich noch immer kichern muss.

"JUBA~! AKIHITO~! DA SEID IHR ENDLICH!"
Mika läuft auf uns zu, laut und energisch wie immer. Wenige Meter vor uns bleibt er plötzlich stehen und sieht uns mit Krokodilstränen an. "Was ist denn in dich gefahren?", frage ich den Jungen vor mir, doch ich erhalte keine Antwort. Stattdessen springt er mich an und zerquetscht mich beinahe in einer Umarmung.
"Ich war so einsam~ und es war langweilig~ und dann tauchte auch noch der Dämon auf~ Akihito, du musst mich retten!"
Mit jedem Wort drückt er immer fester zu, was mir irgendwann die Luft abschnürt. Mit dem bisschen Kraft, das ich habe, schiebe ich Mikage von mir weg und hole tief Luft. "Wenn genau meinst du mit "Dämon", fragt Juba nach. "Die Klassensprecherin..."
"Unsere Klassensprecherin? Die würde doch niemandem was antun", gebe ich wieder und frage mich ob Mikage noch bei Verstand ist, aber er schüttelt nur wild seinen Kopf. "Nicht die! Die aus der A. Sie ist ein Diener des Teufels... Nein, sie ist der Teufel persönlich!"
"Wer ist hier ein Teufel?"
Mika schreckt unwillkürlich auf un dreht sich zögernd um. Vor uns stehen zwei Mädchen. Eine davon ist die aus der NUS... Das Mädchen neben ihr hat rotes Haar und trägt eine Brille. Es ist dasselbe Mädchen, das damals im Restaurant war.  Sie scheint ziemlich genervt zu sein. Ihr Blick sieht verdammt tödlich aus. Irgendwie kann ich verstehen, was Mika meint. Auf der anderen Seite..."
"Hey, Mika. Was hast du angestellt?"
"Akihito! Glaubst du ich könnte jemals einem Mädchen etwas tun?"
Mika zerrt an mir als könnte das seine Unschuld beweisen, aber ich seufze nur. "Tu nicht so!", ruft das Mädchen plötzlich und verpasst Mika einen ordentlichen Karateschlag auf dem Kopf. In meinen Gedanken kann ich ihn kilometerweit fliegen sehen. In Wirklichkeit fällt er nur auf die Knie und schmollt wie ein Kleinkind. Er weiß, wie man ein Drama aufführt. "Futara-san, was macht ihr hier?", fragt Ban, um vom Thema abzulenken. Das Mädchen ändert ihre Miene zu einem Lächeln. "Meine liebe Alia und ich wollten uns hier eine Rundführung ansehen", antwortet sie und nimmt ihre Freundin eng in den Arm. "Wollt ihr etwa in der Firma anfangen?" Mika steht wieder auf und lächelt Futara schelmisch an. "Wie sieht's mit euch aus?", entgegnet sie und erwiedert sein Lächeln. "Dieser Punkt geht an dich. Aber... wie wär's wenn wir alle zusammen durch die Firma streifen? Diese typischen Rundführungen, die mein Paps veranstaltet sind echt langweilig. Ich komme übrall auch ohne Begleitung rein", schlägt Mika vor und hüpft aufgeregt umher. Er erinnert mich echt an Chiaki...
"Gute Idee!", wirft die Transferschülerin ein und sieht in die Runde. Als sie mich sieht geht ihre Begeisterung direkt verloren. "Aber ist das auch in Ordnung für dich, Akihito-kun?", fragt sie mit einem besorgtem Blick. Ich brauche ihr Mitgefühl nicht. Aber noch weniger will ich die Stimmung verderben. Mika scheint sich gut mit dieser Klassensprecherin aus der A zu verstehen und auch Ban scheint sie zu kennen. Ich denke, für heute kann ich sie ertragen... Also nicke ich. Mika und Edsword hüpfen sofort fröhlich auf und ab. Ich hoffe, ich werde es nicht bereuen.
"Alia hat mir erzählt, du scheinst sie nicht besonders zu mögen. Und trotzdem lässt du uns mitkommen. Dafür danke ich dir. Ich bin Reina Futara." Das Mädchen streckt mir ihre Hand entegegen, die ich mit einem kleinen Lächeln im Gesicht schüttel. "Ich bin Keiji Akihito."
Ich erspare mir einfach jegliche Kommentare über meine Klassenkameradin. Ich habe eh nichts zu sagen. "Lass uns gehen, Akihito!", ruft Mika und legt einen Arm um mich, bevor er mich in das Gebäude der Firma zerrt, dicht gefolgt von den anderen. Die Eingangshalle ist gefüllt mit jede Menge anderer Personen, bestehend aus Personal und Besucher. "Willkommen bei Yoshida Corporation", lächelt Mika und streckt einladend seine Arme aus. Alle von uns staunen während wir uns in der Halle umsehen. Die Firma hat Geld und das zeigt sie. Marmorboden, ein riesiger Kronleuchter und Bilder von berühmten Fotografen. Die Angestellten tragen alle hochwertige Anzüge, die sie mit Sicherheit nicht selbst bezahlt haben. Noch während ich mich umschaue spüre ich, wie jemand an meinem Arm zerrt. "Komm schon. Wir gehen zur Abteilung für's Design!" Mika lächelt und zerrt mich mit ihm zu einer großen Tür auf der linken Seite. Dort befindet sich eine Treppe. "Nehmen wir nicht den Aufzug?", fragt Fuatara-san mit einem skeptischen Blick. Mika schüttelt den Kopf und beginnt die Treppen hochzulaufen. Wir folgen ihm einfach wortlos. Er wird wohl seine Gründe haben. Eine Etage höher bleiben wir stehen. Mika , der uns seinen Rücken zuwendet, dreht sich um. Hinter ihm befindet sich eine Tür auf der groß "01" geschrieben steht.

"Na dann, lasst den Spaß beginnen!"

Der KirschblütentraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt