Kapitel 5

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Ich hörte mein Harry Potter Hörbuch in voller Lautstärke. Draußen regnete es und ich genoss es in vollen Zügen. Ich hatte meine gepunktete Teetasse in der Hand, saß auf der Fensterbank und schaute den Wassertropfen zu, wie sie langsam an der Fensterscheibe herunterglitten. Früher hatten ich und Dad daraus immer ein Wettrennen gemacht, welcher Regentropfen als erstes den Boden erreicht hat gewinnt! Heute sind es einfach nur Regentropfen. Und sie passten auch zu meiner Stimmung, denn nachdem am Vorabend Joyce nach langem Warten von der Notaufnahme entlassen wurde, war die Hölle los. Ihre Mutter wurde informiert und war stinkwütend (und sturzbetrunken) in die Notaufnahme gekommen. Von Sorge um ihre Tochter keine Spur.

Zuerst musste ich mir anhören, dass es ja nur eine Frage der Zeit war, dass Joyce irgendwas bei mir passiert schließlich wäre ich kein guter Umgang (sagte die Frau die ihre Tochter sturz betrunken in der Notaufnahme abholte, mit dem Auto!!!). Meine Mutter verteidigte mich natürlich. Unsere Mütter konnten sich noch nie leiden. Ich und Joyce hatten mal vor Jahren versucht unsere Mütter zusammen zu bringen. Die Vorstellung unsere Mütter würden auch so beste Freundinnen werden wie wir, hatten wir schnell beiseite geschoben, als wir einen Tag im Einkaufzentrum verbracht hatten. Sie hatten sich so in die Wolle bekommen und jeder Blinde hätte gesehen, dass sie auf keiner Wellenlänge sind. Also stritten beide an diesem Abend und ich saß daneben und war mit den Nerven fertig. Ich wusste nicht, was mit Joyce los war und konnte mir nur etwas Gesundheitsbedingtes erklären. Doch sie wurde einfach entlassen. Allerlei Tests wurden durchgeführt, man konnte sich einfach nicht erklären, was es war.

Mum riss mich aus den Gedanken als sie "Liv!!!" rief. Ich raste die Treppe herunter, weil es sich wirklich ernst anhörte. Nass und tropfend stand Joyce vor mir. Sie stand mitten in unserer Küche und lächelte mir zu. Ich ging auf sie zu und umarmte sie, egal ob ich nass wurde. Mum machte mir und Joyce eine Tasse Tee und wir gingen hoch in mein Zimmer. Sie bekam frische Anziehsachen und ich schob meine alte Tasse Tee zur Seite, setzte mich auf die Fensterbank und klopfte auf den Platz neben mir. Sie setzte sich. Kurze Stille, weil ich mich kurz sammeln musste. "Was war gestern los? Ich hab mir echt Sorgen gemacht. Das war so krass, du warst nicht mehr ansprechbar und hast so gekrampft und es sah aus, als würdest du ersticken?!". 

Sie wendete den Blick von mir ab und sah sowie ich vorhin den Tropfen bei ihrem Weltlauf zu. "Weißt du noch? Wir haben hier früher immer zusammengesessen und unsere kleinen unwichtigen Probleme besprochen. Wenn unsere Mütter und Väter Streit hatten oder wenn wir über Marco geredet haben...Oh mein Gott weißt du noch Marco! Ach egal ich schweife vom Thema ab...", sie atme kurz tief ein und aus und kurz hatte ich Angst sie würde wie gestern so einen Anfall bekommen "Diese Probleme sind nicht mehr so klein und unbedeutend, wie sie es mal waren. Ich kann dir nicht sagen, was das gestern war...ich kann mich an nichts mehr erinnern, an rein gar nichts". Ich schaute sie erschrocken an. Wie konnte sie sich an rein gar nichts mehr erinnern. "Willst du das ich dir erzähle, was passiert ist?" Ich schaute sie mitleidig an. Es muss doch schlimm sein sich an nichts mehr erinnern zu können. "Nein ein andermal. Ich weiß auch nicht aber vielleicht möchte mich mein Körper vor so einem schlimmen Erlebnis schützen, indem er mir die Erinnerung nimmt. Das einzige, an das ich mich erinnern kann, war ein Schrei...Vielleicht von mir oder von dir oder vielleicht habe ich ja etwas gesehen oder wovon geträumt...". Ich konnte ihr darauf keine Antwort geben, falls sie eine von mir verlangte.

Die nächsten Wochen waren die anstrengendsten Wochen, die ich je hatte. Nicht weil die Schule begann und der Lernstress von vorne los ging. Außerdem stand auch noch ein wichtiges Klaviervorspiel auf dem Plan. Nein, es waren die Anfälle von Joyce, die mich so fertig machten und sie auch. Am schlimmsten waren sie in der Schule. Das erste mal in der Schule war direkt am ersten Tag an den Schließfächern. Sie stand neben mir und sie kippte einfach um. Theo der zufällig das Schließfach neben uns hatte war gerade dabei sein Spind zu schließen, als er sie (Gott sei Dank!) auffangen konnte. Es wurde der Krankenwagen gerufen, alles durchgecheckt und es war einfach nichts. Am Abend darauf, als ich bei ihr war erzählte sie mir von dem Besuch ihres Vaters und das er nun keinen Unterhalt für sie zahlen würde. Der Grund: ein neues Auto, das er sich nur so leisten konnte. Das war nur einer der wenigen schlechten Eindrücke, die man von ihrem Vater, wenn man ihn nicht kannte, bekam. Kurz gesagt, er war ein Arschloch.

Die Tage darauf waren nicht besser. Immer mehr verschlechterte sich ihr Zustand und sie litt und ich mit ihr. 

Rückblickend wusste ich nicht, wie ich das Ganze überstanden habe, wie Joyce es überstanden hatte... denn es war verdammt hart nicht zu wissen, was los war.

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