Funkenwind

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Das Mädchen wusste weder, was es hier sollte, noch was von ihr verlangt wurde. Allein den Klang der harten Sohlen erkannte sie wieder, denn er bedeutete Schmerz, gleißenden Schmerz, immer wieder. Bibbernd vergrub sie den Kopf zwischen den Knien, sie wollte nichts mehr von dieser grausamen Welt dort draußen wissen. Doch die Wirklichkeit kam in Form von zwei großen Gestalten wieder zurück. Der eine war ihr bekannt, er war derjenige, mit dem der Schmerz kam. Der andere war neu. Blendendes Weiß umgab ihn, ein Schleier, eine Aura. Doch es war kein schönes Weiß, sondern kalt, kalt wie Eis und Schnee. Frostiger Atem streifte sie, als er sich zu ihr hinabbeugte. Stechend Blaue Augen musterten sie, während sie versuchte, sich unter den Haaren zu verstecken, die irgendjemand ihr kurzgeschoren hatte. Eine eisige Stimme ertönte, tückisch und glatt wie dünnes Eis. "Wir werden sie mitnehmen. Aber es wird harte Arbeit werden. Sieh sie doch mal an!"

Der, mit dem der Schmerz kam, verteidigte sich nur schwach: "Ich habe doch nur die Befehle ausgeführt..."  "Pah! Dein Befehl war, sie bei Bewusstsein, aber schwach zu halten. Es ist eine Schande. Aber..." Der kalte Blick streifte Neta noch einmal wie ein frostiger Windstoß. Ein wenig hob sie den Kopf, denn irgendwas in ihr flüsterte, wie in letzter Zeit so oft, dass sie nicht aufgeben durfte, niemals.

"...ihr habt sie noch nicht gebrochen. Immerhin ein Anfang. Ich glaube, das könnte interessant werden..."

*

Neta stapfte resigniert durch den Wald. Warum musste auch immer sie die Pilze holen? Klar konnte sie besser klettern und es machte ihr sonst auch Spaß, unterwegs den Bäumen zu lauschen, aber warum gerade dieses Mal? Es war einfach nur unfair. Neta schnaubte. Jetzt, gerade in diesem Moment wurde im Dorf gekämpft, nur sie, als angehende Kräuterfrau, musste Pilze sammeln gehen, nur weil Talia sich ausversehen den Knöchel umgeknickst hatte... und jetzt von Etron versorgt wurde. Bei dem Gedanken knurrte sie. Dabei würde doch nur ein winziges bisschen Magie reichen, um Telia richtig zum Stolpern zu bringen, sodass diese volle Länge auf den Boden fiel. Oder noch besser, gleich in eine Schlammpfütze. Die Vorstellung gefiel ihr so gut, dass sie grinsen musste. Aber leider durfte sie ja nicht, denn besonders die Kinder reagierten extrem empfindlich auf jegliche Art der Magie. Es grenzte an ein Wunder, dass sie damals, als der Rat Neta sehen wollte, überhaupt nichts bemerkt hatten. Aber sonst wäre sie auch niemals angenommen worden, denn diese seltsame Prüfung hätte sie auch als übernatürliches Geschöpf entlarven können.

Und nun, fast ein Jahr später, kannte sie jeden hier im Dorf und jeder kannte sie- zumindest, was Neta preisgab. Auch wurde sie von allen Aten genannt, was, wie Sestra sie gescholten hatte, ein viel zu offensichtlicher Name war, und außerdem mehr nach einem Jungen klang. Aber auf die Schnelle war ihr damals vor dem Dorfrat  einfach nichts besseres eingefallen. Jetzt musste sie sich mit disem Namen herumschlagen. Talias geflüsterte, absolut bescheuerte Schmähungen klangen ihr noch in den Ohren: "Aten bestellt den Garten... ich kann verstehen, wieso die Pflanzen dich mehr mögen als die Jungs!" Dazu gab sie dann ihr keckerndes Lachen von sich. Zum Glück jedoch blieben diese Beleidigungen geflüstert, mehr traute sie sich nicht. Denn hinter Neta stand fast die gesamte Kinderschar des Dorfes. Sie wusste nicht, woran es lag, aber die Gegenwart der Kleinen war ihr um Längen lieber als die ihrer Altersgenossen, zumal von den Kindern niemand auf die Idee kam, ihr Sprüche hinterherzurufen, die sich noch nicht einmal reimten. Sie wurde von ihnen bewundert, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Neta konnte nicht aufhören, über diese Lebensfreude und Kreativität zu staunen, mit denen diese Kinder in den Tag hineinlebten, ohne sich um Ärger zu sorgen. Die Heilerin betonte immer wieder, wie erstaunlich es sei, dass sich Neta so gut mit ihnen verstand. Sie behauptete sogar manchmal, dass Neta die Kleinen regelrecht anzog.

Der halben Menschentochter selbst hatte es besonders das rothaarige Mädchen, Kata, angetan. Die Tochter eines Schmieds lief ihr überallhin nach und wollte nicht von ihrer Seite weichen. Einmal hatte sie sogar mitbekommen, was Talia über Neta flüsterte, und hatte daraufhin zusammen mit den anderen Mitgliedern ihrer Bande einen Racheplan ausgeheckt. Er beinhaltete Schlamm, Hühner und Kuhmist, und am Ende war die sonst so beherrschte und stolze Talia heulend davongerannt, eine unappetitliche Spur hinterlassend. Nur ein winziges Fünkchen Mitleid hatte Neta erreicht, aber die Kinder hatten sich zufrieden abgeklatscht. Seitdem ging die Diva ein wenig vorsichtiger um mit dem, was sie sagte.

Die BaumflüsterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt