Neta schlug die waldgrünen Augen auf, kurz bevor der Gong ertönte. Sie rollte sich von der harten Strohmatratze, begleitet von dem tiefen, schallenden Ton, schlüpfte in ihre kratzenden Beinkleider und das etwas zu kleine Hemd und stand schon auf dem Gang, als die anderen Kämpfer noch schlaftrunken nach den Kleidern tasteten. An den strengen Blicken der Wachen vorbei ging sie ungerührt in den Speisesaal mit der niedrigen Decke, bezog den gewohnten, abgenutzten Platz in der Ecke und wartete. Der Raum füllte sich nur langsam und sie ließ sich die Zeit, die verschiedenen Gestalten zu beobachten, die ihre Plätze einnahmen. Hauptsächlich Hünen mit Muskelbergen und stumpfen Blick, aber auch ein paar dünnere, wendigere, die mit leichten Waffen wie Dolchen arbeiteten. Ein paar Zwerge gab es auch, sie waren für ihre Hartnäckigkeit bekannt. Neta hasste sie alle. Aber am meisten hasste sie denjenigen, der jetzt eintrat: Swergon Gottesfaust. Glatte, blonde Haare, kurzgeschoren, damit sie im Kampf nicht störten. Muskeln, die zu groß für die Kleidung schienen und Narben auf jeder Stelle der Haut, die man sah. Und ein Blick wie wirbelndes Feuer, unnachgiebig und stets bereit, jeden der ihm zu nahe kam, zu vernichten. Er war der unausgesprochene Anführer, dem sich alle beugten. Alle außer Neta. Die beiden verband eine lange Geschichte aus Hohn, Drohungen, Gewalt und Spott. Sie waren wie ein Liebespaar, das sich umtänzelte, nur dass sie Beleidigungen wie Schwertstreiche austauschten, keine Liebesbekundungen und es verband sie nicht das kleinste bisschen Zuneigung, sondern der Hass.
Neta zischte, als er sich setzte. Aber unter dem wachsamen Blick der Wächter traute sie sich nicht mehr. Die Wachen waren die einzigen, die über ihm standen, obwohl sie bezweifelte, dass sie ihn würden aufhalten können, wenn er versuchte abzuhauen. Doch das würde er nicht, denn nicht die Speere der Wachen oder die hohen Mauern hielten ihn hier, sondern die pure Mordlust. Er liebte es zu töten und sah oft noch lange dabei zu, wie seine Gegner sich qualvoll wanden.Als sie mit elf Jahren zum ersten Mal hier ankam, nach ihrer Ausbildung, hatte er nur gelacht. Sie würde nicht einmal einen einzigen Tag hier aushalten, hatte er prophezeit, und wieder sein gehässiges Lachen von sich gegeben. Das hatte sie unglaublich wütend gemacht, so wütend, dass sie ihm ins dicht vernarbte Gesicht geschlagen hatte, fest und unbeherrscht. Sofort war er ernst geworden, hatte die lodernden Augen zusammengekniffen und geknurrt: "Du kleine..." Bevor er den Satz beenden oder die Hand gegen sie erheben konnte war eine Wache eschienen, sodass er nichts weiter tat, als sie bedrohlich anzufunkeln. Aber sie hatte ihn vor allen Anderen gedemütigt und das konnte er nicht ungestraft lassen. Seitdem hatte er nie eine Gelegenheit versäumt, sie zu demütigen und sie hatte alles erwiedert, was er ihr zwischen die Beine warf, um sie auf ihrem Lebensweg zum Stolpern zu bringen.
Außerdem war sie die Einzige, die ihm im Kampf das Wasser reichen konnte. Von den schweigsamen Assassinen der blauen Berge trainiert und gestählt war sie trotz ihrer Jugend einsame Spitze, wenn sie auf dem Trainingsplatz übte, hielten die anderen Gladiatoren inne, um den Tanz aus wirbelnden Klingen und eleganten Bewegungen zu bestaunen. Sie war bisher noch nicht in der Arena gewesen, aber jeder wusste, dass sie weit kommen würde. Sie selbst hatte jedoch nicht vor, dort zu kämpfen. Lieber würde sie sie Swergon küssen, als in dem gewaltigem Gemäuer im heißen, aufgewirbeltem Sand zum Ergötzen der Menge gegen gefährliche Tiere zu kämpfen und Menschen zu ermorden, wenn das Volk vor Hunger nach Blut die Namen seiner Favoriten schrie. Sie verabscheute das aus ganzem Herzen, sie wartete nur auf die richtige Gelegenheit, aus dem Gladiatorenlager zu fliehen.
Nach dem Frühstück -die Grütze schmeckte hier einfach grauenhaft- begab sie sich auf den Trainingsplatz. Obwohl er unter freiem Himmel lag, schien es hier stickig heiß, wie in der Arena gab es auch hier Sand, der wie eine zweite Schicht Kleidung an der Haut klebte, wenn man kämpfte. Über dem Ganzen ragte bedrohlich der Wächterturm auf, unnahbar und kalt. Wie der Rest der Anlage war er aus massivem, rot-braunem Gestein erbaut und bestand schon seit etlichen Jahrhunderten, was ihn irgendwie noch angsteinflößender machte. Neta stellte für sich selbst immer wieder fest, dass es zwei Arten von Alter gab. Der Turm gehörte zu der schlechten Seite, die durch das älter werden nur noch gefährlicher wurde, dagegen standen unter anderem die Bäume, die mit ihrer stillen Präsenz und der Güte der vielen Jahre beruhigten. Sie waren ein unabdenkbarer Teil dieser Welt und wenn die Bäume verschwanden, würde sie in Flammen versinken und nur noch Asche zurückbleiben.
Als erstes schlenderte Neta zum Waffenständer, der alle Gladiatorenwaffen bereithielt, die im Kampf erlaubt waren.
Unter anderem gab es Schwerter, Säbel, Morgensterne, Pieken, Speere, Netze, Dolche, Schilder... kurzum, es war fast Alles erlaubt. Nur Bögen gab es nicht, das wäre für die Wachen zu gefährlich gewesen, selbst bei Pfeilen mit stumpfen Spitzen. Mit einem Bogen wäre ihr vielleicht sogar die Flucht gelungen.
Neta entschied sich für ein etwas kürzeres Schwert, eine ihrer liebsten Waffen, eine überraschend gute, ausbalancierte Arbeit, wie sie nur selten hier auftauchte. Zur Probe führte sie ein einfaches Manöver durch. Dann begann sie zu tanzen.Für Neta war jeder Kampf ein Tanz, eine Folge von Schritten und Bewegungen. Vor, zurück, vor, Drehung und Stopp, parieren, ausweichen und wieder vor. Wo lag der Unterschied? Ein Tanz konnte ebenso tödlich enden wie ein Kampf, besonders in den oberen Schichten der Gesellschaft, wo regelmäßig Intrigen gesponnen wurden. Es gab Regeln, die man einhalten musste und Muster, denen man folgen sollte, wenn man gewinnen wollte.
Sie machte eine Pause und lehnte sich verschwitzt an das kühle Gestein der Wand, beobachtete die anderen Kämpfer und auch die Wachen, die Auf den Mauern patrouillierten, nicht ganz so aufmerksam, wie sie vielleicht sein sollten. Sie sah genauer hin. Eine Wache schien kurz davor, auf den Speer gestützt einzunicken. Langsam, um nicht aufzufallen, ging sie auf den Abschnitt der Mauer zu, die er bewachte, dieser lag im Schatten, grob gehauen, wie geschaffen, um daran emporzuklettern. Die Freiheit schien sie zu rufen, ihre Stimme summte in ihren Adern und brachte vergrabene Gefühle und Erinnerungen wieder an die Oberfläche. Ihre Sinne gaukelten ihr vor, wieder im Wald zu sein, wieder die Tannennadeln stachelig zwischen den Zehen zu spüren. Das ist deine Chance! raschelten die Bäume. Nutze sie!
Neta schüttelte sich, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Hastig sah sie sich um. Die Trainer und Aufseher achteten nicht auf sie, waren mit den Anderen beschäftigt, die Sonne stand hinter der Mauer mit dem schlafendem Wachtposten, ließ ihr Licht nicht zu Neta, sondern blendete alle Anderen. Das Mädchen erlaubte sich ein kurzes Lächeln und sandte ein Stoßgebet zu den elf Göttern, während sie sich ans Erklimmen der Wand machte. Als sie zwei Drittel der Mauer geschafft hatte, ertönte der erste Warnruf. Weitere folgten und ließen sie schneller klettern. Ein leises Pfeifen warnte sie vor dem Pfeil, der auf ihren Kopf zielte und bei dem Versuch, ihm auszuweichen wäre sie fast abgerutscht. Mit zitternden Armen und blutigen Fingern hing sie dort und versuchte, sich zu beruhigen. Dann erklomm sie das letzte Stück noch schneller, um kein leichtes Ziel mehr für den Bogenschützen darzustellen. Über den Rand und das Geländer schaffte sie es noch, dann wäre sie beinahe zusammengebrochen, was aber angesichts der Wache, die ihr den zitternden Speer ins Gesicht hielt, nicht ging. Stattdessen riss sie sich zusammen und duckte sich unter der Waffe hindurch. Der überraschte Wächter kam nicht mehr dazu, irgendetwas zu tun. Statdessen brach ihm ein gut gezielter Schlag ins Gesicht die Nase und ein weiterer in den Magen ließ ihn zusammenklappen. Der erstaunlich junge Mann tat Neta leid, aber er stand nun mal zwischen ihr und der Freiheit, nach der sie sich so sehnte. Nicht mehr ganz so behände wie sonst hastete sie zur Brüstung auf der anderen Seite und spähte hinunter. Unter ihr befand sich der tiefe Graben mit dem mitternachtsblauem, eiskaltem Wasser, das ihr nicht sehr einladend entgegenfunkelte, eher wie scharfer Stahl. Sie fragte sich gerade, ob sie es wagen konnte, zu springen, als ein gleißender Schmerz in ihrer Schulter explodierte. Sie schrie so laut wie noch nie in ihrem Leben, fast wäre sie vornüber gekippt, könnte sich aber noch halten. Sie bemerkte mit schmerzverschleierten Augen kaum die Wachen, die von beiden Seiten auf sie zurannten und ihr unverständliche Kommandos riefen. Du darfst jetzt nicht aufgeben! spornte sie sich an. Du hast nicht all die Jahre gewartet, um jetzt aufzugeben! Mit letzter Kraft hievte sie ihren ihr irgendwie plump vorkommenden Körper auf die Steine der Zinnen, während die Taubheit von ihrer Schulter zu ihrem Kopf wanderte. Ihr Mund fühlte sich wie mit Watte gestopft an, als sie mit schwerer Zunge zu den Wachen sagte: "Ade" und sich nach hinten fallen ließ.Ich möchte mich hiermit für alle Rechtschreibfehler entschuldigen, die ich hier eventuell mache und hoffe, das dieses Kapitel nicht allzu kurz und miserabel ist.. und ich danke außerdem Stella_Salvatore, dafür, dass du immer so nett und aufbauend bist :-) du bist die Beste!
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Die Baumflüsterin
FantasyNeta war unschuldige sechs Jahre alt, als sie sie verschleppten. Einen Sklaven wollten sie aus ihr machen, ein willenloses magisches Spielzeug. Eine Kriegerin, die in den Arenen gegen exotische Bestien kämpfte. Ihre Rachegedanken schwelen sieben Jah...