bunte Silberaugen

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Was sie aus ihrem unruhigem Schlaf riss, wusste Neta nicht. Verständnislos sah sie sich um und versuchte dann, sich aufzurichten, was aber keine so gute Idee war, da sofort der Schmerz wie eine heiße Klinge in ihre Schulter fuhr. Mit ihm kamen die Erinnerungen. Sie sackte mit einem Stöhnen in sich zusammen, als sie begriff, was geschehen war. Ein schmerzverzerrtes Lächeln blitzte in ihrem Gesicht auf. Sie war draußen! Endlich nach so länger Zeit, sah sie wieder Grün und nicht mehr das verstandvergiftende Braun und schmutzige Gelb des Gladiatorenlagers, das an ihren Gedanken genagt hatte wie eine ausgehungerte Ratte an einem trockenem Stück Brot. Endlich frei! Der Gedanke spendete ihr Kraft, sodass sie sich schließlich langsam hochstemmen konnte. Als ihre Atmung sich wieder beruhigte hatte, versuchte sie einen Schritt. Aber das Bein war nicht stark genug, knickte seitlich ein und sie fiel hart zurück auf den Waldboden, wobei ihr ein heiserer Schrei entwich, der ein paar Vögel aufschreckte.

Moment einmal, Vögel? Erst jetzt registrierte sie, wo sie war.

Um sie herum streckten Bäume ihre Wurzeln aus und gruben ihre Äste mit dem dichtem  Blätterdach in den Himmel, als wäre auch er etwas Materielles wie die Erde. Der mit abgefallenem Laub bedeckte Boden war mit Lichtflecken gesprenkelt und manchmal fiel das Licht auch grün gefiltert durch die gefiederten Blätter. Stämme, manche so dick wie eine Kutsche und die tiefe, rissige und moosbewachsene Borke der Bäume verliehen dem Ort eine geheimnisvolle, uralte Aura. Die Luft war angefüllt mit den Erinnerungen der vielen Jahrhunderte, die diese Baumriesen überdauert hatten.

Sie kniff die Augen zusammen. Solche Blätter hatte sie noch nie gesehen, obwohl sie von ihrer Kindheit her alle Arten dieser Gegend kannte und noch einige mehr. Doch jetzt beschäftigte sie etwas Anderes.

Neta fiel auf, dass sie nicht wusste, wie sie hierhergelangt war. Nur ein paar Sinneseindrücke waren ihr geblieben, die sie jetzt vorsichtig zurückverfolgte.

Der Aufprall.

Schmerz wie loderndes Feuer.

Grausames, eisiges Wasser.

Dann Luft, endlich Luft

in geschundenen Lungen.

Spitze Steine, trockene, rissige Erde.

Gras, samtig, duftend.

Nun Dunkelheit, kühl und angenehm.

Helles Grün. Warmes Braun.

Sicherheit.

Starke Äste, die das Firnament der Sonne berühren und

feine Wurzeln, die die Erde teilen.

Heilung,

Geborgenheit.

Neta fand nur langsam in die reale Welt zurück. Die intensiven Eindrücke klangen noch in ihr nach, aber etwas verwirrte sie und machte ihr sogar ein wenig Angst. Sie hatte etwas erlebt, was nicht sein konnte, nicht sein durfte.

Sie hatte wie in Baum gefühlt, ihre Äste hatten zum Licht gestrebt und ihre Wurzeln hatten sich auf der Suche nach Wasser und Nährstoffen ins Erdinnere gebort. Auch hatte sie Heilung verspürt, obwohl weit und breit niemand zu sehen war, der ihr geholfen haben könnte. Es musste doch eine Erklärung geben! Sie zwang sich selbst, angestrengt nachzudenken.

Nun vielleicht... vielleicht hatte ja jemand... irgendjemand, ein Wandermönch zum Beispiel, sie versorgt und war dann wieder verschwunden weil er... nicht wollte dass sie wusste wer er war... ja, so musste es gewesen sein. Neta stützte sich auf diese notdürftige Erklärung und schob das beharrliche, leise Stimmchen in den Hintergrund, das flüsterte, dass sie das doch nicht wirklich glaubte und dass sie doch wüsste, dass etwas anderes geschehen war, etwas viel mysteriöseres, etwas magisches...

Die BaumflüsterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt