3 - Tommileinchen

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Heute Nacht, in welcher ich vor dem Einschlafen an meine eigentlich doch schönen Vergangenheit als Rosa - Brillen - Halterin dachte, träumte ich von Felie.

Ich träumte oft von Felie. Von Ihren und meinen Abenteuern.

Aber dieser Traum war anders...

Ich träumte, dass Felie verunglückt ist. Der Grund ist unwichtig, in meinem Traum wusste ich es nicht,  ich wusste nur, dass Felie tot war. Im Traum fing ich an zu schreien, zu weinen, ja, ich bekam keine Luft mehr vor Trauer.  In meinem Traum sah ich sie ganz still vor mir liegen. Ich berührte sie erst ganz vorsichtig, rief sie dann leise, ungläubig,  nahm Felie in den Arm. Sie war kalt. Hilflos, so schwach. Das war zu viel. Ich rief ihren Namen immer lauter, von Schluchtzen begleitet, ich brüllte ihren Namen. Ich merkte ein Gefühl in diesem Moment so stark, als würde ich es hier und jetzt erleben: auf einmal wusste ich, wie viel ich gerade verloren hatte. Ein Schatz, für den ich mehr als das Universum geben würde.

Doch Etwas ist noch stärker, noch mächtiger als das Universum: Zeit. Sie nimmt einem irgendwann alles, aber wenn man genau hinschaut, gibt sie einem so viel. Man muss es nur entdecken.

Dadurch, dass es Leben und Tod gibt, wird das Leben geschätzt, geliebt, gelebt. Man lernt die Liebe zum Leben. Dadurch ist die Furcht zum Tod entstanden.

Jedoch ist der Tod kostbar, ein Geschenk, dass vielleicht nicht jedem gegeben ist. Für jene ist das Leben eine Qual: sie sind daran gebunden wie an die Ewigkeit. Da es den Tod nicht gibt, können sie das Leben gar nicht schätzen.

Der Tod ist ein Geschenk, er ist nichts anderes als die Trennung der Seele vom Physischen Körper. Irgendwann wird jeder, dem der Tod vorherbestimmt ist, ihn erreichen.

Doch was ist, wenn er zu früh da ist? Wenn man seine Aufgabe im Leben noch nicht erledigt hat? Wenn man einfach aus einer Welt in die andere gerissen wird, sich nicht verabschieden konnte? Erst nachdem dieses Wesen gegangen war und nie mehr wiederkommen wird, allein gelassen wurde,  ohne Vorbereitung,  merkt man unter Tränen erst, was dieses Wesen ausgemacht hat, was es bedeutet hat, was es geleistet hat, was die Zeit einem weggenommen hat.

Aber wenn man genau hinschaut, wird man mit der Zeit merken, mit was es dieses einmalige Wesen ersetzt hat... Ausgetauscht... Damit das Wesen vergessen wird... Denn: Die Zeit muss immer weitergehen. Um so schlimmer für dich.

(Ich rede von einem Wesen, da ich nicht Mensch sagen will. Es gibt Tiere, welche liebenswerter sind als die engsten Verwandten. Ich will in diesem Fall nicht nur von Felie sprechen,  dieser Fall trifft genauso auf alle anderen geliebten Lebewesen in unserem Leben zu.) 

Die Tränen vergingen , aber das Gefühl, Felie nicht verlieren zu wollen, blieb. Ich wollte sie nicht verlieren! Ich versuchte, mir vorzustellen, was ich verlieren würde, wenn Felie sterben würde. Das Ergebnis war erschreckend.

So erschreckend, dass ich Felie am nächsten Tag völlig niedergeschlagen besuchte. Als ich sie in der Tür stehen sah, fing ich vor Freude ganz leise an zu weinen. Doch dann geschah ein Wunder: Felie, die sonst immer auf Distanz blieb und nur spielerisch mit Witz näherkam, umarmte mich. Ganz fest.

"Lilly."

"Felie."

"Was ist passiert? Hat jemand dir wehgetan?"

Sowas fragte Felie immer. Bei gewöhnlichen Mädchen,  die,  mit denen sie so gut wie nie zu tun hatte. Vor ein Paar Wochen wäre ihr nie in den Sinn gekommen, sowas zu mir zu sagen.

"Ja... Ja, jemand hat mir wehgetan."

"Wer ist es gewesen?"

Früher hätte sie mich gefragt, was mir getan wurde. Dann hätte sich der Rest meist von selbst geklärt und sie hätte das Problem, wenn nötig, auch mit Gewalt,  gelöst.

"Es ist ein Teekännchen", versuchte ich (eben spielerisch) zu erklären,

"Es tut mir immer noch weh. Das geht schon seit Urzeiten so..."

Ich kannte Felie schon seit der Krippe....

Ich stotterte weiter:

"...und niemand von den Beteiligten tut irgend etwas dagegen. Wir haben beide unsere Schulden noch nicht gegenseitig beglichen, das Teekännchen schuldet mir noch so viele Entschuldigungen. Jeder weiß, Schulden verspätet nachkommen zu lassen, kommt nicht gut. Und so war es auch beim Teekännchen. Die fehlenden Entschuldigungen haben Verständnislosigkeit in mir hochkommen lassen. Daraus entwickelte sich dann fieser Hass, welcher mich zu Gerüchten und ausgesprochenen Fehlern und Geheimnissen des Teekännchens trieb. Ich habe die Bedeutung der Person immer weiter herabgesetzt,  bis sie mir nichts mehr wert war, nur noch als lästig galt",
brach es aus mir heraus.

Ich hatte noch nie in so einem Wortschwall geredet, meistens stottere ich nach den ersten fünf Wörtern hilflos vor mich hin. Ich weiß nicht, was mich dazu getrieben hat, so philosophische Einlagen mit einzubauen. Aber vielleicht,  gott helfe, verdammt, ist sie ja so nett, um sich selbst zu 'erraten'(an ihrer Intelligenz muss niemand zweifeln, Felie und ich sind hochbegabt) und die damit verbundene Entschuldigung auszusprechen.

"Tjaja, zu jeder Lösung ein Problem...", kam es grimmig von Felie.

"...Das übertrug sich auch auf seine und meine Mitmenschen. Ich bin sozusagen schuld daran, dass das Teekännchen unbeliebt ist..."

Ernsthaft, Leute,  ich bin echt stolz auf mich, dass ich es geschafft hatte, meine Gedanken endlich mal in Worte zu fassen.

Ach, schau an, Felie sieht aus, als wäre sie zu knauserig, mit der Entschuldigung rauszurücken.

Ach was, Felie weiß doch immer, was für sie am Besten ist.

Denkst du jedenfalls.

*

Das erste mal in meinem ganzen Leben war ich echt sauer auf Lilly. Erstens kam, wie sie ja schon gesagt hatte, die Entschuldigung VON IHR zu spät!
Habt ihr es gehört?? Nach dem sie das alles zugegeben hat? Das kleine Wörtchen Entschuldigung?! Nein! Habt ihr nicht!
Wieso sollte ich mich dann entschuldigen?! Ich glaube, Lilly und ich reden ab uns vorbei. Schlimmer noch, Lilly muss verrückt geworden sein!

In Wirklichkeit bist du verrückt.

Klappe, VGM! Lilly würde doch niemals so auf 'dünnem Eis' herumhacken! Sie weiß selbst, wie gefährlich das bei mir ist.

Wenigstens ein klitzekleines Bisschen? Verrückt sein ist toll! Sonst hättest du gar keine Gesellschaft von mir!

Stinksauer warf ich ihr gespielt freundlich und unschuldig an den Kopf: "Ich glaube,  das Teekännchen könnte
vielleicht...

eventuell...

höchstwahrscheinlich...

gaaanz bestimmt...

dein Tommileinchen sein."

Mit diesen Worten schmiss ich die Tür vor ihrer Nase zu und verriegelte von innen doppelt. Man weiß ja nie. 

Halloooo??? Kein Rückkommentar?

Verpiss dich. Dich hat in den letzten 10 Sekunden niemand vermisst.

Pah.

*

Mein Tommileinchen. Aha. Da seh ich meine beste Freundin einmal wieder und will, dass alles wieder beim alten bleibt und sie knallt mir die Tür vor der Nase (und Leute, ich meine wirklich vor der Nase: habe jetzt blauen Fleck mitten im Gesicht!!) und kommt mir dann noch mit Tommileinchen...

Mein Tommileinchen. 
Immer noch.
Ich liebe ihn immer noch.

Nur leider beruht das nicht auf Gegenseitigkeit.

Das Leben ist rosaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt