2. Der Wille der Götter

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  Die Götter bestrafen einen, wenn man sie innerhalb dieser Mauern lästert? Das ist lächerlich und trotzdem huste ich mir gerade die Seele aus dem Leib. Ich musste bereits brechen und mein Magen ist leer. Der Husten hörte allerdings nicht auf. Ich bekam kaum Luft und hielt meine Hände an meinen Hals. Mein Gesicht war sicher schon blau. Mira, die bis gerade versuchte mir auf den Rücken zu klopfen, damit nichts im Hals stecken blieb, hörte auf und rannte zur Tür: „Benedict!", ihre Stimme war laut. „Greta, Hannah! Los holt den Doc!".
Ich hustete weiter. Es hörte nicht auf und ich merkte, wie mir langsam schwarz vor Augen wurde und ich zurück sackte. Da spürte ich eine kalte Hand an meiner Schulter. Ich sah auf und die vollen Lippen, eines Mädchens, bewegten sich. Aber ich hörte nichts. Ihre Augen waren bedeckt von einem weißen Tuch, das Gesicht war zierlich und schmal.
Ich spürte wie sich der Druck in meinem Magen und meiner Kehle löste und ich atmete tief ein. Nach Luft ringend fragte ich: „Wie hast.. du das... gemacht?". Das Mädchen hatte ein herzliches Lächeln aufgesetzt und das freundliche Gesicht, welches von engelsgleichen, blonden Locke umrandet wurde, richtete sich zu mir: „Ich habe gebetet.", ich war verwirrt und sah dann Mira fragend an.
Wieso hatte sie es nicht auch direkt mit beten versucht und als ob die alte Dame meine Gedanken lesen konnte antwortete sich auch schon: „Ich habe auch gebetet! Aber einige Menschen haben halt eine intensivere Bindung zu den Götter.", ihr Blick lag auf dem blonden Mädchen. In Miras Blick konnte ich keine Abneigung gegen das Mädchen erkennen, nein ganz im Gegenteil die alte Frau bewunderte das junge Mädchen, das es schaffte, was sie selbst nicht zu vollbringen mochte.
„Ich verstehe das ganze nicht.", gab ich ehrlich zu. Ich war die Anwesenheit so vieler netter und herzensguten Menschen nicht gewohnt. Es ließ mich unbehaglich fühlen.

Ich sah das Mädchen mit dem Tuch vor den Augen genauer an. Sie war nicht gerade groß. Wahrscheinlich in meinem Alter maximal zwei Jahre älter. Ihre Gestalt war zierlich und sie wirkte zerbrechlich. Blondi nahm meine Hand in ihre. Ihre Hände waren kalt aber weich. Nicht so wie meine, dessen Knochen einen beinahe stachen. Ich sah sie fragend an. „Mach dir keine Sorgen. Es wird alles Gut werden. Das die Götter dich auf meine Bitte hin gerettet haben, heißt, dass sie noch etwas mit dir geplant haben. Ich werde dich unterstützen. Ist das in Ordnung für dich?", ihr herzliche Art ließ mich schlucken. Von was sprach sie da? Die Götter sollen Pläne mit jemanden so nutzlosen wie mir haben? Nein das konnte ich nur schwer glauben.
„Bedeutet das ich kann hier bleiben?", fragte ich zögernd. Ich hatte Angst hier weg zu müssen, seitdem Rupert mir noch einmal sagte was ich fühlte. Ich war nutzlos.
Das Mädchen lachte mit heller Stimme und es klang wie ein Glockenspiel: „Natürlich kannst du das! Die Götter wollen, dass du lebst, sonst wärst du doch sicher schon dort draußen", sie zeigte mit einer Hand in eine willkürliche Richtung: „umgekommen. Du hast es geschafft zu leben!", ich nickte, auch wenn ich mir nicht sicher war ob sie das sah.

Blondi hatte Recht. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum ich das alles da draußen überlebt habe. Ich bin von Kindesalter an alleine umher gewandert. Durch die gefährlichen und verpesteten Gegenden. Ich habe die Dämonen-Seuche überlebt. Ich habe den Hunger und den Durst überlebt. Meine Beine haben mich ohne Kraft zu haben getragen, nur um dann vor den heiligen Mauern zu versagen. Ich bin hier aus einem Grund. Ich stimmte ihr zu. Aber war es wirklich der Wille der Götter? Oder war es mein Schicksal? Karma? Oder war das alles vielleicht wirklich nur reines Glück und ein Zufall?

„Ich..", ich stotterte, doch holte ich noch einmal tief Luft. „Ich kann nicht glauben, dass die Götter jemanden wie mich für etwas gebrauchen können. Ich kann nichts.". „Armes Mädchen. Wir werden etwas finden was du kannst. Da bin ich mir sicher! Ich bin übrigens Rose.". Der Name passte zu ihr. Während dem Gespräch mit Rose und der Auseinandersetzung mit mir selbst, in meinen Gedanken, habe ich nicht gemerkt, dass Benedict wieder in den Raum getreten ist.
Der große, alte Mann hat und stillschweigend beobachtet. Als er bemerkte, dass mein Blick auf ihm lag, schob er ein metallisches Gestell zu mir. Daran hing ein Plastikbehälter mit etwas flüssigen im inneren. „Ihr Arm, Kiara.", forderte er. Ich fragte nicht und streckte meinen linken Arm zu ihm. Benedict legte sie dann sanft auf meinen Schoß. „Wissen Sie was ich vor habe?", ich schüttelte den Kopf und er redete weiter: „Das hier in dem Beutel, ist ein Gemisch aus dem was Ihrem Körper fehlt aber jetzt dringend braucht. Da Sie gerade keine Nahrung zu sich nehmen können, werde ich Ihnen eine Nadel in eine Arterie Ihres Armes stechen. An dieser Nadel befindet sich ein Schlauch der mit dem Beutel verbunden ist. Diese Flüssigkeit wird dann direkt in Ihre Blutbahn gelangen. Ist ist in Ordnung für Sie?", er sah mich fragen an. Eine Nadel in meinem Arm? Ich habe schon schlimmeres erlebt. Ich vertraue dem Greis. Er schien zu wissen was er tut. Also nickte ich um mein Einverständnis zu geben.

Einige Minuten später war es erledigt. Es fühlte sich seltsam an wie die kalte Flüssigkeit in meinen Arm tropfte. Ich sah mich um und blickte noch einmal in die Gesichter um mich herum. Rose saß immer noch neben mir und hielt meine Hand. Benedict schrieb etwas auf und Mira blickte mich liebevoll an. Ich spürte etwas in meinem Bauch. Es war eine Art Kribbeln. Er kribbelte vor Glück. Ich was froh hier zu sein. Ich war froh, dass Menschen sich um mich sorgen. Ich war froh nicht mehr alleine zu sein.

„Nun gut, Kind. Ich werde jetzt gehen. Du bist ja in Rose guten Händen.", Mira lächelte mir zum Abschied zu und ich lächelte ebenfalls schüchtern.
Benedict sah von seinem Dokument auf. „Wie es aussieht hat Rose hier einen Platz für dich erkämpft. Es müssen dann noch einige Formalitäten erledigt werden. Ich werde nach Victor suchen. Er ist schließlich dafür verantwortlich.", auch Benedict ging aus dem Raum.
Ich wendete mich an Rose: „Bleibst du hier?". „Wenn du es gerne möchtest, ja.". „Ich möchte nicht wieder alleine sein.". Rose lächelte wieder: „Kiara, richtig?", fragte sie und mir wurde bewusst, dass sie sich zwar bei mir vorgestellt hat, ich mich aber nicht bei ihr. Sie hat meinen Namen wahrscheinlich bei dem Greis aufgeschnappt. „Ja genau. Rose? Wieso bedeckst du deine Augen?", fragte ich sie. Das interessierte mich schon die ganze Zeit.
Das Lächeln wich aus ihrem Gesicht. War meine Frage zu direkt? „Du musst die Frage nicht beantworten, wenn du es nicht willst.". Rose winkte Kopf schüttelnd ab: „Du lässt auch nichts anbrennen, was? Kein Problem. Diese Frage war nur etwas unerwartet. Nun.. Wie soll ich es dir erklären ohne dich zu verschrecken?", Rose legte den Zeigefinger ihrer rechten Hand an ihr Kinn und schien nach zu denken. Mit der rechten Hand hielt sie immer noch meine fest. Sie wurde langsam wärmer.
Sie atmete tief durch und fing an zu erzählen: „Vor vielen Jahren war mein Leben bedroht. Einige Dämonen haben den Ort angegriffen, an dem ich mit meiner Familie lebte. Ich habe versucht zu fliehen aber sie waren überall. Diese grässlichen Monster..", Rose' Gesichtszüge versteiften sich. Sie sprach weiter: „Jedenfalls kämpften alle um ihr Leben. Mein Vater versuchte meine Mutter und mich zu beschützen. Während des Kampfes traf mich die Flüssigkeit, die bei verletzten Dämonen austritt in die Augen. Man kann Dämonen nicht mit einfachen Waffen besiegen. Das wussten wir damals nicht. Dabei verlor ich meine Sehfähigkeit. Nun sind meine Augen entstellt. Mit dem Tuch verhindere ich, dass die Leute schreiend vor mir weg rennen.", das blonde Mädchen lachte bitter. „Und es schützt meine Augen und den Bereich um sie herum vor Infektionen. Ich hoffe ich habe dir damit keine Angst gemacht.".

Ich überlegte kurz. Hatte ich Angst? Nein. Hatte ich Respekt, dass sie dennoch hier sitzt und es schafft mir das ganze einfach so zu erzählen? Ja.
„Nein keine Sorge. Ich bekomme nicht so schnell Angst. Ich habe schon viel schreckliches gesehen..", meine Stimme war leise und ich hatte einen Stich im Herzen als ich an den Hunger und das Leid dachte, dass ich gesehen hatte. Menschen die ihren Verstand verloren. Denen nichts mehr etwas bedeutete. Nicht einmal ihre eigenen Kinder. Ich schüttelte meinen Kopf. Ich wollte nicht daran denken. „Das erleichtert mich. Ich würde mich freuen, wenn wir uns anfreunden könnten.", ihre Stimme schien erleichtert. Und ich musste etwas lächeln. Eine Freundin. Ja das wäre schon.

Es klopfte an der Tür und mein Blick richtete sich dorthin. Rose bewegte sich nicht, antwortete aber für mich: „Ja? Komm rein.", kaum hatte das blonde Mädchen die Worte ausgesprochen kam ein Mann hinein. Er war kleiner als Rupert und Benedict aber größer als Rose und Mira. Er hatte ein rundes Gesicht und auf seinem Kopf lagen dichte rote Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Seine Augen waren sehr schmal und seine Nase markant. Die Lippen wurden von einem dichten ebenfalls roten Bart bedeckt.
„Ich soll Kiara in das Register eintragen.", er stellte sich nicht vor und seine Stimme war brüchig und tief. Ich schätze, dass er fast 30 Jahre alt sein musste.
„Das bin ich..", meldete ich mich zögernd und er setzte sich auf den Stuhl neben dem Schreibtisch. Er hatte einige Zettel in der Hand und legte diese auf den Tisch. „Ich stelle dir jetzt einige Fragen. Das dienst dazu einen Platz für dich zu finden. Wer keine Aufgabe übernimmt, kann hier nämlich nicht bleiben.", seine Worte waren ernst doch er schien keine Lust auf das ganze zu haben. Ich nickte in seine Richtung als Zeichen dafür, dass ich verstand was er sagte.
„Vollständiger Name?".  

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