Kapitel 3

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13.November

Und ich verstehe dich in vielen Dingen einfach nicht. Warum machst du ich selbst so fertig?

Warum handelst und denkst du so?

Aber ich kann dir nicht sagen, dass ich dich manchmal nicht verstehen. Weil dann würdest du dich so fühlen als würde dich niemand verstehen und dann verzweifelst du noch mehr und denkst etwas stimmt nicht mit dir. Ich weiß nicht was ich tun kann. Ich hoffe du vertraust mir und lässt dir helfen.

Aber dann stellt sich mir wieder die Frage. Würdest du für mich dasselbe tun?

Würdest du für mich dasselbe geben und opfern. Ich weiß es nicht und verlange auch nichts. Aber manchmal habe ich das Gefühl ich opfere so viel und bekomme nichts zurück. Obwohl ich nicht das Recht habe etwas zurückzubekommen.

Und jetzt weiß ich wie es sich anfühlt missverstanden zu werden. Denn niemand versteht mich, sowie auch dich niemand versteht.Vielleicht ist es diese Sache, die uns verbindet.

Zwei Stunden später saßen ich und Theo im Kaffee. Kaugummikauend kam die Bedienung auf mich zu, um mir meine Rechnung für meinen Latte zu bringen. "Lass schon Theo, ich zahl das schon", er steckte seinen Geldbeutel wieder in seine Hosentasche. Theo war öfters knapp bei Kasse. Als ich der Bedienung meinen 10 Euroschein entgegen streckte sah ich schon, wie es in ihrem Kopf ratterte. Da ich es eilig hatte und bereits schon Schal und Jacke angezogen hatte, kam ich ihr und ihren Rechenkünsten zu Hilfe "Ich bekomme 6,45 zurück". Verbesserte Kopfrechen Fähigkeiten waren nur eine der wenigen guten Nebeneffekte beim Aushilfsjob an der Kasse gewesen, damit ich mir den weiteren Klavierunterricht leisten konnte. Als Antwort bekam ich nur ein kurzes Nicken und dann verschwand sie auch schon wieder. "Willst du noch zu mir kommen? Wir könnten einen Film schauen oder ins Kino gehen?", fragte mich Theo. Und so gern ich auch wirklich wollte, wusste ich, dass ich noch bei Joyce vorbei schauen musste. Sie war die ganze Zeit in meinen Gedanken und ich fühlte mich schlecht sie so zu ignorieren. "Tut mir leid aber ein andermal ja?", er nickte nur etwas enttäuscht und er hob mir die Tür auf. Mir blies der kalte Wind ins Gesicht. Es war dunkel und wir mussten wieder zurück zum Bahnhof laufen Theo ging vor mir, auf dem Rücken sein großer Cello Koffer, der seinen Hinterkopf fast verdeckte. Warum es gerade das Klavier "mein Instrument" geworden war, wusste ich auch nicht. Aber früher bei meiner Nachbarin, als Dad und Mum noch zusammen waren, da gab es ein altes Klavier bei ihr im Wohnzimmer. Immer wenn Mum und Dad Streit hatten oder ich krank war, ging ich runter zu ihr und sie brachte mir ein kleines Stück bei. Ich konnte es immer noch spielen. Irgendwann wurden es längere Stücke und schwerere. Bis unsere Nachbarin eines Tages mir und meiner Mum vorschlug, Klavierunterricht zu nehmen. Ab da an wusste ich, dass ich irgendwann mein Geld mit Musik verdienen wollte. Als sich meine Eltern trennten zogen ich und meine Mum weg und ich hatte kein Klavier zum Üben. Also suchte sich Mum einen neuen Job, kaufte mir vorübergehend ein billiges Keyboard. Mit 16 fing ich dann mit dem Kassieren an, um meiner Mum etwas unter die Arme zu greifen. Wir waren nun schon ziemlich lange zu zweit. Und ich glaube Mum fühlte sich auch ganz schön einsam. Deshalb versucht sie ihr Glück auf solchen Datingseiten.

Ich stand vor ihrer Haustür und atmete noch einmal tief ein und aus. Ich hoffte ihre Mum war nicht da und würde die Tür auf machen. Denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht leiden konnte und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Auch Joyce Eltern waren getrennt. Allerdings war es zwischen ihren Eltern nicht so friedlich wie zwischen meinen. Joyce hatte noch eine ältere Schwester, Clarissa, die mir schließlich die Tür aufmachte. Ich ging Richtung Joyce Zimmer und öffnete die weiß gestrichene Tür. Joyce schaute mich überrascht an, stand auf und ging auf mich zu. Sie schloss mich in eine Umarmung, was mich etwas irritierte, weil ich dachte sie wäre sauer. "Danke, dass du hier bist", flüsterte sie in mein Haar. "Mein Vater war hier. Und du kannst dir denken wie das geendet hat. Mum ist zum Supermarkt und ich glaube sie holt sich Alkohol. Ich weiß nicht wie ich das schaffen soll. Clarissa hat gesagt, dass ich mich jetzt um alles kümmern muss, weil sie eine wichtige Seminararbeit für die Uni vorbereiten muss. Ich schaff das nicht meine Mutter zu beruhigen und mich gleichzeitig um den Haushalt zu kümmern!".

Verzweifelt setzte sie sich wieder und vergrub ihre Hände in den Haaren. "Setz dich. Ich mach das hier und wenn deine Mum kommt versuch mit ihr zu reden. Versuch sie zu überreden sich erstmal hinzulegen und sich auszuruhen. Dann verstecken wir den Alkohol und du kannst wenn du möchtest zu mir kommen". Sie schaute mich dankbar an und stand erneut auf, um mich zu umarmen.

Aber das war wieder einer dieser Momente, in den ich an meine geschriebenen Worte in meine Notizbuch dachte. Nicht nur sie steht unter der Last ihrer Familie. Ich trage auch Ängste und eine schwere Last mit mir. Die Angst um sie und die Last, die ich ihr immer wieder abnehmen möchte, aber genau weiß das ich das nicht kann. Und wieder erkannte ich das sie Hilfe brauchte. Nur sie nicht. Und ich wollte es nicht ansprechen, weil wir diese Unterhaltung schon mal geführt hatten. Und sie hat in einem Streit geendet. Und Streit war gerade das letzte, was sie brauchte.











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