1. Kapitel

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Ich saß an meinem Schreibtisch und war kurz vor dem Verzweifeln. Wieso mussten die Lehrer denn immer so viele Hausaufgaben gleichzeitig aufgeben? Konnten sie das nicht besser verteilen? Ich verstand einfach nicht, wieso die Lehrer nie etwas vernünftig einteilen konnten. Wochenlang standen keine Schulaufgaben oder sonstige Tests an und dann kamen innerhalb zwei Wochen gleich fünf Schulaufgaben. Den Sinn dahinter hatte ich bis jetzt noch nicht verstanden, obwohl ich bereits zehn Jahren in die Schule ging. Naja. Seufzend widmete ich mich nun meinen Mathehausaufgaben. Alles andere hatte ich bereits erledigt. Jetzt 'nur noch' vier Matheaufgaben. Rechnen mit Logarithmus. Wie ich dieses Thema hasste. Meine letzte Stegreifaufgabe fiel dementsprechend katastrophal aus. Ich hatte irgendwie neue Regeln erfunden. Leider gefielen sie meinem Mathelehrer nicht.

Nach einer dreiviertelten Stunde war ich dann endlich mit den Hausaufgaben fertig. Erschöpft lehnte ich mich auf meinem Bürostuhl zurück und atmete aus. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es bereits kurz vor 18.00 Uhr war. Zum Glück wurde es zu dieser Jahreszeit noch nicht so früh dunkel und so beschloss ich, noch einmal einen kurzen Spaziergang durch den Wald zu machen.

Kaum trat ich aus dem Haus, da fühlte ich mich schon freier von den ganzen Hausaufgaben. Ich trabte den Weg in Richtung Wald entlang und meine Gedanken wanderten wieder zu dem Jungen mit den wunderschönen Wimpern. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich spürte die ganzen Schmetterlinge in meinem Bauch umher flattern. Ob ich ihm schon aufgefallen war? Das wäre so himmlisch! Naja, ich war jetzt einfach glücklich, dass ich die Hausaufgaben fertig hatte.

Leichtfüßig betrat ich den Wald. Endlich raus. Die letzten Wochen hatten genug Stress mit sich gebracht. Vor allem die Schule. Und dann auch noch der Umzug. Wir waren vor drei Wochen 500 km weit mit dem Auto hierher gefahren. Das meiste von unserem Gepäck hatten wir bereits im Vorraus geschickt. Aber die größte Schwierigkeit war, dass ich in der Schule noch keine Freunde hatte. Obwohl ich eigentlich sonst kein Problem damit hatte, andere Gleichaltrige anzusprechen, gelang es mir an dieser Schule nicht. Es waren zwar alle nett zu mir, aber richtig dazu gehörte ich noch nicht. Dazu kam, dass dieser Junge mit den schönen Wimpern auch in meiner Klasse war. In seiner Gegenwart bekam ich keinen Ton mehr heraus! Meine Knie wurden weich, als ich letzte Woche mit ihm und noch zwei weiteren Schülern eine Gruppenarbeit machen musste. Er ist einfach zu süß. Aber er wird mich nie bemerken, dachte ich enttäuscht.

Ich ging immer weiter in den Wald hinein und achtete nicht darauf, wohin ich ging. Das war ein Fehler. Denn auf einmal krachte ich mit meinem Kopf gegen einen Baum.

Mir wurde schwarz vor Augen.

"Hallo?", hörte ich dumpf eine Stimme.

Anhand der tiefen Stimmlage schloss ich daraus, dass es sich um einen Jungen handelte. Aber wer war es? Mein Bruder schon einmal nicht. Da war ich mir ganz sicher, denn er war erst kürzlich in den Stimmbruch gekommen, was auch nicht zu überhören war.

"Hey, du! Hörst du mich?", fragte dieselbe Stimme wie vorhin.

Ach ja, richtig, ich sollte vielleicht mal die Augen öffnen und etwas sagen. Vorsichtig öffnete ich die Augen und bekam einen riesen Schreck.

Es war der Junge mit den wunderschönen Wimpern!

Hilfe! Was sollte ich denn jetzt tun? Ich bekam doch keinen Ton raus. Und wenn doch was kommen sollte, dann garantiert nichts vernünftiges. Dass ausgerechnet mir so etwas passieren musste. Musste ich ihm ausgerechnet in einem solchen Moment begegnen? Das war mir so peinlich.

"Alles okay?", unterbrach mich der Junge aus meinen Gedanken.

"Ich...ich weiß nicht", stotterte ich, unfähig mehr zu sagen.

Der WimpernschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt