Da meine ersten drei Stunden heute wegen irgendeiner Lehrerkonferenz ausfallen, erwache ich erst um kurz vor halb zehn — und das auch nur, weil mich ein paar Sonnenstrahlen wachkitzeln, die ins Gästezimmer gefallen sind. Ein Glück, die paar Überstunden Schlaf hab ich diese Nacht dringend gebraucht. Es ist ohnehin ein Wunder, dass mein Vater noch nicht ins Zimmer geplatzt ist und mich mit einem Megaphon zur Schule gejagt hat.
Als ich mich aus meinem neuen weichen Bett quäle, um den Rest des Tages nicht zu verschlafen, meine ich Stimmen von unten zu hören. Unsere Wände sind aber so dick, dass ich es mir auch nur eingebildet haben könnte.
Um mich für den Tag fertigzumachen, latsche ich schlaftrunken ins Gästebadezimmer, wo ich praktisch schon mein neues Domizil aufgeschlagen habe. Immerhin stehen dort bereits meine elektrische Zahnbürste, meine Schminkutensilien und meine Pflegeprodukte.
Kurze Zeit später husche ich aber doch noch mal in mein Zimmer, um mir mein heutiges Outfit — einen schwarzen Hosenanzug mit tiefem Ausschnitt und passenden Ledermokassins — aus dem großen Wandschrank zu kramen.
Ich schnappe mir noch meine etwas größere Louboutin-Handtasche in altrosa, die ich meistens für die Schule nehme, und poltere lautstark die breiten Treppen runter.
Als ich noch einen Abstecher in die Küche machen will, um mir einen Apfel aus dem Obstkorb zu schnappen, werden die regen Stimmen von vorhin immer lauter.
Ich luge vorsichtig in die graue Designerküche die durch die große nahtlose Glaswand mit viel Licht geflutet wird. Meine Eltern haben sich mit den Andersons um die große Kücheninsel versammelt und sind mit ihnen in eine angeregte Unterhaltung verwickelt.
Die Andersons sind gute Freunde meines Vaters — hust, Geschäftspartner — aus Kanada, dessen Firma seine Produkte immer wieder ankauft, um sie an Dritte in seinem Land weiterzuvermitteln. Kein Wunder, dass sie mein Vater bezirzt wie eine Edelnutte, um mit ihnen im Geschäft zu bleiben. Mit ihrem Sohn Harry habe ich als Kind oft gespielt und als wir älter wurden, haben wir andere Dinge getan; Dinge, die Ältere eben so tun.
Der überraschende Besuch ist also der Grund, weshalb mein Vater mich heute Morgen noch nicht besucht hat, um mich aus den Federn zu schmeißen.
Als sie mich im Türrahmen erblicken, erstarre ich. Eigentlich war es mein Plan, unentdeckt zu bleiben.
»Oh, hey, Kate!«, ruft meine Mum gespielt freundlich. In Wahrheit grübelt sie wahrscheinlich bereits darüber nach, wie sie mich für mein Schwänzerverhalten am besten bestrafen könnte. »Hank, Sara und Harry sind zu Besuch«, fügt sie übertrieben begeistert hinzu.
»Ihr braucht gar nicht so scheinheilig zu tun«, gebe ich schlecht gelaunt von mir.
»Na, dann kommen wir gleich auf den Punkt und fragen, weshalb du gerade nicht in der Schule bist«, bemerkt mein Vater belustigt und tut so, als wäre es ein Scherz, obwohl ich genau weiß, dass er es bitterernst meint.
»Hatte heute Morgen keinen Bock auf Schule«, lüge ich schulterzuckend, um sie innerlich zum Kochen zu bringen. Sie würden mir jetzt niemals eine Szene machen und das weiß ich nur zu gut. »Übrigens, schön euch zu sehen!«, bemerke ich mit einem gekünstelten Lächeln an die Andersons gewandt, ehe ich mir meinen Apfel stibitze und aus der Küche verschwinde.
»Wir sprechen uns noch, Fräulein!«, ruft mir mein Vater noch hinterher und ich meine die unterdrückte Drohung in seiner Stimme herauszuhören.
Ich will schon aus der Haustür treten, da fällt mir ein, dass mein Laptop noch auf dem Bett in meinem alten Zimmer liegen muss, weil Josephine ihn gestern Abend doch für ihre Recherche benutzt hat. Fluchend haste ich noch einmal in mein Zimmer zurück.
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Greyforks | Staffel 1 || Serie
Mystery / ThrillerJosephine wird von ihrem Freund emotional manipuliert, Kate streitet sich mit ihrem Bruder um die Firma ihres Vaters und Candice hat sich ausgerechnet Hals über Kopf in ebendiesen verliebt. Als wäre das noch nicht genug, finden die drei Freundinnen...
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