" Also wirklich! Du hättest dir sonst was brechen, sogar getötet werden können! Wozu habe ich dein Leben gerettet, wenn du es doch gleich wieder aufs Spiel setzt? Es war so verantwortungslos von dir, einfach da hinauszugehen... " Obwohl die Worte selbst hart waren, fiel die Schimpftirade relativ schwach aus. Sestra wusste genauso gut wie alle anderen Dorfbewohner, dass Neta sie gerettet hatte und konnte nicht wirklich böse auf sie sein. Neta ging in Gedanken die Ereignisse nach ihrem Kampf im Kopf zum sicher hunderstem Mal durch.
Nachdem sie die Bestien vertrieben hatte, hatte sich nach einer gefühlten Ewigkeit die Heilerin aus dem staunenden Grüppchen gelöst. Händeringend hatte sie sich regelrecht auf Neta gestürzt und sie mit wütendem Gemurmel vom Kampfplatz geschleift. In der Hütte angekommen, wurde diese erstmal unsanft auf dem Bett abgeladen, und mit ärgerlichen Blicken traktiert, während Sestra mit so viel Kraft ein paar Kräuter zermahlte, dass die Tonschüssel einen Sprung bekam. Seltsamerweise aber zitterten ihre Hände leicht, als sie Neta die Schüssel reichte. Neta hatte sich danach aber auch nicht wirklich besser gefühlt. Jetzt saß sie immer noch hier, auf dem weichem Bett in der Hütte mit den Runen an den Wänden, und vor ihr stand die Heilerin und ließ einen großen Schwall Schimpfwörter über Neta niedergehen.
Neta hörte aber gar nicht zu, und irgendwann gingen auch Sestra einmal die Worte aus. Darauf folgte ein unangenehmes Schweigen, das schwer in der Luft hing wie eine dicke Decke aus Staub. Schließlich ging die Heilerin langsam den Rückzug an und verschwand leise durch die ziemlich ramponierte Tür, die von irgendjemanden wieder eingehängt worden war. Nun saß Neta wiedermal allein in der Hütte und verschränkte trotzig die Arme, obwohl niemand da war, der es bemerken könnte. Ihre Gedanken kreisten um ihre jetzige Situation und sie wusste trotzdem nicht, wie es weitergehen sollte. Als dann Sestra wieder hereinkam, schaute sie nur stur geradeaus. Die Stille drückte unangenehm auf die beiden, und schließlich hielt Neta es nicht mehr aus und fasste sich ein Herz:
"Sag mir... was bedeuten eigentlich diese Zeichen an den Wänden?"
Neta hatte eigentlich ein harmloses Gespräch anfangen wollen, aber nun wurde ihr klar, dass das ein Fehler gewesen war, denn die Heilerin kniff unheilverkündend die Augen zusammen. "Sag du mir, Mädchen... waren deine Eltern Menschen?" Neta erwiederte empört: "Natürlich waren sie das! Meine Mutter habe ich zwar nicht kennengelernt, aber Vater hat mir immer davon erzählt, wie schön, sanft und gütig sie war, bis sie bei einem Unfall gestorben ist.Ich war damals noch so klein." Neta wunderte sich ein bisschen, dass Sestra sie nach ihren Eltern fragte, und nicht nach ihrer Herkunft oder anderen logischeren Fragen. "Bitte zeig mir doch mal deine Schulter, Mädchen. Nur kurz." Neta war zu verwirrt, um der Heilerin nicht zu gehorchen. Ihre ohnehin schon zerschlissene Weste wurde grob beiseite geschoben. Neta hörte ein ruckartiges Aufkeuchen und kurz danach auch den fassunglosen Satz: "Ich habe es doch gewusst..." Jetzt drehte auch sie den Kopf so weit herum, wie es eben ging, und erschrak ebenfalls: Auf ihrem Rücken befand sich keine Wunde, auch kein Schorf, nicht einmal eine Narbe gab es. Keine Spur von der lebensbedrohlichen Verletzung oder zumindest einer heilenden Wunde. Nur weiche, etwas rosig aussehende Haut, unverkennbar unmöglich. "Willst du mir jetzt immer noch erzählen, du seiest nichts Besonderes? Hm?" Neta war wie gelähmt von dem plötzlichem Vorstoß, von der bedrückenden Erkenntnis, dass es wieder etwas passiert war, das sich ohne Magie nicht erklären ließ. Wieder.
"Ich warte! Und komm mir ja nicht mit irgendwelchen Lügemärchen! Ich weiß, dass du anders bist, magisch! Diese Zeichen" Sie zeigte auf die Runen an den Hüttenwänden "können nur von denen gesehen werden, die starke Magie im Blut haben. Und wenn das nicht Beweis genug wäre, ist dann ja noch deine Wunde. Niemand, der normal ist, überlebt so eine tödliche Wunde und ist dann innerhalb von drei Tagen wieder völlig hergestellt! Verrate mir: Was bist du?"
So stand die Heilerin vor ihr, schnaubend wie ein wütender Stier, und vor ihr saß mit gesenktem Kopf die zusammengesunkene Neta, die jetzt hauchte: "Ich weiß es nicht. Hörst du? Ich weiß es nicht, nur dass es wahr ist! Ich weiß, dass ich anders bin, aber nicht wieso. Jetzt hör mir genau zu Heilerin: Es ist so..."
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Die Baumflüsterin
FantasyNeta war unschuldige sechs Jahre alt, als sie sie verschleppten. Einen Sklaven wollten sie aus ihr machen, ein willenloses magisches Spielzeug. Eine Kriegerin, die in den Arenen gegen exotische Bestien kämpfte. Ihre Rachegedanken schwelen sieben Jah...