Besucherzeit

1.9K 68 5
                                    

Ungeduldig wippe ich mit meinem Fuß auf und ab. Mike hatte schon eine viertel Stunde Verspätung und ich hatte langsam keine Lust mehr auf ihn zu warten.
Alleine der Gedanke an unser letztes Aufeinandertreffen macht mich wieder wütend. Wie konnte er mir bloß etwas so offensichtliches verheimlichen wollen. Es war mir klar, dass ich ihn heute damit konfrontieren würde.
Ob ihm dies gefallen würde war mir Jacke wie Hose. Oder wie Mok sagt Flasche wie Dose.

Ich sehe das Telefon in meiner Hand an und habe den plötzlichen Drang jemanden mit dem damit verbundenen Kabel zu würgen. Eine viertel Stunde unserer kostbaren Zeit ging drauf weil Mike sich nicht blicken ließ. Das war ja mal wieder so typisch.

Gerade als ich aufstehen will, öffnet sich der Raum zu der Halle und ich kann im Augenwinkel Mike erkennen, der von einem Wärter nun zu meinem Sitzplatz geführt wird.

Stillschweigend setzt er sich und nimmt das Telefon ab. Auch ich hebe meines nun wieder an mein Ohr und warte geduldig bis er die ersten Worte spricht.

„Hey." Seine Stimme ist unsicher, doch auch Desinteresse schwingt mit. Mittlerweile glaube ich, dass alles was von unserer Beziehung auf seiner Seite übrig geblieben ist Enttäuschung ist.
„Hey. Schon mal auf die Uhr geschaut?" Ich bin erstaunlich ruhig als ich die Worte ausspreche.
„Ich stand im Stau. Es ging nicht schneller."
Ich nicke und versuche Verständnis zu zeigen, doch das Misstrauen ist immer noch da.
„Das mit letztem Mal tut mir leid. Ich hab überreagiert. Ich hätte einfach den Schal ausziehen können um dir zu beweisen dass alles gut ist.", fährt er fort doch es macht die ganze Sache nicht besser.

„Es ist so einfach das zu sagen, wenn es vor einer Woche war und man nun die Beweise nicht mehr sieht. Nur das Problem ist, dass ich den Knutschfleck da noch sehe." Ich zeige auf seinen Hals und sofort bricht Panik in ihm aus. Verwirrung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Wahrscheinlich hatte er zuvor im Spiegel gecheckt ob nichts zu sehen war.

„Hör zu, ich kann das alles erklären. Es ist nicht so wie du denkst ..." Da sind sie wieder. Die zwei Standardsätze. Innerlich schalte ich ab und überlege wie ich am besten aus dieser Situation umgehe wenn ich aus dem Gefängnis komme. Schließlich sind wir zusammen. „ ...es war nix ernstes, du kannst mir glauben."

Ich hatte Mike nicht zugehört und war darüber auch froh. Es tut so oder so schon weh so etwas zu hören. Erst jetzt sehe ich ihn an. Er war näher an das Glas gerutscht und hält nun seine Hand an die Scheibe.
Ich rutschte ebenso näher und sah ihm in die Augen.
„Kannst du mir verzeihen? Ich konnte es nicht ändern, wirklich.", fragt er beinahe flehend, doch sein Gesichtsausdruck gleicht nicht seinen Worten.

Ich weiß nicht wovon er spricht, da ich nicht zugehört hatte, doch ich weiß was ich antworten muss.

„An deinem Hals ist nichts. Gar nichts zu sehen. Aber danke für die ehrlichen Worte." Ich halte meinen Stinkefinger ans Glas und stehe sofort auf, um das Telefon in die Halterung zu hängen.

Ich kann Mike noch gestikulieren sehen, was bedeuten soll dass ich mich noch einmal hinsetzen soll und mit ihm rede. Doch seine verzweifelten Versuche sind zwecklos. Ich drehe mich zu dem Wärter und sage ihm, dass ich bereit zum gehen bin.

Wortlos nimmt dieser mich mit und bringt mich auf meine Zelle.

„Was ist los?" Christine sieht mir sofort an, dass nichts so gelaufen ist wie es sollte.
„Er betrügt mich, das ist los.", sage ich so monoton wie es mir möglich ist. Ich fühle mich belogen und ausgenutzt. Aber im Knast darf man keine Gefühle zeigen. Niemals.
„Verdammt, dieser Wichser.", höre ich Katy sagen, die auf ihrer ... naja Matratze, die als Bett dient, liegt.

„Ich weiß. Aber lasst uns nicht darüber reden, ok? Keine Lust diesem Affen noch mehr Aufmerksamkeit zu geben, die hat der nicht verdient." Genervt lege ich mich auf meine Pritsche und starre auf die Betondecke über mir.
Was ein scheiß Tag.

„Schönes Wetter. Ich hoffe das hellt die Stimmung auf.", versucht Christine verzweifelt meine Laune zu heben.
Ich bin von außen gesehen weder traurig noch genervt. Ich bin einfach stumm und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie es in mir aussieht. Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht, die zeigen dass jede kleine Schwachstelle in deiner Persönlichkeit dir im Knast die Stellung kosten können.
„Vielleicht.", gebe ich deshalb als Antwort und versuche nicht weiter darauf einzugehen.

Ich sehe mich auf unserem Hof um. Es ist wie immer. Die Gruppen sitzen unter sich und wollen in keinster Weise gestört werden. Viele gehen „spazieren", da es in unseren Zellen so eng ist, dass man jeden Quadratmeter ausnutzen muss. Andere wiederum sitzen vereinzelt und versuchen sich durch einen weiteren Tag hinter Gittern zu boxen.

„Ich denke wir können uns gleich verziehen, Katy.", sagt Christine nun in einer vergnügten Stimme und ich sehe sie verwirrt an.
„Wieso?"
„Du weißt genau wieso." Sie deutet an das Gitter, dass uns von den männlichen Insassen trennt. Als ich in die Richtung schaue, wird mir schnell klar wieso.

Gazo lehnt am Gitter und sieht zu uns hinüber. Als er bemerkt, dass auch wir ihn erkannt haben, winkt er mir unauffällig zu.

„Seid ihr sicher?", frage ich Christine und Katy noch einmal. Nach meiner Begegnung mit Mike bin ich nicht gerade die Spaßkanone.
„Wir sind uns sicher. Zeig deinem Scheiß-Freund da draußen dass du ihn nicht brauchst. Du musst schlau sein Mädchen, du musst ihn da treffen wo es ihm am meisten weh tut. Und das ist seine nicht vorhandene Ehre. Nimm' sie ihm." Ich sehe Christine erstaunt an und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

„Das hast du jetzt nicht ernsthaft gesagt.", sage ich lachend und ziehe eine Augenbraue nach oben.
„Du hast gesagt ich kann mich nicht immer klein machen. Also darfst du das jetzt auch nicht.", entgegnet sie siegessicher.

Ich nicke beiden zu. „Okey. Aber erhofft euch daraus nichts großes. Das solltet ihr immer im Hinterkopf behalten."
Ohne eine Antwort zu erwarten drehe ich mich um und laufe in die Richtung des Gitters an dem Jonas noch immer lehnt.
Ich kann sein verstohlenes Grinsen schon aus dieser Entfernung erkennen und fühle mich schon um einiges besser als zuvor.
Es ist ein unheimliches Gefühl, doch kaum höre ich seine unverkennbare Stimme, sind meine Sorgen schon längst in den Hintergrund geraten.

„Neuer Tag neues Drama? Du hast diesen Blick drauf der nichts Gutes verheißt."
Na toll ... selbst er sieht es mir an.

Hinter Gittern (momentan pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt