Die Zukunft

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Als ich noch ein Kind war, was nicht heißt, dass ich heutzutage nicht auch noch ...,  innen drin, wo man es nicht gleich sieht, da schien mir die Zukunft meist klar und obendrein äußerst erstrebenswert zu sein.

Ich würde eine Familie haben, Frau, vier - vielleicht fünf - Kinder, in einem schönen Mietshaus wohnen, in dem sich alle Menschen verstehen und gegenseitig helfen.

Am Wochenende führen wir mit der Bahn - oder, wenn die vierzehnjährige Bestellzeit endlich vorüber wäre,  mit dem Auto - durch das Land. Vielleicht blieben wir auch nur in unserem Garten, in der Kleingartenanlage "Sieg des Sozialismus" und bauten all die Pflanzen an, die man im Konsum an der Ecke nur mit einer gehörigen Portion Glück gelegentlich zu kaufen bekam.

Und bequem würde sie sein, die Zukunft!
Was hatte ich nicht alles schon verschlungen, an "Wissenschaftlicher Phantastik", wie die Science Fiction damals noch hieß! Die Wohnungen würden sich um ihre Bewohner kümmern, die Autos ihren Weg selbst finden, jeder hätte ein Telefon, vielleicht sogar mit Bildschirm, auf dem man seinen Gesprächspartner sehen konnte, während man mit ihm kommunizierte.

"Und er sah sein Leben an und alles war sehr gut." - Auch ohne Bibel, nur mit dem "Manifest".
Zu Weihnachten, dem Fest der Liebe und des Lichts, würden die Menschen einander erfreuen und gemeinsam singen:
"... vom Sternenschein der weite Raum erfüllet,
es ist, als ob er uns verkünden will:
Friede, Friede auf Erden..."

Heute bin ich älter geworden.
Außen haben sich die Spuren der Zeit ihre Kanäle gegraben, der alte Zopf ist verschwunden, während die vormals nackten Füße sich mittlerweile in weichen Schuhen räkeln dürfen.
Aber innen, innen gibt es noch dieses Kind, das davon träumt, wie die Menschen gut leben.
Alle! - Und wie sie achten, auf sich, auf einander, auf die Umwelt, ...

Und nun ist sie da, die Zukunft, die ich damals erdachte, als folgerichtig und gut ansah,
für die mein kindlicher Mut sich aufzubäumen bereit machte, die, damals noch in Büchern versteckt, gewartet hat, dass sie erblühen dürfe, entdeckt würde.

Und ich habe vier Kinder, ein Auto, das vieles selbständig tut, was mitunter sogar beinahe
eine Bürde zu sein scheint, mich an "Entmündigung" denken lässt, an Geschichten von amoklaufender Elektronik. Mein Telefon sieht ganz anders aus, als das, welches ich damals meinte.
Schnurlos. Und den Bildschirm vereinte man mit  dem Gerät an sich. Ich erinnere mich, dass schon die Sprechgeräte der Enterprise von 1970 mir - seinerzeit - utopisch erschienen.
Heute bedienen wir unser "Schlaues Fon" durch Tippen und Wischen - und einiges schon durch einfaches Sprechen.

Der Garten ist aus dem Leben verschwunden, denn heutigen Shopping Mall Kunden wird ein Angebot präsentiert, bei dem die Reizüberflutung den Fluchtreflex zu triggern droht. Kaufte ich in der Kindheit "ein Brot" beim Bäcker, dann ist die Anmutung der Backwarenabteilung im Supermarkt die eines Backparadieses, einer Selektionshölle, respektive. "Mehrkorn, Vollkorn, crisp, knusprig, lecker, mit ... (Zutat Ihrer Wahl)", lautet das Mantra der Qual. Und im Getränkemarkt bietet man mir tausend Weinsorten, Wässer und ebenfalls an Bier, was die Welt so braut. Alles verlockend hin gebaut. Ein paar Leerkästen stellt man dazu, falls du, werter Kunde, ja selbst mixen willst, mit welchen Sorten Gebräus du dir den Schädel füllst, bei der Talkshow der Supernaïve oder der Daily Soap Deiner Wahl.

Einkaufen in unter einer Stunde wird selten, ist aber allemal ein Erlebnis - wenngleich nicht zwingend ein angenehmes.

Das "Land", das ich damals gemeint habe, ist zu einem "Europa" verleimt worden und dehnt sich zusehends aus. In meinem Haus wohnen - sicherlich nette - Leute, doch bleibt heute das Wichtigste für alle "Individualität".
Das heißt, es geht nicht um ein "wir", das die eignen vier Wände überschritte. Man hilft sich schon aus, doch bitteschön dann nur, wenn das geborgte Salz, das Ei, das Stück Brot, das zum Abendessen notwendig war, weil man - Pendler - Ihr wisst, ... leider gestern und heut nicht zum Shoppen gekommen ist; wenn man diese Dinge möglichst zeitnah retourniert, bestenfalls mit einer kleinen Zugabe dekoriert, die helfen soll, die Helfer bei Laune zu halten.

Im Urlaub fahren, fliegen wir durch die Welt, wenn wir das Jahr über anständig sparsam gewesen sind. Doch hat die Familie mehr als ein Kind, wird es schwierig, unmöglich fast, mit nur einem Verdiener, gemeinsam mit der Bande kleiner Schlawiner irgend etwas zu unternehmen.
Mit vieren ist es beinah vorbei, denn die Gesellschaft begrenzt ihre Toleranz, bemerkt man, auf drei Nachkommen. Mehr ist nicht eingeplant, kostet Aufpreis.

Man ahnt, dass der Traum des Kindes, das ich einst war, vom Glück für alle, heute nicht mehr realisierbar scheint. Was meint, dass das gute Leben eben für immer weniger Menschen erreichbar ist. Aber zumindest achten diejenigen, denen es knapp oder nicht gelingt, der Minderheit der Gutleber anzugehören, auf einander ...
Das heißt, sie stören sich am Erfolg ihrer Nächsten, beneiden, be... gieren alles, was diesen gelingt, sie erwerben, besitzen und die Achtsamen reagieren gewaltig ... gewalttätig, sogar. War eben noch der Nachbar (so ziemlich) ok, bricht ein Krieg aus, steht dessen neues Auto einen ganzen Tag lang auf dem Gästeparkplatz am Haus. Und vielleicht, tritt der ... Arsch ... abends heraus, findet er am Gefährt die Reifen platt vor, weil die jemand zerschnitten hat.

Naja ...

Und die Umwelt?
Nimmt man sich vor, darauf zu achten, und wählt daher etwa ein Gefährt, bei dem man vermutet, dem Hersteller sei Freundlichkeit ihr gegenüber,  der Um ... auch was wert, weil der Schadstoffausstoß und Verbrauch nicht so groß scheinen, hat man bloß übersehen, dass keiner der Werte echt ist. Das allein ist schon schlecht, wird am Ende aber noch getoppt von der Tatsache, dass der Motor den Ausstoß vermindert, ja beinahe stoppt, wenn die Elektronik merkt, man will sie testen. Das heißt, dass die Dinger die Welt verpesten, in einem Maß, bei dem einem aller Spaß vergehen kann.

Doch damit fängt der Ärger erst an, denn statt die Verbrecher zu belangen, werden Fahrverbote verhängt, die die Opfer (in jeder Hinsicht) bangen lassen, dass sie mit ihrer Karosse, für die sie ohnehin schon mehr gelöhnt haben, als andere - und für die auch die Steuerlast höher ist, letztendlich vielleicht ... zu Immobilieneignern werden.

Die Gemeinschaft des Traumes der Kinderzeit, ist out. - Es herrscht die Community und jeder schaut pausenlos, was die Freunde tun, die er noch nie getroffen hat. Die antisocial media Lemminge, die das Verfolgen von allem und jedem mit Anteilnahme verwechseln, die steigende Zahl der "Likes" für eine Beziehung halten, beziehungsweise gleich ganz in diesem Parallelmultiversum verloren gehen.

"Wow!", twittert eine Siebzehnjährige, "Ich habe letztens zum ersten Mal in einem Laden eingekauft. Das war voll weird! Überall rannten Leute rum und fassten das Zeug an, das die dort verkauften. Eklig!" Sie postet ein Selfie.

Am Abend trifft sie ihren BF, mit dem sie aber nicht spricht, denn alles, was es zu sagen gegeben hätte, hat sie ihm schon per Messenger mitgeteilt. Sie schweigen einander an.
"Lass Bett gehn!", gähnt er.

Ja, sie ist da, die Zukunft. Und sie ist ein Traum.
Ein Alb ...

SlamtasiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt