Kapitel 19

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Oder »Der Anfang vom Ende«

Es war ein regnerischer Mittwoch im April, als die Uhren der Nationen stehen blieben. Keine weitere Sekunde verging von diesem Augenblick an. Die Geschichte der Menschheit stand still. Ganz London schien, als hätte der dröhnende Lärm der Metropole für einen Augenblick den Atem angehalten und eine gespenstische Stille in die leeren Straßen verbannt. 

Die schweren Regentropfen glänzten matt im Schein der orangen flimmernden Straßenlaternen. Bald würden diese erlöschen. Nicht aber, weil der Morgen am Horizont anbrach, sondern weil die Dunkelheit langsam aus der nächtlichen Dämmerung hervorkroch. Langsam und behaglich, wie ein verheerender Schatten, kamen sie aus dem nichts. Niemand weiß woher. 

Und in diesem zeitlosen, schweigenden Chaos und der erstarrten Stadt irrten zwei junge Mädchen umher. Verloren und mit erschöpften Gesichtern schleppten sie sich durch die Straßen und Gassen. »Florence«, murmelte Jane erschöpft und spürte ihre kalte Hand in ihrer »Ich bin müde«. Ihre Schwester senkte den Blick zu ihr hinunter. 

Das kalte Regenwasser rann über ihr Gesicht und tränkte die spärliche Kleidung, die sie beide am Leib trugen. »Ich weiß, Jane. Ich bin auch müde, aber wir müssen weiter«, forderte Florence sie auf und rang sich ein schwaches Lächeln ab »Wir sind bald da, versprochen«. Jane setzte nur widerwillig einen Fuß vor den anderen »Ich will zu Dad«, flüsterte sie nach einer Weile mit gedämpfter Stimme. 

Als ihre Schwester nicht auf ihre Bitte reagierte, blieb sie stur stehen und verschränkte die Arme vor der Brust »Wieso geht er nicht ans Telefon!«, murrte Jane kleinlaut und stampfte mit dem rechten Bein auf den Asphalt »Ich will das er wieder zurückkommt!«, beschwerte sie sich nun etwa lauter. Florence erstarrte augenblicklich zu Eis, als der Klang von schlurfenden Schritten in einer Seitengasse zu hören waren. 

»Jane«, zischte sie panisch »Sei leise, bitte«, sie packte ihre Schwester an der Hand und zog sie hastig weiter. Doch Jane war noch lange nicht fertig »Lass mich los, Florence!«, quengelte sie hysterisch, wobei ihre Stimme gefährlich laut an den Wänden der Hausmauern widerhallte. Die schlurfenden, trägen Schritte wurden laute. Florence spürte wie sich eine beißende Angst in ihren Verstand grub.

 Sie war doch noch viel zu klein um die Verantwortung für Jane zu übernehmen. Völlig aufgelöst und orientierungslos drängte sie ihre Schwester in ein kleines, verlassenes Café. Die Dunkelheit, die dort herrschte, machte ihr nicht weniger Angst. Mit einem letzten Versuch schaffte sie es schließlich Jane zum Schweigen zu bringen »Hör auf«, fauchte Florence diesmal wütend

 »Oder ich lasse dich hier alleine zurück! Es ist deine Entscheidung, Jane!«. Ihre Schwester verstummte plötzlich. Janes Lippen begannen zu beben und ihre Augen wurden glasig »Was...was... wieso?«, brabbelte sie aufgelöst und klammerte sich an ihre Jacke »Du bist doch meine Schwester, Florence. Du kannst mich nicht verlassen«, bettelte sie mit hochrotem Kopf. Florence beugte sich zu ihr hinunter 

»Dann halt nur für eine Minute deinen vorlauten Mund, Jane«, ermahnte sie ihre Schwester. Ein niedergeschlagenes Nicken kam als Antwort. Erschöpft setzte Florence sich hinter einen Berg umgeworfener Stühle und Tische. Nur ungern ließ sie zu, das Jane es sich auf ihren Schoß gemütlich machte, da jeder einzelne Muskel von ihr schmerzte. 

Ein paar Minuten später vernahm sie den ruhigen, gleichmäßigen Atem ihrer Schwester. Sie war endlich eingeschlafen. Florence spürte, wie sich eine zerrende Müdigkeit auf ihre Augenlider legte. Das Licht der Straßenbeleuchtung fiel durch dir hohen Fenster und tränkte den verwüsteten Boden in ein blasses orange-gelb. 

Der Regen prasselte derweil unaufhaltsam gegen die Scheiben. Doch das war nicht das einzige Geräusch, das in dem Café zu hören war. Florence Herz begann zu rasen. Mit zitternden, schweißgebadeten Händen schob sie Jane vorsichtig von sich hinunter. Das leise, rhythmische Kratzen an der Tür zur Backstube wurde immer lauter.

The Crimson PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt