Glückseligkeit

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Ich träumte noch still vor mich hin und genoss diese pure Freude, die jede Zelle meines Körpers erreichte und mich unverwundbar machte. Ich vergaß die Welt um mich. In diesem Moment lebte ich in meinem ganz neuen Sommertraum. So bemerkte ich auch gar nicht, wie Frau Sommer sich wieder vor das Whiteboard stellte und die Lernortsverlagerung weiter plante, bis Mia mich kniff und fragte: "Wollen wir zusammen Dips und Gemüseplatten machen?" Ich war total verwirrt. Mia deutete auf die Tafel und sagte: "Grillfleisch und Salate haben wir mittlerweile genug und Brötchen bringt Daniela mit." Ich drehte mich zum Whiteboard und sah, dass Frau Sommer viele Namen und Speisen/Getränke aufgelistet hatte. "Wow", dachte ich, "Frau Sommer hat eine wunderschöne Handschrift." Wieder holte Mia mich aus meinen Gedanken: "Ella? Wollen wir oder nicht?" Ich nickte, da zeigte Mia auch schon auf und Frau Sommer schaute in unsere Richtung. Mein Herz blieb kurzzeitig stehen, als sie ein paar Schritte auf zu lief, um im nächsten Moment in riesigen Sprüngen zu schlagen. Mein T-Shirt bewegte sich schon mit dem Herzschlag auf und ab und ich legte schnell meinen Arm davor. "Hoffentlich bemerkt sie nicht, wie wahnsinnig verrückt ich nach ihr bin...", dachte ich.
Frau Sommer freute sich über Mias Vorschlag: "Ja, super! Gemüseplatten und Dips dürfen auf keinen Fall fehlen. Und bitte machen Sie einen Zwiebel-Dip!" Sie zwinkerte uns zu und ihre Augen strahlten wie die Sonne. Diese Lehrerin war für mich auf einmal das Zentrum des Universums, um das sich alles drehte. Sie erschien mir absolut perfekt.

Als alles organisiert war, schlug Frau Sommer vor: "Wir können ja auch eine WhatsApp-Gruppe erstellen, wenn dann noch Ideen aufkommen oder Veränderungen stattfinden sollen, können wir das darüber schneller klären. Sie haben doch bestimmt auch schon eine Klassengruppe, oder?" Alle anderen murmelten und ich freute mich unglaublich darüber, schon in wenigen Minuten Frau Sommers Nummer zu haben. Mia rief in die Klasse: "Ich mache eine zweite Gruppe auf! Dann haben wir eine mit und eine ohne Frau Sommer!" Sie bekam allgemeine Zustimmung und Frau Sommer konnte sich vor Lachen nicht mehr halten. Sie sah so süß aus, wie sie vorne stand, beide Hände vor den Mund hielt, sich nach vorne beugte und nach Luft schnappte. Nachdem sie sich allmählich erholt hatte, entschuldigte sie sich: "Sie sind ja welche, dass Sie extra eine zweite Gruppe aufmachen. Ich hätte Sie bestimmt nicht bei Kollegen verraten, wenn Sie die Hausaufgaben darin besprechen." Jonas fragte: "Und wenn wir bei Ihnen etwas vorbereiten müssen?" Wieder lachte Frau Sommer. "Okay, da haben Sie recht!" Sie war so niedlich zu uns. Sie war gleichzeitig nah und doch so fern. Dadurch, dass sie uns siezte, hielt sie ihre Distanz. Aber ihr sonstiger Umgang war total locker, teilweise schon leicht freundschaftlich und ich verstand gar nicht, wie sie trotzdem diese klare Grenze zwischen ihrem Lehrerdasein und uns Schülern halten konnte. Ich war schlichtweg fasziniert von dieser Frau, ihrer ganzen Erscheinung, ihrer Art, von allem, was sie machte und sagte.

Wenig später blinkte mein Handy und Frau Sommer erlaubte uns, einen kurzen Blick darauf zu werfen und ihre Nummer einzuspeichern. Da hielt mich natürlich nichts mehr auf. Selbst ihre Handynummer erschien mir perfekt. Ich erkannte direkt ein logisches Muster darin und lernte die Nummer auswendig. Wenn sie das alles nur gewusst hätte, hätte sie bestimmt meine Therapeutin darum gebeten, mich stationär einzuweisen. Ich kam mir vor wie eine Stalkerin, doch diese Lehrerin beeinflusste mich mit ihrer perfekten Art so sehr, dass ich nicht mehr klar denken konnte. 

Sie blieb mir noch den ganzen Tag über im Sinn und jedes Mal, wenn ihr Bild vor meinem inneren Auge erschien, spürte ich, wie sich in mir etwas Wunderbares tat. Ich war so glücklich, so frei, so hoffnungsvoll und das alles wegen ihr.

Am nächsten Tag hatte ich zuerst einen Arzttermin, weil ich einen Nackenwirbel ausgerenkt hatte. Somit würde ich etwas später zur Schule kommen. Zum Glück hatten wir Frau Sommer in der fünften und sechsten Stunde, da wäre ich bestimmt wieder da.
Mein Arzt kam pünktlich, trotzdem wurde ich erst ins Wartezimmer verfrachtet. Ich wurde mit jeder Minute nervöser. So würde ich den Gottesdienst bestimmt verpassen, das wäre so schade, schließlich wäre auch das eine Möglichkeit gewesen, Frau Sommer schon vorher zu sehen. Um halb neun war ich endlich an der Reihe. Der Gottesdienst startete um neun Uhr. Somit hätte ich das sowieso nicht mehr pünktlich geschafft. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich zur Schule fahren zu können, doch mein Arzt fand noch mehr Verspannungen und ließ sich gefühlt eine Ewigkeit Zeit. "Ella, warum bist du so hibbelig? Das erschwert mir die Arbeit", meinte er. Ich entschuldigte mich: "Tut mir leid, aber ich muss unbedingt zur Schule." Mein Arzt versuchte mich zu beruhigen: "Ich schreibe dir gleich einen Nachweis, dass du hier warst. Da steht genau drauf, wann du fertig warst." Ich nickte, war aber trotzdem nervös. Schließlich ging es mir nicht darum, dass ich die ersten Stunden verpasste, sondern darum, dass ich Frau Sommer sehen wollte. Dennoch versuchte ich, etwas ruhiger zu bleiben und ließ meinen Arzt einfach machen. "Fertig!", freute er sich. Ich schaute auf die Uhr. Es war zehn vor neun. "Ich schreibe dir noch eben die Entschuldigung", murmelte er und ich dachte bloß daran, dass ich es bis halb zehn locker schaffte, bei der Schule zu sein. Somit könnte ich noch mitbekommen, wie alle vom Gottesdienst kämen und durch die Flure liefen. Am Ende bedankte ich mich beim Arzt und fuhr schnell zu Hause vorbei, um meine Schultasche abzuholen.

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