Wie ich einmal (fast) ein Veganer war

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Ich gebe zu, dass ich meinen Körper mag. Schon seit einiger Zeit bin ich deshalb bemüht, ihm unnütze Lasten zu ersparen, ihn stattdessen nützlich zu bemühen. In diesem Bestreben habe ich verschiedene Credos, ... Credi, Kredite? - einem oder mehreren Tests unterzogen und einen beträchtlichen Teil des YouTube - Angebots an sicheren Wegen zum gesunden, schlanken und obendrein ansehnlichen Körper ... zumindest ... angeschaut.

Und natürlich kommt man an "Vegan" in dieser Hinsicht kaum vorbei, ohne dieses Pieksen im Hinterkopf, das signalisieren will, man müsste doch auch mal ...
Um die Tiere geht es mir nicht. Ich bin ein Allesfresser, der auch vor lebensgroßen Steaks nicht haltmacht. Dennoch, nachdem ich mich schon bewegt hatte, täglich meinen Tag mit aktiver Sportlichkeit, respektive sportlicher ... , zu beginnen, einer Handlungsweise, die, durch die anschließende kalte Dusche komplettiert, zielsicher an den morgendlichen Frühstückstisch führt, wo die gesunden, einhundertdreizehn Prozent Bio-ökologisischen Frühstücksflocken, in Begleitung eines Landeis der Verdauung introtraktiert werden, schien der Verzicht auf die fleischlichen Esslüste recht nahe zu liegen, - zum Greifen, sozusagen.

Also griff ich am sanft geschlachteten Saftschinken vorbei, erlangte die Dose mit dem artgerecht gezüchteten, garantiert veganen Eiweißshake und los gings. Hmmmm! Gar nicht so übel, das Zeug. - Und die Inhaltsstoffe! - Alles handgezupft, mindestens!
Dazu etwas Tofu ...
Dieser Versuch blieb ein einmaliger. Auch jetzt ist mir nicht klar, wie die Hardcore - Herbivore danach noch lächeln können. - Mir jedenfalls gelang es nicht. Ich entschädigte mich mit einem Apfel, einer Mango und etwas Kresse. - Krasses Gemisch, aber aromatisch nicht uneingeschränkt beglückend. Für die übertägliche Ernährung hatte mir meine Lieblingsgattin eine Packung Gemüsestäbchen und eine Tupperdose voll Grünzeug vorbereitet. Die Stäbchen sahen lecker aus. - Auf der Verpackung. Als ich sie derselben, in der Vorbereitungsphase zum Mittagsmahl, entnahm, stellte ich dann doch gewisse Unterschiede fest.

Nun gut, sie waren aufgetaut, was die labrige Konsistenz erklärte. Aber unglücklicherweise hatte die Bewegung der Schachtel auf der Anfahrt zum Arbeitsort die einstmals wohlgeformten Produkte ... desintegriert, sodass der Begriff "Stäbchen" was die Treffsicherheit der Bezeichnung anging, nur knapp hinter "Gemüse" rangierte.
Es wäre gelogen, sagte ich, ich hätte derartiges vorher noch nie gesehen. Ich hatte, erst am vorletzten Samstag, als sich mein Kumpel ... hinter der Bar ...
Nein, sowas kann man nicht essen!
Ich begab mich also zur Biotonne und einverleibte mein gescheitertes Gaumenvergnügen dem Kreislauf der Dinge, die (möglicherweise) irgendwann initial ... gelebt hatten. In der Tonne taten das die meisten Teile des Inhalts bereits wieder, weil die - verzögerter Füllgeschwindigkeit geschuldet - seit einer Weile nicht geleert worden war.

Blieb mir Tupper. Ich verzehrte mich nicht nach Gemüse, es aber dennoch mit mäßigem Genuss und einem Putenbrust Steak im großen Saal des Kopfkinos der Begehrlichkeiten. Ich beendete die Vorstellung durch heftiges Schütteln der Vorführungsstätte und strich die Gemüse ... vom Menü. Dann lieber Wiener, vegan, versteht sich.
Ich textete meinem Schatz, sie möge auf dem Heimweg, der sie an einer größeren Anzahl Verkaufsstellen vorbei führte als mich, doch einmal ein Päckchen ... Sie antwortete mit verschiedenen Smileys, erklärte sich aber trotzdem zur Willfährigkeit bereit.

Und da lagen sie dann, bei meiner Heimkehr, die "jetzt noch leckereren" veganen ... Moment! Nennt man etwas, das keine Wurst enthält denn dann noch ... "Wurst"? - Egal, sie lagen jedenfalls da, sahen von außen den Originalen ziemlich ähnlich und versprachen, nicht das Schicksal der Gemüse ... - Lieber nicht dran denken!

Wir verzehrten einen bunten Salat zum Abendessen, was - wie ich später auf YouTube erfuhr - genau falsch war, denn am Abend, so belehrte die schlanke, wohlproportionierte Videobloggerin die Welt, mich inklusive, äße man lieber Eiweiß. Kenntnis genommen und für morgen dann den Shake bereit gestellt. - Für den Abend. Den Morgen würden wir mit Haferflocken in Sojamilch beginnen.

In der Nacht wurde ich von unerwünschter Wachheit überrascht. Ein Geräusch wie das Knarren alter Dielen entriss mich Morpheus' Arm und legte mich mit übermäßig geschärfter Wahrnehmung auf der Matratze zurecht. "Knaaaaarz!" - Mir wurde flau im Magen. Halt! Bei genauerem Hinlauschen stellte ich fest, dass ich an dieser Stelle die Ursache und die Wirkung ...
Klar doch! - Das Knurren kam aus meinem flauen ...
Was tun? Alle siebunddrölfzig YouTuber, deren todsichere Tipps ich perzipiert hatte, schrien in dodekaphonischem Chor: "Niemals nach dem Abendessen ...!"
"Knuuurrrzelknaaaarz!", protestierte - nun auch haptisch - der Magen. Ich erhob mich also, drehte das selbst ausgedruckte YouTube - Logo, das an der Tür wachte, mit dem Gesicht zur Wand und schlich mich der Speisekammer entgegen.

Welch Elysium! - Der Kühlschrank eröffnete mir unter dem imaginären Schall der Fanfahrenklänge aus Kubricks "Odyssee" die Dimension der Magerquarke und körnigen Frischkäse. Blind vor Gier erlegte ich einen der Fettärmsten und weidete den Plastikbecher waidgerecht aus, den wackelnden Zeigefinger des Novizen der Veganerei im mentalen Augenwinkel ignorierend.
Nun schnell noch die Tatortreinigung! Ich versenkte den Kadaver im Sammelsack für werte und wertvolle Stoffe, lappte die auf dem Schrank verteilten Innereien hinfort, die mein brachialer Aufriss des Opfers dort abgelegt hatte - und wankte zufrieden der Schlafstatt zu.

"Mrrglllmrrgll", bedankte sich mein Bauch, ehe er in stiller Glücksseligkeit versank, gefolgt von meinem - zugegebenermaßen ein wenig schuldbedrückten - Bewusstsein. Morpheus umarmte mich aufs Neue, tat so, als wisse er nicht um mein deviantes Tun.

Die nächstmorgendlichen Haferflocken verbanden ihr Aroma etwas gewöhnungsbedürftig mit der Sojamilch, was ihnen allerdings den vollständigen Verzehr nicht ersparte. Zwei Äpfel teilten sich die Dose (Tupper, Größe 3) mit dem Grünzeug für den Nachmittag. Obenauf in meinem Rotkäppchenkorb prangten ... die Wiener-Imitate, beim Verladen ins - leider oder auch trotzig dieselgetriebene - Transportmittel von mir kritisch beäugt.
"Erwarte nichts!", schwallte mir das Mantra aus diesem ... "Gedankenwelt" - Blog durch das Hirn. Leicht gesagt, wenn die solche leckeren "Serviervorschläge" ...

Ich hätte es beherzigen sollen! - Als ich am Mittag den Tresor antizipierter Köstlichkeit eröffnet  und die sechs Kandidaten einer mikrowelligen Präparation unterzogen hatte, den veganen Senf beigesteuert und das erste Opfer dorthinein getunkt, erreichte die Spannung ihren Höhepunkt.
Die fake Wienerhaut knackte verheißungsvoll und ...
"Ääks!" - Selbst das mitessende Auge konnte den Eindruck nicht mildern, ich hätte eben in ein versalzenes Stück feuchten Pappkartons gebissen, was verständlicherweise ein weiteres Zerkauen des ... Dings erfolgreich vereitelte, weshalb der Brei vielmehr meine Mundhöhle fluchtartig zu verlassen suchte, unterstützt vom Magen, der von unten her konvulsivisch für Beschleunigung ...

Als sich der Bauch beruhigt hatte, fügte ich die noch lauernden Verpackungsmittel-Derivate den nun schon leicht abgelagerten Gemüse ... Brei-Leichen hinzu und informierte das Campusmanagement über die dringende Notwendigkeit einer Bio-Leerung.
Anschließend schlenderte ich zur nahegelegenen Pizzeria und gönnte mir und meinen maltraitierten Innereien eine große "Vier Jahreszeiten". - Mit extra Käse.

Seitdem bin ich wieder, was ich immer war, ein Allesfresser, der auch vor einem lebensgroßen ..., gern mit Bio-Gemüse und veganem Reis.


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