,,Ich will nicht!", mir war durchaus bewusst, dass ich mich wie ein verzogenes Kleinkind anhörte, es fehlte nur noch, dass ich mit dem Fuß aufstampfte und das Klischée wäre vollendet. Nur konnte ich nicht stampfen, nicht mehr. Dieses kleine Detail fehlte und so war die Situation nicht klischéehaft, sondern bescheuert. ,,Du musst dir keine Sorgen machen, deine Arme sind von Natur aus stark genug und einer unserer Pfleger wird auch mitgehen, um dich notfalls zu entlasten.", redete der Therapeut beruhigend auf mich ein. ,,Darum geht es doch gar nicht. Ich will einfach nicht, dass jeder in diesem beschissenen Krankenhaus sieht, dass ich ein Krüppel bin!", fuhr ich ihn gereizt an. ,,Skye, das ganze Krankenhaus ist voll mit Krüppeln!", rief jemand vom Türrahmen, der das Wort ,Krüppel' jedoch in Anführungszeichen setzte. Mit Müh' und Not gelang es mir, den Rollstuhl zu wenden , bis ich das Gesicht des Sprechers sehen konnte. Ich hatte Louis zwar schon an seiner Stimme erkannt, dennoch wollte ich sichergehen, bevor ich den Falschen beleidigte. ,,Und wenn es dir so wichtig ist, können wir ja in einen abgelegeneren Teil des Krankenhause gehen.", schlug er vor. ,,Wir?", fragte ich misstrauisch. Was tat er überhaupt schon wieder hier? Hatte dieser Junge kein eigenes Leben? ,,Ja, wir.", bestätigte er fröhlich und sah mich erwartungsvoll an. ,,Das ist eine wundervolle Idee, mein Junge!", rief der Therapeut aus. ,,In einer Dreiviertelstunde wieder hier, okay?", ohne eine Antwort abzuwarten verließ er den Raum. ,,Na toll.", seufzte ich und rollte auf den Gang hinaus. Louis folgte mir und als wir draußen waren griff er wie selbstverständlich nach der Griffstange des Rollstuhls und schob mich in die Richtung der Aufzüge. ,,Lässt du das vielleicht mal?", herrschte ich ihn an, ,,Ich kann das selbst." ,,Sorry.", sagte er und ließ los. Mit einigen schnellen Schritten schloss er zu mir auf, sodass er neben mir laufen konnte. ,,Skye, ich weiß, dass du es alles andere als leicht hast und natürlich machst du mir Vorwürfe. Das habe ich mir ja am Anfang auch. Nur, ich konnte es nicht ändern oder verhindern. Glaub' mir, wenn ich es könnte, ich würde es tun.", versuchte er mir zu erklären. Ich blickte mit steinernem Gesicht starr geradeaus und ignorierte ihn so weit wie möglich. ,,Okay, stopp.", sagte er entschieden, stellte sich mir in den Weg und hielt die Reifen des Rollstuhls fest. Er kauerte vor mir nieder, damit wir ungefähr auf Augenhöhe waren und sah mir beim Sprechen ernst in die Augen: ,,Ich verstehe dich doch, schon vergessen? Ich tanze auch. Ich weiß, dass du das Ballett brauchst, um mit deinem Leben etwas anfangen zu können und glücklich zu werden. Aber nehmen wir mal an, es wäre andersherum gewesen. Stell' dir vor, das Auto wäre von der anderen Seite gekommen und hätte mich angefahren. Wie hättest du das verhindert, hm?" Ich schwieg und musterte sein Gesicht, seine verwuschelten Haare und seine durchdringenden blaugrauen Augen. Ich sah, wie sich mein Gesicht in ihnen spiegelte, sah meine dunkelblauen Augen in den seinen. Nach einer Pause redete er weiter: ,,Genau. Gar nicht." Er ließ mich los und richtete sich wieder auf. ,,Es tut mir leid, dass du nicht am Finale teilnehmen konntest.", seine Stimme klang nun sehr distanziert und meine nächsten Worte sprach ich ganz spontan aus: ,,Du kannst nichts dafür." Ich hatte das nicht sagen wollen, auch wenn es die Wahrheit war. ,,Ich habe vorhin deine frühere Babysitterin angerufen. Damit sie deine Eltern informieren kann. Sie hat sich sehr gefreut, jetzt kann sie deine Eltern beruhigen. Dein Internat hat die informiert, dass du nicht aus den Ferien zurückgekommen bist.", erzählte er nebenbei. ,,Welcher Tag ist denn heute?", fragte ich überrascht. ,,Dienstag.", entgegnete er gelassen. ,,Ups.", machte ich, gespielt schuldbewusst, was ihn zum Lachen brachte. Ihn lachen zu sehen tat gut, vor allem da mir klar war, dass es noch eine Weile dauern konnte, bis ich meine Verletzung so weit akzeptiert hatte, dass ich wieder ehrlich lachen konnte.
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Hinter Glasaugen
Random,,Ist ganz schön viel Druck.", stellt Louis fest. ,,Was?", frage ich irritiert und setze mich neben ihn. ,,Na ja, immer perfekt zu sein. Die besten Füße zu haben, die beste Figur, die beste Technik, die höchste Schmerzgrenze, das alles eben.", erklä...