Kapitel 2

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Es kam einfach so über mich. Irgendwie war es jetzt ganz einfach etwas zu schreiben. Für den Bericht für die Schülerzeitung, der gestern schon fällig war, hatte ich keine Ideen. Doch hier schien es so, als hätte ich das Ganze schon einmal geschrieben. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich es nicht schon mal geschrieben habe, sondern wirklich erlebte.

Ich legte den Stift aus meiner schweißnassen Hand und erkannte in diesem Augenblick, dass ich das erste Mal so richtig ehrlich zu mir gewesen war. Ich klappte mein Notizbuch zu.

Mein Handy vibrierte und ich musste sofort wieder an sie denken. Ist sie das? Braucht sie mich? Doch es war keine Nachricht von ihr.

Als ich antwortete, sah ich das sie online war. Joyce schrieb mir in diesem Moment, als ich im in Begriff war, unseren Chat zu öffnen.

Hey", schrieb sie und ich wusste es würde wieder irgendetwas mit ihrem Vater gewesen sein. Irgendetwas war wieder bei ihr zu Hause passiert. Ich schrieb zurück und kurze Zeit später kam eine Antwort „Können wir heute Abend telefonieren oder uns sehen? Mein Vater war kurz da, um seine Sachen zu holen. Ich brauch jemanden zum Reden."

Ich schluckte. Ich wusste nicht, dass ihr Vater nun doch ausgezogen war. Und mich verletzte es ein wenig, wie sie mir das in einem kurzen Nebensatz, ohne es direkt anzusprechen, mitteilte. „Ja klar, nur weiß ich nicht wann ich nach Hause komme. Es könnte spät werden ich hab nämlich noch Klavierunterricht. Ich schreib dir aber nochmal."

Sie ging offline ohne zu antworten, sich zu bedanken oder sonstiges. Es war komisch. Ich hasste es nicht direkt mit ihr reden zu können. Ich wusste nie ob ich jetzt nicht doch etwas Falsches gesagt hatte oder sie vielleicht gerade keine Zeit hatte zu antworten. Ich hoffte jetzt mal auf letzteres und ging in die Küche. Dort saß meine Mum, mit ihrem Kaffee in der Hand und sie war ebenfalls am Handy.

Eine Singlefrau, die mitten im Leben stand und sich dachte, dass dieses Leben jetzt so lange weitergeht, bis sie stirbt. Sie dachte wohl vom einen auf den anderen Tag, sie müsste sich wieder damit beschäftigen, wie man einen Menschen findet, mit dem man gerne Zeit verbringt und der einen liebt. Es hat ein bisschen gedauert, als der erste Liebeskummer nach ihrer Trennung von einer ihrer zahlreichen Beziehungen vorbei war, als sie beschloss, es mal online zu versuchen.

Sie hatte sich also unter anderem eine Datingapp heruntergeladen und wenn das nicht schon peinlich genug gewesen wäre, nein sie musste sich auch noch ihr Profil von mir einrichten lassen. Mit der Beschreibung „Vollzeitjob: Alleinerziehende Supermama, die gerne reist und kocht", war ich der festen Überzeugung sie würde niemals einen halbwegs normalen Typen abkriegen. Doch es war nicht so. Innerhalb von 3 Wochen war sie auf 3 unterschiedlichen Dates.

Als sie also vor 3 Wochen von ihrem Date spät abends nach Hause kam, saß ich barfuß auf dem Küchentresen, mit einem warmen Tee in der Hand. Ich hatte mir (NATÜRLICH) wahnsinnige Sorgen gemacht. Sie war länger weggeblieben als ich gedacht habe und als der Typ klingelte, um sie abzuholen war ich schon etwas skeptisch.

Sie schmiss ihren Schlüssel auf unsere Kommode neben dem Schuhschrank und schleuderte ihre Stiefel, um die ich sie beneidete, in die Ecke. Ich musste sie ausquetschen, damit sie wenigstens mit ein paar Details herausrückte. Er war ein bisschen irre gewesen erzählte sie mir: „Erstens war er total geizig und hat im Lokal die Rechnung aufteilen lassen, obwohl ich nur eine Cola getrunken habe!!". Und küssen habe er auch überhaupt nicht können. Und das war dann der Teil, bei dem man als Tochter abschaltete. Auf jeden Fall habe ich noch den Teil aufgeschnappt, dass er total wütend gewesen sein muss, dass bei meiner Mum „der Funke nicht übergesprungen ist", so wie sie es nannte und hat sie die ganze Nacht mit wütenden Nachrichten bombardiert.

Man könnte meinen meine Mum hätte jetzt wohl die Nase voll. Doch nein! In der nächsten Woche folgte das 2. Date und das ist eine Geschichte für ein anderes Mal. Denn während ich mein Essen in der Mikrowelle aufwärmte, sah ich auf der Küchenuhr, dass ich, wenn ich mich nicht schleunigst beeilte, zu spät zu meiner Klavierstunde kommen würde.

Also raste ich wie eine Wahnsinnige den Bahnhof entlang und hoffte meinen Zug noch erreichen zu können. Von weitem sah ich, wie die letzte Person meinen Zug betrat und hinter ihr schloss sich die Tür, als ein Arm zwischen der Tür auftauchte. Ich schaffte es gerade noch durch zu schlüpfen und sah mich nach meinem Retter um. „Da war wohl jemand ziemlich spät dran. Hab ich dir nicht gesagt du sollst dir eine Uhr zu legen?"

Ich umarmte ihn stürmisch. Es war Theo, einer meiner Freunde von der Musikschule und der Schule, nur ging er eine Klasse über mir. „Tja Theo, bin ich dir mal wieder was schuldig. Wie wär's mit einem Kaffee nach der Probe, auf den ich dich einlade?". Er grinste mich nur an und der Zug fuhr los.

Wir stiegen beide mitten in der Stadt aus. Unsere Musikschule lag in einem der ältesten Gebäude der Stadt und war nur mit dem Zug erreichbar. Wir mussten noch etwas laufen, um dort hinzukommen. Theo trug seinen großen Cello Koffer auf dem Rücken. Er war unheimlich talentiert und arbeitete, genau wie ich, auf ein Stipendium hin. Dieses Jahr würde er seinen Abschluss machen und wenn er nicht ganz groß rauskommen würde, wer dann?!

Als Mum und ich auf einer seiner Konzerte waren, waren wir überwältigt. Ich hatte noch nie jemand so gut Cello spielen hören und das gerade einmal mit 17 Jahren. Ich hatte damals Joyce gefragt, ob sie denn nicht mitkommen möchte. Doch an diesem Tag war es besonders schlimm mit ihrem Vater. Joyce musste schon so viel durchmachen und ich hatte immer das meiste mitbekommen. Schließlich kannte ich sie schon seit wir zusammen in die Grundschule gingen und schon da hatte sie es nicht einfach. „Ehm Liv, da geht's lang". In Gedanken versunken, hatte ich nicht gemerkt, dass ich an der letzten Abbiegung weitergelaufen bin. Ich folgte Theo und sah das schöne Fachwerkhaus vor mir. Theo hob mir die quietschende Tür auf und ich trat ein. Die Tür fiel ins Schloss und jetzt mussten wir nur noch die Treppen hoch. Theo verabschiedete sich von mir im 1. Stock, ich musste in den 3. hoch. Ich liebte es hier die Gänge entlang zu gehen. Aus jedem Zimmer konnte man übende Kinder hören, die alle dieselbe Sache liebten, die Musik. Ich stand vor meinem Probenzimmer und klopfte. Ich hörte die vertraute Stimme meiner Lehrerin und sie bat mich hinein.

Ein kleines Mädchen, vielleicht gerade mal 7 Jahre, saß auf dem Klavierhocker, die Beine baumelnd in der Luft, weil sie den Boden noch nicht erreichte

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Ein kleines Mädchen, vielleicht gerade mal 7 Jahre, saß auf dem Klavierhocker, die Beine baumelnd in der Luft, weil sie den Boden noch nicht erreichte. Sie erinnerte mich an mich, als ich mit 6 Jahren zu meiner ersten Klavierstunde kam. Ich war damals so aufgeregt und hatte gleichzeitig aber das Gefühl, dass Klavier spielen einer meiner großen Leidenschaften sein würde.

Ich setzte mich auf einen freien Stuhl und lauschte den letzten paar Minuten eines Stückes, dass ich ebenfalls schon spielen durfte. Die Kleine war nicht schlecht. Sie spielte den letzten Dreiklang und ich und meine Lehrerin klatschten in die Hände. Sie wurde ein bisschen rot um die Wangen, hüpfte vom Hocker und ging zu ihrer kleinen Tasche, um ihre Noten einzupacken.


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