Hofgang

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Es ist das erste Mal, dass es seit Tagen wieder so gutes Wetter ist, dass man auf den Hof gelassen wird.
Die ersten Sonnenstrahlen treffen auf meine Haut und ich fühle mich automatisch besser. Neben mir ist Christine, die sich selbst über den beginnenden Sommer freut.

„Endlich kann man wieder raus.", sagt sie und ich nicke.
„Ich hoffe das bleibt so.", höre ich Kelly neben mir sagen während ich Ausschau nach einem Platz halte, wo man sich ungestört setzen kann.

Natürlich ist man nie ungestört. Immer wird man Gespräche oder Geschrei von anderen mitbekommen, da das unvermeidbar ist. Doch man kann es vermindern.
Somit laufen wir weiter, bis wir einen angenehmen Platz gefunden haben, an dem ich mich nun in das Gras lege und in die Wolken starre.

„Ich vermisse mein Zuhause.", fängt Kelly an, doch ich reagiere nicht. Stattdessen tut dies Christine.
„Ich auch. Aber du solltest darüber nicht zu oft dran denken. Das macht es nur noch schlimmer.", entgegnet sie während ich meine Augen schließe und die frische Luft genieße.

Dieser Hof ist etwas größer als der den wir gewohnt waren. Auch der anschließenden Wald war etwas komplett neues, da wir nun nicht mehr auf Beton starren mussten.
„Die können sich ruhig Zeit lassen unser altes Gefängnis wieder herzurichten. Mir gefällt es hier besser.", denke ich nun laut.
„Wieso? Weil der Kerl gestern für ich eingestanden ist? Der sieht ja irgendwie schon gut aus.", kommentiert Christine und ich öffne gespielt misstrauisch ein Auge und sehe zu ihr.

„Was soll das bedeuten?", hinterfrage ich ihren auffälligen Unterton.
„Beweg' deinen faulen Arsch mal an das Gitter, dass uns trennt. Du hast uns gestern eine Ansprache gehalten und ich hab dir versprochen mehr selbstbewusster aufzutreten. Jetzt bist du dran.", antwortet sie und ich verstehe noch immer nicht was sie meint.

Der doppelte Zaun, der uns von den Männer trennt ist an einigen Stellen von beiden Seiten besetzt, da sich einige in der Mensa ausgetauscht haben. Verboten ist es nicht zu sprechen, nur dürfen wir keinen Körperkontakt eingehen.
Ich setze mich auf und sehe in die Richtung in die Christine deutet. „Da. Na los. Ich glaube nicht, dass er hinter uns in den Wald starrt."

Erst jetzt sehe ich den tätowierten Kerl mit tiefer Stimme, der sich einige Meter von uns entfernt auf seiner Seite gegen den Zaun lehnt.
Unverwechselbar starrt er in unsere Richtung.
„Wieso denn auch nicht.", seufze ich lachend und stehe auf.
Grinsend sehe ich in die braunen Augen des noch immer unbekannten Insassen. Auch ich versuche mich locker zu verhalten und lehne mich seitlich mit meiner Schulter an das Gitter, durch das ich ihn ansehe.

„Ausdrucksvolle Tattoos.", merke ich an und deute auf die an seinen Händen. Erst jetzt sah ich das zweite. „FLUT."
„Kann ich nur zurück geben.", entgegnet er und mustert mein Halstattoo, welches sich in Form eines Stacheldrahts unter meinem Kinn bis zwischen meine Brust verläuft, wo es einen Totenkopf umrankt.
„Danke. Die Piercings haben sie uns ja abgenommen. Ich könnte damit ja jemanden töten." Ich zwinkere spaßend und sehe ihn auflachen.

„Ich bin Jonas. Aber alle nennen mich Gzuz, meinetwegen auch Gazo oder Gazi.", stellt sich Jonas mir endlich vor und ich nicke.
„Mika. Nicht mehr und auch nicht weniger.", antworte ich selbst.
„Ich würde dir die Hand reichen, aber das geht gerade nicht.", witzelt er und auch mir schleicht sich ein Lächeln auf die Lippen.

„Wie lange musst du noch?", frage ich interessiert.
„Noch fünf Wochen dann bin ich hier raus. Und wie sieht's bei dir aus?" Jonas verschränkt seine Arme und lehnt sich so an das Gitter, dass er in meine Richtung sieht.
„Nicht mehr allzu lange. Drei Wochen. Ich bin für eine unüberdachte Scheiße hier, die nicht so krasse Strafen mit sich zieht.", antworte ich und denke an die Schlägerei, bei der ich zwei Tussen meines Alters bewusstlos geschlagen hatte.
In meiner Rage hatte ich die Sirenen des Polizeiwagens nicht gehört und war die Erste, die in Handschellen abgeführt wurde.

Jonas stellte die Frage nach dem „Warum" nicht. Insgeheim dankte ich ihm dafür. Ich mochte es nicht über meine Charakterschwächen zu reden und so schien es auch ihm zu gehen, denn nun lenkte er von Thema ab.

„Uns wurde nichts gesagt, als wir aus unseren Zellen geholt wurden. Die Wixxer geben uns weniger Platz zum Leben und wollen uns nicht mal den Grund dazu sagen.", kommentiert er und beobachtet die vielen anderen Insassen, die sich mit den neuen Ankömmlingen belebt unterhalten.
„Wurde uns auch nicht. Bis wir dann von außen das brennende Gebäude sahen.", füge ich hinzu.
„Wie ist's entstanden? Gab's verletzte?" Ich sehe zu Jonas während ich fragend die Schultern hebe.

„Wir wissen genauso wenig. Es wurde uns nur das Wichtigste mitgeteilt. Ansonsten haben wir hier drin ja keinen Wert." In meiner Stimme schwingt Hass mit, den ich zu unterdrücken versuche.
„Ich weiß. Diese korrupten Bastarde machen uns oft genug das Leben schwer. Aber euer kurzfristiger Aufenthalt hier scheint bei den meisten auf Gefallen zu treffen."
Ich sehe durch die Gitter zu ihm und mustere seine tätowierten Arme. „Es scheint wohl so." Mit einem bewusst ironischen Ton drücke ich mich vom Gitter weg und greife mit meinen Händen zwischen die Drähte. „Ich muss mich wohl noch bedanken. Ich glaube die Situation heute Morgen wäre anders ausgegangen wenn du Blondie nicht vertrieben hättest."

Auch Jonas ahmt nun meine Position nach und ein Grinsen ziert sein Gesicht. „Gern. Niemand kann den leiden. Der wurde schon ein paar mal übel zugerichtet. Auch im Gefängnis gibt es bestimmte Grenzen. Wer diese überschreitet hat hier drin ein verdammt schlechtes Ansehen."
„Ich glaube dein Ansehen hier drin ist gar nicht mal so übel." Ich nicke mit dem Kopf in Richtung seiner Kumpels, die auf einer Bank sitzen und manchmal einen Blick zu uns werfen.

„Hast du wohl richtig gesehen. Das ist meine Bande. Manche kenne ich von außerhalb. Man kann es kaum glauben, aber auch hier drin kann man Freundschaften mit den richtigen Leuten schließen. Wer diese sind muss man nur noch herausfinden."

„Jeder braucht Freunde. Hier drin mehr wie nie." Auch ich blicke kurz hinter mich und erkenne Kelly und Christine, die in ein Gespräch verwickelt sind.
„Du scheinst bei ihnen die Hosen an zu haben, hm?", vermutet Jonas und ich nicke wieder in seine Richtung.
„Irgendwer muss das ja tun."

Im Hintergrund ertönt das Signal, welches uns informiert, dass die Hofzeit vorbei ist.
Jonas sieht mich durch die Gitter mit einem durchdringenden Blick an, dem ich standhalte.
„Man sieht sich morgen wieder.", sagt er ohne den Blickkontakt abzubrechen.
„Man sieht sich morgen.", erwidere ich, bevor wir uns von den Gittern entfernen und ins Innere des Gebäudes gehen.

Hinter Gittern (momentan pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt