11 - Vor den Probetagen

9 0 0
                                    

Was tut man, wenn man unberechenbaren Meistern der tötenden Blicke im einzelnen und den Mächten der großen Felie im Besonderen gegenübertreten möchte? Genau!

Man telefoniert Stunden mit Sissi und redet über die Vor- und Nachteile (besonders die Nachteile!) über das Mädchensein und tröstet den jeweils anderen mit angeblich utopischen unglaublichen mega wirksamen wundervollen super tollen Tipps, und und merkt dann nach dem Telefonat, dass man den eigentlichen Grund des Anrufes, nämlich den Plan Felie-ein-für-alle-Mal-fertig-machen vergessen hat.
Tja. Passiert öfters.

*

Ich wartete auf den Bus und tippte angespannt mit der Spitze meines Ballerinas auf den Boden. Zwangsweise versuchte ich mir die Zeit zu vertreiben. Ich zählte gleichzeitig, wie oft ich atmete und mit der Fußspitze auf den Boden tippte, bis der Bus kam. 136 Mal und 45 Mal. Wow. Dann dachte ich an Finn und in welchem Auftrag ich hier in diesem Bus saß. Natürlich nach meinem Auftrag (War ja klar). Der Plan war, seine vergangenen/jetzigen Gefühle zu Lilly zu analysieren, um sie ihm dann auszutreiben. Ich meine, gut, ich bin seine beste Freundin, aber genau deshalb muss ich sie ja aus seinem Kopf kriegen. Sonst wird er noch verrückt. Und ja, vielleicht spreche ich aus eigener Erfahrung...
Hehe.
Der Bus schwankte. Prompt würde mir übel. Zum Glück musste ich die nächste Haltestelle aussteigen. Als ich den STOP- Knopf drücken wollte, kam mir jedoch ein jüngerer Mann, geschätzt um die 20, zuvor. Er hatte gepflegte, schwarze Haare, welche in eine (so leid es mir tut) mega sexy Frisur geschnitten waren. An seinen Wangenknochen erkannte ich einen leichten Zweitagebart. Seine Augen, mit denen er gerade den STOP- Knopf fixierte, schienen in dem Licht des späten Nachmittags fast Bernsteinfarben. Aber auch nur fast.
Ich schubste ihn mit der Hüfte grob zur Seite und drückte selbst noch einmal drauf.

Er pfiff leise durch die Zähne.

Als der Stoppknopfdrücker sich in die entgegengesetzte Richtung, zum Aldi, aufmachte, entspannte ich mich sichtlich. Jetzt konnte ich endlich über mein Vorhaben mit Finn nachdenken. Langsam ging ich den Radweg entlang. Ja, ihr lest richtig. Den Radweg. Ich finde, es fühlt sich so viel besser an, auf dem roten Streifen des Radweges zu stolzieren, als auf dem ausgelatschten, mausgrauen Fußgängerweg zu gehen. Radwege gehen sich für mich wie auf einem roten Teppich. Meine Gedanken schweifen zum (hübschen) Stoppknopfdrücker zurück. Er war so anders als die Leute aus meiner Schule. Die wollten mir meine Gesellschaft, weil ich Pläne, Schönheit und Geld hatte. Und, weil ich ihnen Schutz bot. Wenn jemand ihnen an die Wäsche wollte, musste er erst an mir vorbei. Und mit meinen Kung-Fu-Künsten und dem altbekannten Killerblick erschwerte ich es ihm erheblich.  
Wenn man den oben genannten Mr. Perfect und Finn vergleicht, würde nach längerem hin und her in so ziemlich allen Kategorien Mr. Perfect alias Stoppknopfdrücker gewinnen. Außer vielleicht in Kategorie "Dummheit". Da ist Finn unschlagbar.

Vor lauter Überlegungen über Finn (und Mr. Perfect) lief ich beinahe an seinem Haus vorbei. Ich drehte eine unauffällige Schleife auf dem Bürgersteig, wobei ich bedauerlicherweise auch einen Teil des grauen Fußgängerweges betreten musste. Aber was tut man nicht alles für... Äh. Für was auch immer.

Nach dem dritten Klingeln hörte ich endlich Schritte vor der Tür, bis mir ein todernster Finn gegenüberstand.

"Hey, Finniboy."

"Hallo. Fass dich kurz."
Geschockt über seine Reaktion richtete ich mir schnell meine Haare, um die Überraschung in meinen Augen zu verbergen. Das kann doch wohl nicht wahr sein!

"Finn?! Bitte. Lass. Mich. Rein!"

"Komm."
Er führte mich in die Küche. Früher wären wir um jeden Preis in sein Zimmer gegangen, einfach, um die Zeit zu nutzen und zu zocken. Danach wären wir erst irgendwann mal auf den Anlass meines Besuches gestoßen. Doch heute war irgendwie alles anders.

Als Finn sich gesetzt hatte, fing er direkt an: "Was hältst du davon, dass sie wiederkommt?"

Ich brauchte gar nicht nachdenken. Er sprach das "sie" genau so sanft aus, wie ihren Namen. Lilliet. Lilly. Es war unüberseh- und hörbar, dass er in sie verliebt war. Immer noch. Nach einem geschlagenen Schuljahr! Wieso kann er nicht einfach los lassen und von neu beginnen?!

Wieso kannst du es nicht?!

Klappe.
Lilliet hatte mir ja verkündet, dass sie wiederkäme. Ich wusste nur nicht, wann.

"Es interessiert mich nicht. Ich habe ganz vergessen, wer sie ist.", sprach ich plötzlich die Wahrheit aus. Wieso?! Wieso sagte ich IHM die Wahrheit? Er hätte sie gar nicht verdient. Jedoch - zu spät. Gesagt ist gesagt.

Aber Finn schaute mich nur, ohne zu blinzeln, mit seinen Schokoaugen an.
"Das dachte ich mir.", murmelte er und lächelte dabei fast. Diesen Blick kombiniert mit diesem Lächeln sah in nicht oft. Mein Bruder setzte ihn manchmal auf, wenn er sein Motorrad ansah. Oder wenn meine Mom meinen Dad ansah.

Der heiße Blick der Liiiiiiiiiiebe.... Hach!

Doch der Blick von Finn war nicht auf mich gerichtet. Nicht mal annähernd. Er war auf die Treppe gerichtet. Zum ersten Mal bemerkte ich das Tapsen von nassen Füßen über uns. Und - oh nein! Was, wenn Finns Haare gar nicht gegelt waren, sondern nass? Das würde auch die lange Wartezeit vor seiner Tür erklären...

Da! Unverkennbar. Zwei Füße tappten langsam die Treppe herunter. Die dazugehörigen Beine glänzten frisch rasiert und waren durchtrainiert und lang wie die einer Giraffe. Nun konnte man den Ansatz eines kleinen, weißen Handtuchs erkennen, welches kaum den Hintern der Person bedeckte. Langsam erstreckte sich der Blick auf den flachen Bauch, welcher unter dem Handtuch verdeckt war. Eine kleine, zarte Hand hielt das Handtuch über ihrer Oberweite zusammen. Das Handtuch sah so fragile aus, als ob es gleich aus ihrer Hand rutschen würde.

Ich konnte es nicht länger aushalten und warf mit Schwung meinen Kopf zu Finn herum, sodass meine Haare nur so flogen. Doch Finn hatte nur Augen für sie. Leise stand ich auf. Ich wollte hier raus. Darauf war ich nicht vorbereitet. Der Drang, sich noch Mal zu ihr umzudrehen, war zu groß.
Rote Locken.
Ich wusste es.

Freitag. 6 Uhr aufstehen. Sich mit Concealer die Sommersprossen überschminken und die deprimierende Namensgebung des Freitags verfluchen. Wie immer eben.  Dann noch schnell den Bus verpassen, um dann zwangsweise das Rad nehmen zu müssen und dabei festzustellen, dass Dieses einen Platten hat. Wie jeden Freitag eben.
Da mein Fahrrad sich als fahruntauglich erwiesen hat, nahm ich den nächsten Bus und schwänzte die erste Stunde. Was ich lieber hätte nicht machen sollen. Denn genau in dieser Stunde kündigte meine Klassenlehrerin die Probewoche von Lilly an, und, da ich seit Lillys Wechsel keinen wirklichen Kontakt mehr zu den Schülern meiner Klasse habe (was genau betrachtet auf jeden Fall mehr Vor- als Nachteile hat), fand ich das erst heraus, als sie nächsten Montag, pünktlich zur ersten Stunde, auf der Matte stand.

Das Leben ist rosaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt